nach getaner Arbeit da, und Maria verbrachte dann mit Achilléas grübelnd den Abend in Ambelás alleine. Ihr waren die Veränderungen an Christos nicht entgangen, aber seine zunehmende Sehnsucht nach Ruhe und Abgeschiedenheit schob sie auf das Alter und den spürbaren Wandel auf ihrer Heimatinsel. Schon länger verfolgten sie mit Sorge die Entwicklung in Náoussa, dem einst so beschaulichen Hafenstädtchen. Die Mieten, in dem hipper werdenden Hot Spot auf Paros, waren ins Uferlose geschossen, getrieben von den Luxuslabeln einiger Modeketten, die ständig auf der Suche nach neuen, coolen Ladenlokalen waren und allmählich die noch verbliebenen alteingesessenen Geschäfte im Ort verdrängten. Das, was auf Mykonos schon vor vielen Jahren passiert war, schwappte jetzt auch nach Paros rüber. Zum Glück war der kleine Gemüseladen im Zentrum von Náoussa ihr Privateigentum, ansonsten wären sie wahrscheinlich längst den stetigen Mieterhöhungen zum Opfer gefallen. Erst vor ein paar Tagen hatte der Vertreter einer Brillen Edelmarke bei Christos angefragt und Unsummen für den winzigen Laden inmitten des Dorfes geboten. Christos hatte ihn, ohne lange zu überlegen, aus seinem Geschäft geschmissen. Es steckte viel Herzblut in dem seit Generationen in Familienhand befindlichem Kleinod, liebevoll bestückt mit allem was sein Garten hergab. Der Eingang beschattet von einem ausladenden Maulbeerbaum, der jeden Sommer seine dunklen, reifen Früchte achtlos auf die schmale Gasse schmiss.
Der weiträumige Gemüsegarten der Kentaris maß ein zehn Hektar umfassendes Areal, welches sie von Marias Eltern geerbt und in das sie in den letzten Jahren viel Zeit und Geld investiert hatten. Es besaß eine eigene Zisterne und ein engmaschiges Bewässerungssystem, um alle Nutzpflanzen ausreichend mit Wasser zu versorgen. Ein großer Teil der Fläche war mit uralten Olivenbäumen bepflanzt, die schon von Marias Großeltern bewirtschaftet wurden und deren vernarbte Stämme unzählige Jahreswechsel erlebt hatten. Urgesteine der Natur und alles Unikate mit herber Schönheit und geschichtsträchtigen Früchten. Der großzügige Garten lag nahe Marmara, einem von Landwirtschaft geprägtem Örtchen im Osten von Paros.
Christos passierte die Ortschaft und fuhr in Richtung Molos auf der leicht ansteigenden, asphaltierten Straße weiter, jetzt war er fast am Ziel. Kurz hielt er noch an und ließ seinen Blick über die grüne Oase der Kentaris schweifen, ein lauschiger Bambushain grenzte das Grundstück zur Straße ab.
Routiniert legte er sich die ledernen Handschuhe bereit und holte sich eine Harke aus dem Schuppen. Sein Kapernreich lag in einem von zahlreichen Mauerresten durchsetzen Gebiet seines Gartens. Nur durch Zufall hatte er die wildwachsenden Pflanzen gefunden, als er in jungen Jahren seine Leidenschaft für den Gemüseanbau entdeckt hatte. Damals gab es nur eine Handvoll der dornigen Sträucher, die in dem kargen Winkel des Grundstückes ihr Dasein fristeten. Über die Zeit hatte er sie mühsam vermehrt und ein lukratives Geschäft daraus entwickelt. Aber es war weit mehr als nur das Geschäftliche, was Christos mit seinem Stück Land verband, seine Liebe zur Natur und Landwirtschaft, der stetige Wechsel zwischen Aufzucht und Ernte, das war sein Leben, in das er gerne seine ganze Energie hineinsteckte. Einen Beruf in geschlossenen Räumen auszuüben, war für ihn nie eine Option gewesen. Zu seinen Kapernbüschen hatte er im Laufe der Zeit ein ganz besonderes Verhältnis entwickelt, das für Außenstehende fast einem Ritual gleichkam. Die Sträucher waren seine Passion und nicht nur, weil er die fermentierten Knospen kulinarisch außerordentlich schätzte, er war auch von der Robustheit der Pflanzen fasziniert, die selbst bei der sommerlichen Gluthitze dunkel grün erstrahlten, so als könnte ihnen nichts in der Welt etwas anhaben. Über die Jahre hatte er die wenigen Wildpflanzen zu einer beachtlichen Plantage weiterentwickelt und sich nach und nach den Verarbeitungsprozess angeeignet. Der Erfolg hatte sich recht schnell eingestellt.
Christos öffnete den Kühlschrank, dessen Kompressor unentwegt vor sich her brummte. In der kargen Hütte hatte er sich im Laufe der Zeit eingerichtet, um nicht ständig ins Dorf fahren zu müssen. So griff er nach einem Glas, das eine grünliche Paste enthielt, schraubte den Deckel auf und sog das intensive Aroma ein. Aus einem kleinen Holzkasten holte er ein in einem Handtuch eingewickeltes Brot und schnitt sich mit einem scharfen Messer einen groben Kanten davon ab. Liebevoll bestrich er die Scheibe Brot mit seiner Kaperncreme, die neben den eingelegten Blütenknospen auch Feta, Tomaten sowie Petersilie enthielt. Maria produzierte den herzhaften Brotaufstrich regelmäßig für ihren Laden in Náoussa, Christos verbrachte keinen Tag in seinem Garten ohne diesen köstlichen Appetizer.
Nachdem er sich genüsslich gestärkt hatte, machte er sich an die Arbeit, vor ihm mehrere Reihen mit der Gewürz- und Heilpflanze, die er Meter für Meter abschritt. Besonders stolz war Christos auf die Tatsache, dass es sich bei seiner Pflanzung ausschließlich um Wildkapern handelte. Wildwachsende Kapernsträucher zeichnen sich im Vergleich zu Zuchtkapern durch ihre außerordentliche Widerstandsfähigkeit aus, dafür war der Ertrag meist etwas geringer. Auch äußerlich gab es einige Unterscheidungsmerkmale, er erkannte sie sofort. So befanden sich an den runden, sich über der Erde ausbreitenden Sträuchern zahlreiche Dornen, von denen die Pflanze auch seinen Namen hatte. Es sei ein Stück Kulturgut, so verstand es der Bauer, dass es zu pflegen galt und was er an Touristen, die in seinem Laden einkauften, stets mit auf den Weg gab.
Christos streifte sich die abgegriffenen Arbeitshandschuhe über und begann mit einer Harke den Boden aufzulockern, staubige, trockene Erde, die für viele Pflanzen keinen Lebensraum bot, weil sie so gut wie kein Wasser enthielt. Nicht aber für seine Kapernsträucher, die genügsamen Pflanzen kamen mit wenig Wasser aus.
Die Kraft der Sonne hatte mittlerweile zugelegt, in wenigen Stunden würde sie ihren höchsten Stand erreicht haben, obwohl der aufbrausende Wind die Hitze ein wenig milderte. Christos konzentrierte sich ganz auf seine Plantage, nur selten wurde die Stille vom Lärm vorbeifahrender Mopeds unterbrochen. Letzte badehungrige Touristen, die auf dem Weg nach Molos waren und endlich die naturbelassene Bucht nicht mehr mit unzähligen Urlaubern teilen mussten.
KATHARINA WALDMANN
AMBELÁS, PAROS, SÜDLICHE ÄGÄIS, SEPTEMBER 2016
Katharina ging neugierig zu ihrer Haustür, da klingelte es bereits zum zweiten Mal.
»Filippos, du hier?« Sie schaute in das verlegene Gesicht ihres Stellvertreters, dem es unangenehm zu sein schien, sie an ihrem freien Tag zu belästigen.
»Entschuldige, aber wir haben eine Tote«, stammelte er, »ganz hier in der Nähe.«
»Was? Wo genau?« Katharina war augenblicklich hellwach.
»In der kleinen Bucht am Thalassa. So wie es aussieht, ist sie ertrunken. Spanópoulos war schon da und hat sich die Leiche angesehen. Er will sie später nach Athen bringen lassen. Da dachte ich, dass es besser sei, dich zu informieren«.
»Das war richtig von dir.« Sie warf ihre Gartenhandschuhe auf eine im Flur stehende Kommode und zog ihre Schuhe an. » Wisst ihr schon, wer die Tote ist und sind die Angehörigen informiert?«
»Die Tote trug leider keinerlei Ausweispapiere bei sich. Ihre Identität versuchen wir aber gerade herauszufinden. Muss wohl eine Touristin sein, so sagt es eine Frau aus dem Dorf, eine Maria Kentaris.« Er lugte auf einen Zettel, auf dem er sich den Namen notiert hatte. »Sie hat die Frau heute Morgen gefunden. Momentan versucht sie herauszufinden, wo die Tote gewohnt hat.«
Katharina nickte stumm. Sie kannte die Familie Kentaris bereits lange vor ihrem eigenen Umzug nach Paros, zu Zeiten als sie noch in der Mordkommission in Athen gearbeitet und lediglich ihre Urlaube auf Paros verbracht hatte. Während ihrer zahlreichen Besuche in Náoussa hatte sie öfters in deren charmanten Gemüseladen eingekauft.
»Dann lass uns die Tote gemeinsam ansehen und die Recherchen von Maria abwarten. Wenn wir wissen, wo sie gewohnt hat, kommen wir auch an die persönlichen Daten der Frau«.
Bereits auf halbem Weg zur Bucht klingelte das Handy von Filippos. Maria Kentaris meldete sich aufgeregt:
»In der Ferienanlage Villa Sophia hat eine allein reisende Frau gewohnt, auf welche die Beschreibung passt«, rief sie laut ins Telefon, sodass es sogar Katharina hören konnte. Sie wusste, wo sich das Gästehaus befand.
»Danke, wir werden dort gleich vorbeischauen. Halten Sie sich bitte für weitere