und Rolf waren sofort argwöhnisch.
»Siehst du, es ist doch ganz schlimm«, jammerte Liza, an den Bruder gewandt.
»Das ist doch noch gar nicht heraus«, hielt Rolf ihr entgegen. Aber auch er fühlte plötzlich einen Kloß im Hals.
Da vernahmen die beiden das vertraute, quietschende Geräusch der Gartentür und rasten aus dem Haus. »Mutti! Mutti«, riefen beide und liefen der Mutter entgegen.
Marianne Timbre zauberte ein schwaches Lächeln auf ihr erschöpftes Gesicht. Sie küsste die beiden Kinder zärtlich.
»Bist du arg krank?«, fragte Liza ängstlich.
Eigentlich hatte die Mutter den Arztbesuch vor den Kindern geheim halten wollen, doch das ging nun nicht mehr.
»Ich weiß noch gar nicht, ob mir überhaupt etwas fehlt«, beruhigte sie die Kinder.
»Wann weißt du es denn?«, fragte Rolf.
»Vielleicht in ein paar Tagen. Ich muss erst gründlich untersucht werden, und das dauert einige Tage«, erklärte die Mutter.
»Wieso musst du dich so lange untersuchen lassen, wenn du vielleicht gar nicht krank bist«, fragte Liza verständnislos.
Marianne Timbre beugte sich herab und wollte ihre kleine Tochter auf den Arm nehmen. Doch beim Heben verspürte sie einen so stechenden Schmerz, dass sie Liza schnell wieder auf den Boden stellte. »Kommt, wir wollen zu Mittag essen. Anschließend schreiben wir Ramona einen Brief.«
Neugierig schaute Rolf auf. »Was schreiben wir ihr denn?«
»Wir werden sie fragen, ob sie uns nicht besuchen will«, erwiderte die Mutter.
Begeistert klatschte Liza in die Hände. »Das ist toll! Hast du gehört, Rolf, Ramona wird uns besuchen.«
»Ob sie wirklich kommt, wissen wir doch noch gar nicht«, belehrte Rolf seine Schwester. »Mutti will sie ja erst fragen. Soll sie deswegen kommen, weil du krank bist, Mutti?« Mit großen ernsten Augen forschte der Junge im Gesicht seiner Mutter.
Marianne Timbre zögerte sekundenlang mit der Antwort. Dann entschied sie sich für die Wahrheit. »Ja, das ist der Grund«, bestätigte sie. »Damit ich euch nicht immer allein lassen muss, wenn ich zum Arzt gehe oder mich hinlegen will.«
Der Brief an Ramona wurde nicht sehr lang. Marianne teilte ihrer Tochter in wenigen Worten mit, dass sie krank sei und Ramonas Hilfe brauche. Alles andere wollte sie ihr mündlich sagen, denn sie fühlte sich einfach nicht kräftig genug, einen längeren Brief zu schreiben.
*
Ramona erhielt den Brief der Mutter einen Tag später. Verwundert las sie die wenigen Zeilen und setzte sich dann nachdenklich ans Fenster.
»Gehst du heute nicht zur Vorlesung, Ramona?«, fragte die Tante, als sie Ramona gedankenverloren im Wohnzimmer sitzen sah, obwohl sie schon längst hätte unterwegs zur Universität sein müssen.
Ich glaube nicht«, erwiderte Ramona. Dann zeigte sie ihrer Tante den Brief der Mutter.
Langsam, Wort für Wort las die Tante den Brief. »Es ist doch sonst nicht Mariannes Art, so knapp zu schreiben«, stellte sie ebenfalls nachdenklich fest. »Schade, dass ich schon alt und gebrechlich bin. Ich würde dich sonst begleiten oder an deiner Stelle zu Marianne fahren.«
Ramona schüttelte den Kopf. »Nein, Tantchen, das ist meine Aufgabe. Mama braucht mich, und deshalb werde ich auf dem schnellsten Weg nach Hause fahren.« Sie trat zum Telefon, um sich die Abfahrtszeiten der nächsten Züge durchgeben zu lassen.
Mit Tränen in den Augen verabschiedete sich Ramona zwei Stunden später von der Tante. Ihre blauen Augen, die einen reizvollen Kontrast zu dem dunklen Haar bildeten, blickten nachdenklich und sehr ernst. Zum ersten Mal überlegte sie jetzt, ob es richtig gewesen war, in Heidelberg zu studieren. Aber schließlich war es die Mutter selbst gewesen, die ihr vor sechs Jahren geraten hatte, in Heidelberg zu studieren und bei der Tante zu wohnen. Das war kurz vor der Heirat ihrer Mutter gewesen.
Als Ramona im Zug saß, überlegte sie, wie schon so oft, noch einmal, ob es vielleicht damals ihrem Stiefvater, Marc Timbre, nicht recht gewesen war, eine so große Tochter im Haus zu haben. Ramona hatte diese zweite Ehe der Mutter nie begriffen. Schließlich war Marc Timbre fast zehn Jahre jünger als die Mutter. Trotzdem musste es allem Anschein nach eine Liebesheirat gewesen sein. War es nicht eigenartig, dass sie ihren Stiefvater nie kennengelernt hatte? Doch sie musste zugeben, dass das allein ihre Schuld war, denn zu der Hochzeit war sie aus Trotz und Starrsinn nicht erschienen. Und nach drei Ehejahren hatte der Stiefvater dann dieses blendende Angebot in Südafrika bekommen.
Ramona rechnete nach. Zweieinhalb Jahre lebte er nun schon von seiner Familie getrennt. In einem halben Jahr musste sein Vertrag abgelaufen sein.
Ramona war so in ihre Überlegungen vertieft, dass sie erschrocken auffuhr, als der Zug auf dem Frankfurter Hauptbahnhof hielt. Schnell schlüpfte sie in ihren Mantel und angelte den Koffer aus dem Gepäcknetz. Da sie umzusteigen hatte, musste sie sich beeilen, um den Anschlusszug nicht zu verpassen.
Endlich war es dann so weit, dass sie in ihrer Heimatstadt aus dem Zug stieg. Mit einem Taxi erreichte sie das Elternhaus schon nach zehn Minuten.
Während der ganzen Fahrt hatte Ramona vor allem an die Mutter gedacht. Jetzt galten ihre ersten Gedanken Liza und Rolf.
Da öffnete sich auch schon die Haustür, und die Geschwister kamen herausgestürmt. »Sie ist es! Sie ist es«, rief eine lebhafte Jungenstimme.
Ramona stellte den Koffer ab und wartete, bis die beiden bei ihr waren. Rolf fiel ihr zuerst um den Hals, aber gleich darauf war Liza da und streckte Ramona ihre Ärmchen entgegen.
Ramona ging in die Hocke und umarmte beide gleichzeitig. Als sie die weichen Kindergesichter an ihrer Wange fühlte, spürte sie plötzlich einen drückenden Kloß im Hals. Wie lieb die beiden waren!
Sie küsste beide zärtlich und nahm sie dann bei der Hand, um mit ihnen zum Haus zu gehen.
»Der Koffer?«, erinnerte Rolf. Aber da war auch schon die Haushälterin da, um sich um das Gepäck zu kümmern. Scheu begrüßte sie das junge Mädchen, das ihr noch unbekannt war.
»Schön, dass du das bist«, flüsterte Liza der großen Schwester zu, als sie das Haus betraten.
Ramona strich ihr zärtlich über die blonden Locken. Ob sie die von ihrem Vater hatte? »Wo ist Mama?«, erkundigte sie sich.
»Mutti liegt im Bett«, antwortete Rolf. »Soll ich dich zu ihr bringen?«
Ramona nickte. Überrascht betrachtete sie die große Halle. Das Haus hatte sich auf erstaunliche Weise verändert. Früher war es ihr viel kleiner und enger vorgekommen, nicht so weiträumig. Doch dann fiel ihr ein, dass ihr Stiefvater ja Architekt war. Das erklärte alles.
Liza und Rolf blieben hinter ihr, als Ramona das Schlafzimmer der Mutter betrat. Ihr Schritt stockte, als sie die magere bleiche Gestalt in den Kissen gewahrte.
Das konnte doch nicht Mama sein! Mit einem schmerzlichen Laut in der Kehle, den sie zu unterdrücken versuchte, stürzte Ramona zum Bett. »Mama, liebe Mama!«
Die Mutter streckte die Arme aus und umfing ihre große Tochter zärtlich. »Danke, dass du gekommen bist«, flüsterte sie.
Liza und Rolf standen andächtig daneben. Sie fühlten keinerlei Eifersucht. Als Ramona sich auf der Bettkante niederließ, gingen sie zur anderen Seite des Bettes und setzten sich ebenfalls auf den Rand.
»Mutti liegt schon den ganzen Tag im Bett«, berichtete Rolf der großen Schwester.
Besorgt betrachtete Ramona das Gesicht der Mutter. »Warst du schon beim Arzt, Mama?«
Die Mutter nickte. »Ich soll von Kopf bis Fuß gründlich untersucht werden. Aber so etwas braucht seine Zeit. Jede einzelne Untersuchung nimmt fast einen ganzen Vormittag in Anspruch.«
Ramona nickte. Sie studierte Medizin. Deshalb ängstigte sie auch die