Bettina Clausen

Sophienlust Classic 40 – Familienroman


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da sei. Schließlich bat sie ihn in einem Telegramm, unverzüglich zu kommen, weil er sonst seine Frau nicht mehr lebend anträfe.

      Doch es war schon zu spät. An einem milden Tag voller Wärme und Sonne, der neues Leben und Wachsen verhieß, schlief Marianne für immer ein. Es wirkte wie ein Beispiel für den ewigen Kreislauf von Kommen und Gehen.

      Ihre letzte Stunde war voller Frieden und Ruhe. Sie hatte mit dem Leben abgeschlossen und die Kinder an ihr Bett gebeten. Liza und Rolf bei den Händen haltend, ruhten ihre Augen in den letzten Minuten auf Ramona. »Versprich mir, bei ihnen zu bleiben und auf sie achtzugeben«, bat sie.

      Ramona nickte mit tränenblinden Augen.

      Und kümmere dich um Marc. Er hat jetzt nur noch die Kinder«, flüsterte die Mutter mit schon ersterbender Stimme. Ihr Blick liebkoste ein jedes Kind ein letztes Mal, dann schloss sie friedlich die Augen.

      Liza und Rolf schauten die große Schwester fragend an. Mit tränenüberströmtem Gesicht nickte Ramona. Da traten die Kinder lautlos zu ihr und bargen ihre Gesichter an der Brust der großen Schwester. Ramona spürte die Berührung der kleinen Körper, die sich schutzsuchend an sie schmiegten, und umschloss sie fürsorglich mit beiden Armen. Lange Zeit verharrten sie so, schweigend und schutzbedürftig aneinandergepresst.

      Endlich führte Ramona die Kinder hinaus und brachte sie selbst zu Bett. Keine Minute wich sie von ihrer Seite. Die Beschäftigung mit ihnen lenkte sie für kurze Zeit ab. Erst als sie die regelmäßigen Atemzüge der beiden vernahm, verließ sie das Kinderzimmer.

      Eine unstillbare Sehnsucht zog Ramona noch einmal zu dem Zimmer der Mutter. Sie setzte sich neben das Bett und hielt schweigend Wache. Nur der Gedanke an die Kinder und die Bitte der Mutter, auf sie achtzugeben, hielt sie aufrecht. Nur in Liza und Rolf sah sie jetzt den Sinn ihres Lebens. Sie war dem Schicksal dankbar für die Geschwister, die das Einzige waren, was ihr von der Mutter geblieben war. Die Liebe zu den beiden hilflosen kleinen Wesen würde ihr helfen, den Verlust zu überwinden.

      *

      Marc Timbre traf an dem Tag in der Heimat ein, an dem seine Frau beigesetzt wurde. Auf Ramonas Telegramm hin war er unverzüglich abgereist. Dass es schon zu spät war, wusste er noch nicht.

      Ein Taxi brachte ihn vom Flughafen zu seinem Haus. Verwundert betrachtete er das ruhig und unbewohnt aussehende Haus. Auf sein Läuten hin öffnete niemand. Er drückte die Klinke der Gartentür herunter, die nachgab. Auch die Haustür war nicht verschlossen.

      Marc trat ein. Erschrocken fuhr er zusammen, als er die schwarz gekleidete Gestalt aus der Küche kommen sah. Erst nach genauerem Hinsehen erkannte er die alte Haushälterin.

      Die alte Frau begann bitterlich zu weinen, als sie ihren Herrn erkannte.

      Mit zwei Schritten war Marc an ihrer Seite. »Wo ist meine Frau?«, brachte er mühsam hervor.

      Die alte Frau gab keine Antwort. Sie schaute ihn nur an.

      Marc brauchte keine Auskunft mehr. Er wusste nun, was geschehen war. Tief in seinem Inneren begann der Schmerz zu wühlen. Er presste die Hände vors Gesicht und war sich nicht bewusst, dass sein Körper von schluchzenden Stößen geschüttelt wurde.

      Die alte Haushälterin nahm ihn sacht beim Arm und führte ihn zu einem Stuhl. Stumm stand sie dann neben ihm.

      So schnell, wie der Schmerzensausbruch gekommen war, so rasch ging er auch vorüber. Beschämt blickte Marc auf.

      »Ich gehe zur Beerdigung. Kommen Sie mit?«, fragte die Haushälterin schüchtern. Der Zusammenbruch dieses starken Mannes hatte sie verwirrt.

      Marc schaute überrascht auf. »Sie ist noch nicht beigesetzt?«

      »Nein. Das Begräbnis ist heute. Wir kommen sicher schon zu spät«, belehrte ihn die alte Frau.

      Wie unter einer zentnerschweren Last erhob er sich, um zum Friedhof zu gehen.

      Der Pfarrer sprach gerade die letzten Worte, als Marc und die Haushälterin an dem offenen Grab ankamen.

      Ein überraschtes Murmeln ging durch die Reihen der Trauergäste, als Marc zum Rand des Grabes vordrang. Erstaunte und neugierige Blicke folgten ihm. Doch Marc nahm nichts davon wahr. Er hörte nicht die letzten Worte des Pfarrers, bemerkte nicht, wie die Menge sich auflöste, sondern starrte nur unentwegt auf das sich allmählich mit Erde füllende Grab. Er schaute erst auf, als er vorsichtig am Arm berührt wurde. Neben ihm stand ein kleiner Junge und schaute ihn mit großen Augen fragend an.

      Sekundenlang starrte Marc in die bekannten Gesichtszüge. Mein Sohn, durchzuckte es ihn dann. »Rolf!« Er beugte sich hinab und nahm den Jungen auf den Arm.

      Rolf schlang seine Arme um den Hals des Vaters und murmelte unter Tränen immer nur das eine Wort, das er so lange hatte entbehren müssen: »Papi, Papi, Papi!«

      Während Marc das Haar seines Sohnes streichelte, sah er Liza auf sich zukommen. Er stellte Rolf auf den Boden, um sein Töchterchen in die Arme schließen zu können. Erst als er sie auf dem Arm hielt, sah er, dass ihre hübschen blauen Augen vom vielen Weinen verquollen waren und sich auch jetzt wieder mit Tränen füllten. »Mein Liebling«, flüsterte er und hielt sie fest umfangen.

      »Ich möchte weg von hier«, flehte Liza.

      Erst da gewahrte Marc, dass außer ihnen und einer jungen Frau niemand mehr am Grab stand. Er behielt Liza auf dem Arm und führte Rolf mit der anderen Hand. Langsam gingen sie dem Ausgang des Friedhofes zu.

      Ramona ging drei Schritte vor ihnen. Sie wollte das Wiedersehen zwischen dem Vater und den Kindern nicht stören. Erst bei ihrem Wagen, der gleich beim Ausgang stand, blieb sie stehen und wartete auf Marc und die Kinder.

      Wie um sich zu ihr zu bekennen, ließ Rolf die Hand seines Vaters los und trat zu seiner großen Schwester. »Ramona«, sagte er.

      Überrascht schaute Marc auf. Das ist also meine Stieftochter, dachte er. Er trat zu Ramona und hielt ihr seine Hand entgegen. »Ich bitte um Verzeihung, dass ich dich nicht sofort begrüßt habe«, murmelte er.

      Ramona ergriff die dargebotene Hand. »Das macht doch nichts«, erwiderte sie tonlos. »Steigst du mit ein?«

      Marc nickte und setzte sich mit Liza auf den Rücksitz. Rolf nahm neben Ramona Platz.

      Schweigend legten sie den Weg nach Hause zurück. Sie trafen gleichzeitig mit der alten Haushälterin ein. Ramona ließ den Wagen vor der Garage stehen und stieg aus.

      Während die Haushälterin Marc und den Kindern im Wohnzimmer eine Erfrischung servierte, begab sich Ramona auf ihr Zimmer. Als sie von draußen einen Laut vernahm, trat sie zum Fenster.

      Ihr Stiefvater ging mit Liza und Rolf langsam durch den Garten. Ramona fiel auf, wie groß und breitschultrig er war. Seltsamerweise war er rein äußerlich nicht das, was man sich unter einem Familienvater vorstellte. Er hätte viel eher in ein Modejournal gepasst. Doch als Ramona dann seine gequälten Züge sah und die fürsorgliche Art, mit der er Liza und Rolf behandelte, schämte sie sich solcher Gedanken. Bestimmt hatte er ihre Mutter geliebt, und sie selbst hatte ihm all die Jahre hindurch Unrecht getan.

      Ramona löste sich vom Fenster und ging nach unten. Fast gleichzeitig mit ihr betrat Marc das Wohnzimmer. Liza und Rolf waren im Garten geblieben, um von dem Goldregen einige Zweige abzubrechen.

      Als Marc Ramona so unverhofft vor sich stehen sah, machte er unwillkürlich eine Bewegung auf sie zu und blickte sie lange an.

      Ramona erwiderte fragend seinen Blick.

      »Verzeih«, murmelte er schließlich und fuhr sich mit der Hand über die Augen, als wollte er ein imaginäres Bild fortwischen. Er schaute sie wieder an, und diesmal galt sein Blick ihr. Das spürte Ramona, und ihre Wangen begannen sich zu röten.

      Als er endlich zu sprechen begann, klang seine Stimme wie rostiges Eisen: »Es ist erschreckend, aber wenn ich dich ansehe, glaube ich, Marianne zu sehen. Hat dir noch niemand gesagt, dass du ihr wie aus dem Gesicht geschnitten bist? Die gleichen Augen, das gleiche Haar und derselbe Gesichtsschnitt. Sogar ihre Art zu gehen und dich zu