Edgar Wallace

Der Frosch mit der Maske


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Leute benützten ihre freie Zeit auf solche Weise. Aber Ray war kein Arbeiter.

      Sie setzte sich auf einen Parkstuhl und war so sehr in ihr Sinnen vertieft, daß sie es nicht gewahrte, als jemand vor ihr stehenblieb.

      »Das ist ja wunderbar!« sagte eine lachende Stimme, und sie sah in Dick Gordons hübsche blaue Augen auf. Er setzte sich auf den Stuhl neben dem ihren. »Und jetzt werden Sie mir hitte sagen, in was für Schwierigkeiten Sie geraten sind?«

      »Warum meinen Sie, daß ich in Schwierigkeiten geraten bin?«

      »Sie machen ein so trauriges Gesicht«, lächelte er. »Vergeben Sie diesen Aufzug. Ich habe einen offiziellen Besuch bei der Gesandtschaft der Vereinigten Staaten abstatten müssen.«

      Jetzt erst bemerkte sie, daß er den offiziellen Anzug des Beamten trug, Gehrock, Zylinder und die vorschriftsmäßige Krawatte. Sie fand, daß er sehr gut darin aussah.

      »Ich glaube beinahe, daß Ihr Bruder Ihnen Sorgen macht? Ich habe ihn vor wenigen Minuten gesehen. Hier ist er wieder!«

      Sie folgte erstaunt seinem Blick und fuhr von ihrem Stuhl auf.

      Auf dem mit Lohe bestreuten Reitweg, der mit der Parkstraße parallel lief, kamen ein Herr und eine Dame zu Pferd heran. Der Herr war Ray. Er war sehr elegant gekleidet, und von den Spitzen seiner glänzenden Reitstiefel bis zu seinem grauen, steifen Hut entstammte alles den teuersten Quellen. Das Mädchen neben ihm war jung, schön, zierlich. Die Reiter passierten, ohne daß Ray der interessierten Zuschauer gewahr wurde, und Ella, die vor Staunen erstarrte, vernahm den hellen Klang seines Lachens.

      »Ich begreife nicht ... Kennen Sie die Dame, Herr Gordon?«

      »Dem Namen nach wohl«, sagte Dick trocken. »Sie heißt Lola Bassano.«

      »Ist sie eine Dame?«

      Dicks Augen zwinkerten. »Elk verneint es, aber Elk hat übernommene Vorurteile. Sie besitzt Reichtum, Erziehung und Wissen. Ob diese drei Trümpfe genügen, um eine Lady zu machen, weiß ich nicht.«

      Ella saß mit wirbelnden Sinnen still.

      »Ich glaube, Sie brauchen Hilfe für Ihren Bruder?« sagte Dick. »Nicht wahr, er macht Ihnen Angst?«

      Sie nickte. »Es ist auch mir ein Rätsel. Ich kenne alle Details über ihn, sein Gehalt und seine merkwürdige Maskerade unter einem andern Namen. Das alles würde mir keine Sorgen machen, denn junge Leute haben diese Art von Geheimnissen gern. Nur sind sie unglücklicherweise teure Geheimnisse. Und ich mochte wissen, wie er es sich leisten kann, seine neugewonnene Stellung aufrechtzuerhalten.«

      Dick erwähnte eine Summe, die bewirkte, daß Ella mit staunend geöffneten Lippen reglos sitzen blieb. »Ja, das kostet es«, sagte Dick. »Elk, der eine Leidenschaft für genaue Einzelheiten hat und der auf den Penny weiß, was zum Beispiel dieser Reitanzug kostet, hat mir diese Angaben geliefert.«

      Sie unterbrach ihn mit einer so verzweifelten Geste, daß er sich brutal vorkam. »Was kann ich tun? Was kann ich tun?« fragte sie. »Jeder will mir helfen. Sie, Herr Johnson, und ich glaube auch Herr Elk. Aber es ist unmöglich. Es mag Ihnen vielleicht komisch vorkommen, daß ich in solche Aufregung über Rays dumme Streiche gerate, aber es bedeutet für Vater und mich ja so viel.« Als habe sie seine Gedanken erraten, fragte sie plötzlich: »Ist sie eine liebe Person, das Fräulein Bassano? Ich meine, ist sie jemand, mit dem Ray bekannt sein darf?«

      »Sie ist sehr reizvoll«, antwortete Dick nach einer Pause.

      Sie bemerkte sein Ausweichen und führte das Gespräch nicht weiter. Sie kam auf ihre Unterredung mit Ezra Maitland zu sprechen, und er hörte ihren Bericht an, ohne Überraschung zu äußern.

      »Er ist ein ungeschliffener Diamant«, sagte er. »Elk weiß etwas über ihn, aber er will es mir nicht verraten. Elk liebt es, seine Vorgesetzten zu mystifizieren, er tut es beinahe noch lieber, als einen Verbrecher zu entdecken.«

      »Warum trägt Maitland Handschuhe im Büro?« fragte Ella.

      »Handschuhe? Das habe ich nie gewußt«, sagte er überrascht.

      »Als er die Hand hob, um seinen Bart zurückzustreichen, habe ich es gesehen. Und ich habe auch gesehen, daß er auf dem linken Handgelenk eine Tätowierung trägt. Sie kam gerade noch unter dem Rand des Handschuhs hervor. Und es war unverkennbar der Kopf eines Frosches.«

      »Sind Sie sicher, sich das nicht nur eingebildet zu haben, Fräulein Bennett?« fragte Dick. »Ich fürchte, der Frosch macht uns nervös.«

      »Aber ich stand nur wenige Schritte von ihm entfernt«, beharrte sie.

      »Haben Sie mit Johnson darüber gesprochen?«

      Sie schüttelte den Kopf.

      »Aber ich erinnere mich jetzt, daß auch Ray gesagt hat, Herr Maitland trage Sommer und Winter Handschuhe.«

      Dick war wie vor den Kopf geschlagen. Es war doch unwahrscheinlich, daß dieser Mann, das Haupt einer großen Finanzgruppe, mit einer Bande von Landstreichern im Bunde sein sollte. »Wann kommt Ihr Bruder nach Horsham?« fragte er ablenkend.

      »Am Sonntag«, sagte das Mädchen. »Er hat Vater versprochen, mit uns zu essen.«

      »Vielleicht wäre es dann möglich, mich als vierten zu laden?«

      »Sie werden der fünfte sein«, lächelte sie. »Herr Johnson kommt auch. Der arme Johnson fürchtet sich vor Vater. Ich glaube, die Angst ist gegenseitig. In dieser Beziehung ähnelt Vater Herrn Maitland, auch er mag Fremde nicht leiden. Aber auf alle Fälle lade ich Sie ein.«

      Des Abends kam Elk, als Dick gerade im Begriff war, sich fürs Theater umzukleiden. Dick erzählte ihm von Ellas Verdacht. Zu seiner Überraschung nahm Elk die aufregende Theorie recht kühl auf.

      »Es wäre möglich«, sagte er, »aber es ist auch möglich, daß es gar kein Frosch ist. Der alte Maitland war in seiner Jugend Matrose, wenigstens sagt das die einzige Biographie von ihm, die existiert. Vor zwölf Jahren erschien eine halbe Spalte über ihn, als er Lord Maisters Bauplatz auf dem Embankment kaufte und sein Büro zu vergrößern begann.«

      In dieser Woche war Dicks Aufmerksamkeit durch einen ungewöhnlichen Vorfall von den Fröschen abgelenkt worden. Am Dienstag hatte der Sekretär des Auswärtigen Amtes nach ihm geschickt, und er war zu seiner Überraschung von dem höchsten Herrn des Departement persönlich empfangen worden.

      »Hauptmann Gordon«, sagte der Minister, »ich erwarte aus Frankreich die Kopie des Handelsvertrages, der zwischen uns, der französischen und der italienischen Regierung geschlossen werden soll. Es ist sehr wichtig, daß dieses Dokument wohl bewacht wird, weil, wie ich Ihnen im Vertrauen sagen kann, es von einer Revision der Tarifaufstellung handelt. Es ist von höchster Wichtigkeit, daß der Bote des Königs, der den Vertrag überbringt, auf das peinlichste bewacht wird, und ich wünsche, den gewöhnlichen Polizeidienst zu ergänzen, indem ich Sie ihm nach Dover entgegenschicke. Es ist ein bißchen außerhalb Ihrer Pflichten gelegen, aber Ihr Nachrichtendienst während des Krieges mag mir zur Entschuldigung dienen, wenn ich diese Verantwortung auf Ihre Schultern lege. Drei Mitglieder der französischen und der englischen Geheimpolizei werden ihn nach Dover begleiten, während Sie und Ihre Leute den Wachdienst übernehmen werden. Und Sie werden persönlich zugegen sein, bis das Dokument in meinem eigenen Safe deponiert wird.«

      Wie so viele wichtige Aufgaben, erwies sich auch diese als absolut uninteressant. Der Bote wurde auf dem Kai von Dover abgeholt, in ein Pullmankupee geleitet, das für ihn reserviert worden war, und zwei Leute von Scotland Yard patrouillierten auf dem Lauf gang.

      Beim Victoriabahnhof empfing ein von einem Polizeichauffeur gesteuertes und von Bewaffneten begleitetes Auto Dick und den Boten und fuhr sie nach Calden Garten. Der Sekretär des Auswärtigen Amtes prüfte sorgfältig die Siegel und legte das Kuvert dann in Gegenwart Dicks und des Detektivinspektors, der die Eskorte befehligt hatte, in den Safe. Der Auswärtige Minister sagte, nachdem alle Besucher außer Dick ihn verlassen hatten, mit einem feinen Lächeln: »Ich glaube kaum, daß unsere lieben Freunde, die Frösche, daran besonderes Interesse