Pete, der rundliche Mann, nervös.
»Wie stellst du dir das vor?« fragte Hale und setzte das Glas ab. »Wir dürfen uns da unten nicht blicken lassen, Pete.«
»Saudummer Zufall«, stellte Pete fest. »Was machen wir jetzt?«
»Laß mich nachdenken. Die beiden Leute da unten werden bestimmt die Polizei alarmieren.«
»Scheinen schon verdammt betagte Leute zu sein, Hale.« Pete zündete sich eine Zigarette an. »Wenn du die Ski nimmst, bist du in ein paar Minuten unten.«
»Aber wir haben doch Befehl, uns nicht wegzurühren.« Hale blieb bei seinen Bedenken.
»Jetzt herrscht Ausnahmezustand«, meinte Pete nachdrücklich. »Ich nehm’s auf meine Kappe, Hale. Schnall dir die Bretter unter und zisch nach unten. Schau mal, was da jetzt läuft.«
Der rundliche Pete nahm wieder das Fernglas hoch und beobachtete das Ufer des kleinen, zugefrorenen Sees. Nach wenigen Sekunden nickte er seinem Partner Hale zu.
»Schwirr ab, denn wenn wir nichts tun, werden wir bestimmt Ärger bekommen.«
»Und ... Und was soll ich tun?« Hale wußte es ganz sicher, doch er wollte noch die letzte Bestätigung seines Partners Pete. Der Rundliche grinste vielsagend, sagte aber kein Wort.
»Komm mit«, forderte Hale ihn auf.
»Ich bleibe wegen des Telefons hier oben. Außerdem kann ich nicht besonders gut mit Skibrettern umgehen. Das weißt du doch. Beeil dich jetzt, bevor die da unten verschwinden!«
Hale hatte sich entschieden. Er lief in das kleine Holzhaus, kramte dort in seinem Gepäck herum und ging dann nach draußen. Wenig später erschien er vor der fast ebenerdigen Veranda und schnallte sich die Bretter unter. Er nickte seinem Partner Pete knapp zu und stieß sich dann mit den Skistöcken kraftvoll ab.
Pete beobachtete ihn durch das Glas, wechselte dann den Blickpunkt und konzentrierte sich auf die beiden Rodelfahrer. Sie waren inzwischen deutlicher zu erkennen, hatten sich den Schnee von ihrer Kleidung geklopft und sahen recht unterschiedlich aus. Es handelte sich da um eine sehr stämmige und große Frau, die doch tatsächlich von einem richtigen Butler begleitet wurde. Ein komisches Paar. So etwas hatte Pete schon seit Jahren nicht mehr gesehen. Er grinste unwillkürlich und war natürlich beruhigt. Dieses Duo konnte für Hale nur einen Klacks bedeuten.
Die Allee der Schneemänner war um diese Zeit völlig leer. Hale brauchte nur schnell und entschlossen zu handeln.
Pete ging in das kleine Ferienhaus zurück und langte nach dem Telefonapparat. Es wurde höchste Zeit, den »Falken« zu informieren. Anschließend wollte er sich dann auf den Weg machen, um Hale bei der Beseitigung zweier Winterurlauber zu helfen. Es galt, noch ein paar zusätzliche Schneemänner zu bauen.
*
Agatha Simpson stand zwischen den Trümmern des Rodelschlittens und schaute auf die Reste jenes Schneemannes, den sie über den Haufen gefahren hatte. Sie war sehr beeindruckt.
»Nun sagen Sie schon endlich etwas«, forderte sie ihren Butler auf, der die Reste des Schneegebildes mit der Spitze seines Universal-Regenschirms untersuchte. »Hatten Sie damit gerechnet?«
»Diese Frage, Mylady, kann ich mit dem besten Gewissen verneinen«, gab Josuah Parker würdevoll zurück. »Daß der Schneemann eine männliche Leiche enthielt, stand kaum zu erwarten.«
Parkers Worte entsprachen den Tatsachen.
Inmitten der Reste des Schneemannes lag ein Mann, der völlig normale Straßenkleidung trug. Er mochte vielleicht dreißig Jahre alt sein, war schlank und etwas über mittelgroß. Äußere Verletzungen ließen sich nicht erkennen.
»Wie lange mag die Leiche bereits im Schneemann gewesen sein?« fragte die Detektivin. »Ich glaube, Mister Parker, ich könnte jetzt einen Kreislaufbeschleuniger brauchen. Diese Überraschung ist mir doch in die Glieder gefahren.«
Josuah Parker war auf alle Eventualitäten eingerichtet. Er griff in die linke Innentasche seines schwarzen Covercoats und holte eine lederumhüllte, flache Flasche hervor, deren Verschluß als Becher diente. Parker servierte seiner Herrin ohne Hast einen guten, weichen Kognak, den Lady Agatha sehr gekonnt kippte.
»Der Mann ist natürlich ermordet worden«, stellte die Sechzigjährige dann fast erfreut fest. »Hätte man ihn denn sonst in einen Schneemann verpackt?«
»Ich möchte mir die Freiheit nehmen, mich Myladys Ansicht anzuschließen«, antwortete der Butler gemessen.
»Und was machen wir jetzt weiter?« Agatha Simpson baute sich neben der Leiche auf und beugte sich über sie. »Wann mag der Mann umgebracht worden sein?«
»Die Kälte dürfte genaue Schlüsse vorerst nicht zulassen«, antwortete Parker bedauernd. »Sie wirkt unfreiwillig als Konservator, was der oder die Mörderin wahrscheinlich mit einkalkuliert haben.«
»Ich möchte der Polizei nicht ins Handwerk pfuschen«, meinte Lady Simpson. »Nachdem Sie mir noch eine kleine Erfrischung gereicht haben, sollten Sie die Taschen des Toten untersuchen, Mister Parker.«
»Ich möchte nicht direkt widersprechen«, erwiderte Parker. »Mylady sollte aber den Skiläufer zur Kenntnis nehmen, der sich für meine Begriffe ein wenig zu verstohlen nähert.«
»Das klingt gut, Mister Parker. Wo steckt der Lümmel?« Die Detektivin hatte überhaupt keine Angst. Sie wirkte sogar äußerst unternehmungslustig. Sie hoffte auf eine Abwechslung, wandte sich um und suchte das Wäldchen oberhalb des Seeufers ab.
»Der bewußte Skiläufer ging gerade hinter einem Baum in Deckung, Mylady.« Auch der Butler ließ sich nicht aus der Ruhe bringen. »Man sollte vielleicht hinter den Schneemännern in Deckung gehen, wenn ich mir diesen Vorschlag erlauben darf.«
Bruchteile von Sekunden später war ein schwaches Geräusch zu vernehmen, als sei eine Weinflasche geöffnet worden. Gleichzeitig zischte dicht vor Lady Simpsons Füßen ein Geschoß auf das Eis, prallte ab und jaulte als Querschläger weiter in die winterliche Landschaft hinein.
Die Lady aber erwies sich als äußerst schnell. Sie schnaufte gereizt auf und hastete dann hinter einen noch intakten Schneemann, der ganz in ihrer Nähe stand. Es war glücklicherweise ein großer Schneemann, der sie zu schützen vermochte.
Josuah Parker wählte ein Schneegebilde aus, das aus quadratischen Blöcken bestand und ebenfalls ein Schneemann sein sollte. Hier mußte ein eigenwilliger »Bildhauer« am Werk gewesen sein. Parker präparierte seinen Universal-Regenschirm, der es im wahrsten Sinn des Wortes in sich hatte. Mit diesem Schirm ließen sich auch kleine Pfeile verschießen, die an Stopfnadeln erinnerten und deren Schaft zur Stabilisierung mit kleinen, bunten Federn besetzt war. Angetrieben wurden diese Geschosse mit komprimierter Kohlensäure, die sich in einer Stahlpatrone befand. Parker wartete nur darauf, daß der tückische Schütze sich zeigte.
Nun, er zeigte sich nicht, aber er schoß erneut.
Diesmal hatte er es auf Josuah Parker abgesehen. Das Geschoß riß ein Stück aus dem Schneemann und zwang den Butler in die Knie. Josuah Parker gefiel das gar nicht. Er haßte unnötige Anstrengungen.
»Hoffentlich tun Sie endlich etwas, Mister Parker«, ließ Lady Simpson sich unwillig vernehmen. »Zahlen Sie es diesem Flegel zurück!«
»Ich werde mich bemühen, Mylady«, antwortete der Butler und überlegte, wie er den Schützen, der mit einem Schalldämpfer arbeitete, überlisten könnte.
Alle erdenklichen Vorteile waren auf der Seite dieses Mannes dort oben zwischen den Bäumen. Er beherrschte von seinem Platz aus das Seeufer und auch die Allee der Schneemänner. Die Sicht war leider zu ausgezeichnet.
Mit Störungen war ebenfalls nicht zu rechnen. Um diese frühe Morgenzeit tummelten sich die Wintersportler auf den Hängen. Mit dem Bau weiterer Schneemänner war erst gegen Mittag zu rechnen. Solange aber konnte der Butler nicht warten.
Butler Parker war ein Mann, der auch auf eine gewisse Grundausstattung nie verzichtete. Die Erfahrung hatte