»Es hat mich nur so erschüttert, weil ich nicht darauf vorbereitet war«, entschuldigte er sich.
Da betraten Liza und Rolf das Haus. Beide trugen eine Handvoll gelber Zweige. »Sind sie nicht schön?«, fragte Liza zaghaft.
»Sehr schön«, bestätigte Ramona und nahm den Kindern die Zweige ab, um sie in eine Vase zu stellen.
Marc schaute ihr nach, als sie aus dem Zimmer ging. So musste Marianne als junges Mädchen ausgesehen haben, dachte er. Doch damals hatte er sie noch nicht gekannt. Der Gedanke an die geliebte Frau stürzte ihn wieder in Hilflosigkeit und Verzweiflung.
Vorsichtig kam Liza zu ihm und streichelte mit ungeschickten Kinderhänden seinen gebeugten Kopf. »Bist du traurig, Papi?«, fragte sie leise.
Er schaute auf. »Nicht, wenn du bei mir bist, Liza«, sagte er zärtlich und zog sie auf seinen Schoß.
Dankbar kuschelte sie sich an seine Brust. »Bleibst du jetzt immer bei uns?«
»Aber natürlich! Wie könnte ich euch jemals wieder allein lassen?«
»Ramona hat auch versprochen, nie mehr von uns fortzugehen«, sagte das Mädchen ernst.
Nachdenklich blickte der Vater sie an.
»Magst du Ramona nicht?«, fragte Liza ängstlich.
Da wurde ihm klar, wie sehr die Kinder an der großen Schwester hingen. Aber noch bevor er Lizas Frage beantworten konnte, öffnete sich die Tür, und Ramona trat wieder ein.
Marc erhob sich. »Ich habe noch einige Formalitäten bezüglich meines Passes zu erledigen«, sagte er und holte seinen Mantel. »Ich bin bald wieder da.« Er bat Ramona um die Autoschlüssel und verließ das Haus.
»Glaubst du, dass es Papi zu Hause besser gefällt als in Afrika?«, fragte Liza ihre große Schwester.
»Das glaube ich bestimmt«, erwiderte Ramona. Doch wenn sie ehrlich sein sollte, dann musste sie sich eingestehen, dass sie dessen gar nicht so sicher war. Ihr Stiefvater benahm sich sehr seltsam und machte nicht den Eindruck, als fühle er sich in seinem eigenen Haus wohl. Doch es war ja schließlich auch keine normale Situation, in der sie sich alle befanden. »Er hat uns versprochen, immer bei uns zu bleiben.« Liza schaute Ramona mit einem Blick an, der weit über ihr Alter hinauszugehen schien.
»Das wird er auch. Aber deswegen muss er tagsüber trotzdem arbeiten. Alle Väter müssen das und kommen erst abends nach Hause«, erklärte Ramona.
»Dann sind wir ja den ganzen Tag allein«, entgegnete Liza hilflos.
»Ramona ist doch bei uns«, mischte sich Rolf ein. »Nicht wahr, Ramona, du wirst uns nie allein lassen?«
Ramona bestätigte es den Geschwistern noch einmal.
»Dann wirst du tagsüber bei uns sein, so wie Mutti? Und abends kommt dann Vati nach Hause?«, vergewisserte sich Liza.
Automatisch nickte Ramona. Aber sie fühlte sich plötzlich unsicher. Was würde ihr Stiefvater zu dem Bild sagen, das sich die Kinder da ausmalten?
»Das wäre schön. Dann wären wir endlich wieder eine richtige Familie«, seufzte Rolf.
Eine richtige Familie, dachte Ramona. Das ist es, wonach die Kinder sich sehnen. Was aber, wenn der Stiefvater wieder heiratete? Würden Liza und Rolf jemals eine Stiefmutter akzeptieren? Der Gedanke, dass sie dann gehen und ihre Geschwister einer Stiefmutter überlassen müsste, blitzte ganz unerwartet in Ramona auf und peinigte sie maßlos. Sie hatte der Mutter versprochen, bei den Kleinen zu bleiben. Auch Liza und Rolf nahmen das gegebene Versprechen ernst und erwarteten, dass sie ihr Wort halte.
Ramona sah unerwartete Schwierigkeiten auf sich zukommen. Sie flehte zu Gott, dass er alles in die richtigen Bahnen lenken möge. Wie dies jedoch vor sich gehen sollte, wusste sie selbst nicht.
Plötzlich wurde sie sich bewusst, dass Liza und Rolf sie prüfend betrachteten. Sie versuchte ihrer Stimme einen festen Klang zu geben, als sie die Kinder zum Händewaschen schickte. Dann ging sie in die Küche, um nachzusehen, wie weit das Abendessen war.
»Ich finde, dass Ramona sich gar nicht richtig darüber freut, dass wir jetzt immer beisammen bleiben«, sagte Liza zu dem Bruder, während sich die beiden die Hände wuschen.
Rolf nickte. »Sie hat sich überhaupt so komisch benommen. »Wir sollten lieber mit Papi darüber sprechen, bevor irgendetwas schiefgeht.«
»Ja, sonst geht einer von den beiden fort, und dann sind wir wieder keine Familie«, pflichtete Liza dem Bruder bei.
»Seid ihr so weit?«, fragte Ramona und steckte den Kopf zur Badezimmertür herein. »Das Abendessen ist bereits aufgetragen.«
»Ist Papi schon da?«, wollte Liza wissen.
Ramona schüttelte den Kopf. »Er ist noch nicht zurück.«
»Aber wir können doch nicht ohne ihn essen«, rief Rolf entrüstet aus.
»Es ist schon spät, und ihr müsst ins Bett«, sagte Ramona sanft. »Morgen ist Samstag, da habt ihr euren Papi den ganzen Tag für euch.«
Diese Aussicht beruhigte die Kinder einigermaßen. Folgsam setzten sie sich an den Abendbrottisch.
Doch bei jedem Geräusch, das sie außerhalb des Hauses vernahmen, wanderten ihre Blicke automatisch zur Tür.
Aber sie waren bereits gebadet und hatten schon ihre Schlafanzüge an, als der Vater endlich heimkam. Ramona hatte gerade ihre Gutenachtgeschichte beendet und wollte das Licht löschen. Aber daran war nicht mehr zu denken, sobald Rolf das Geräusch des vorfahrenden Wagens gehört hatte. Mit einem Satz war er wieder aus dem Bett und lief aus dem Zimmer.
»Möchtest du auch noch Gute Nacht sagen?«, fragte Ramona ihre Schwester.
Dankbar nickte Liza.
»Na, dann komm!« Ramona nahm Liza auf den Arm und ging mit ihr hinunter.
Rolf saß neben seinem Vater am Tisch und flüsterte ihm etwas ins Ohr.
»Darüber sprechen wir morgen, hm?«, versprach Marc seinem Sohn liebevoll. Er machte einen abgespannten Eindruck.
»Liza möchte dir auch noch Gute Nacht sagen«, mischte Ramona sich in die Unterhaltung zwischen Vater und Sohn ein.
Liza schlang die Arme um den Hals ihres Vaters und drückte ihm einen langen Kuss auf die Wange.
Sanft streichelte er ihr Haar. »Gute Nacht, mein Liebling, schlaf gut.«
Dann bekam auch Rolf einen Kuss, und Ramona brachte die Kinder wieder nach oben in ihr Zimmer. Als sie zurückkam, saß Marc in der abgeteilten Hälfte des großen Wohnraumes, die als Arbeitszimmer eingerichtet war. Vor ihm lag ein Stoß Papiere, die er sorgfaltig durchlas.
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