begrüßte sie die Dorfbewohnerin. »Das war wohl ein Schreck am Morgen? Mein Kollege hat mich bereits informiert«, sagte sie. »Ich habe bestimmt noch weitere Fragen an dich. Du hast die Frau mehrfach getroffen«?
»Getroffen? Das wäre zu viel gesagt, wir sind uns begegnet aber …«
Die Kommissarin unterbrach sie.
»Am besten treffen wir uns bei der Villa Sophia, dort können wir sprechen. Ich hoffe, das passt«?
Maria willigte ein. Die beiden Kriminalbeamten wollten sie in der nächsten halben Stunde treffen.
Konstantinos, ein weiterer Polizeibeamter aus Katharinas Team, war inzwischen am Fundort der Toten eingetroffen. Er sollte solange vor Ort bleiben, bis der Abtransport der Leiche zum Flughafen organisiert war. Von dort sollte sie noch heute nach Athen geflogen werden.
»Die Tote sieht ja aus wie ein Zirkusclown«, konnte er sich seine Verwunderung nicht verkneifen, als seine Chefin mit Filippos eintraf.
»Stimmt! Sie hat etwas zu sehr in den Farbtopf gegriffen«, kommentierte Filippos. Die Kommissarin warf ihnen einen vernichtenden Blick zu.
»Das ist ein sehr schönes Amulett«, überging sie die geschmacklosen Anmerkungen ihrer Kollegen, zog sich zwei Gummihandschuhe über, kniete sich zu der Toten hinunter und betrachtete den Anhänger genauer. Als sie ihn umdrehte, erblickte sie auf der Rückseite zwei winzige Klammern, welche die beiden Teile des Schmuckstücks zusammenhielten. Vorsichtig knipste sie die filigranen, goldenen Halterungen zur Seite, woraufhin das wie eine Muschel geformte Amulett aufsprang und ein zierliches Foto freigab. Filippos zückte augenblicklich seine Kamera und machte eine Nahaufnahme von dem Bild. Auf die Idee, dass sich ein Foto in dem Amulett befinden könnte, war er nicht gekommen.
»Ein altes Kinderfoto«. Die Kommissarin musterte die Tote eine ganze Weile.
»Ich stimme euch zu, sie hat es mit der Schminke wirklich übertrieben. Und ein Teil des Make-Ups ist schon vom Wasser abgespült worden«, bemerkte sie. »So als wollte sie etwas übertünchen.«
»Werden wir wahrscheinlich nie erfahren. Mich interessiert viel mehr, wie die gute Frau ins Wasser gekommen ist«, entgegnete Filippos.
»Vielleicht freiwillig?« Katharina schaute die Frau mitleidig an. »Lass uns zur Pension gehen, dort werden wir sicher ein paar brauchbare Hinweise finden.«
Die Appartementanlage Villa Sophia war mit dem Auto über eine schmale, asphaltierte Straße einige hundert Meter vor dem Ortseingang von Ambelás zu erreichen. Von dort führte sie einen Kilometer ins Inselinnere, bevor sie nach einer scharfen Links- und einer folgenden Rechtskurve wieder zurück ans Meer führte. Mehrere Häuser standen am Ende der Badebucht oberhalb eines Plateaus, auf dem wilde Bautätigkeiten die Gegend regelrecht verschandelt hatten. Viele Bauruinen, die auf ihre Fertigstellung warteten, trugen nicht gerade zur Verschönerung der Gegend bei. Die Pension gab es hier schon seit den Neunzigern, wie Maria Kentaris zu berichten wusste. Von dort aus führte ein schmaler Trampelpfad hinunter zum Strand und weiter in den Ort.
Die Kriminalbeamten parkten ihren Wagen und obwohl Katharina schon länger in Ambelás wohnte, kam ihr diese Seite des Ortes fremd vor.
Maria war bereits den kürzeren Weg über den Strand zu der Pension gelaufen, einem von einer schlichten weißen Mauer abgeschirmten Anwesen. Die engagierte Anwohnerin stand am Eingang des Gästehauses, mit ihr eine ängstlich dreinblickende Frau, die gespannt auf eine Erklärung wartete.
Die Kommissarin kannte die Person vom Sehen, hatte aber noch nie ein Wort mit ihr gesprochen. Freundlich lächelnd begrüßte sie die Frau und nachdem sich diese, als die Besitzerin der Villa Sophia zu erkennen gegeben hatte, zückte die Kommissarin instinktiv ihren Dienstausweis und holte ihr Handy hervor. Einfühlsam erläuterte sie ihren Besuch und die Vermutung, dass die Tote in der Pension gewohnt habe. Als sie schließlich ein Foto der Leiche zeigte, schrie die Wirtin kurz auf. Katharina deutete es als Bestätigung, zumindest hatten sie den Aufenthaltsort der Toten gefunden.
»Wir würden uns gerne das Zimmer der Frau ansehen«, sie wartete einen kurzen Augenblick lang bis sich die Besitzerin beruhigt hatte. »Hat sie alleine bei Ihnen gewohnt?«
»Ja, sie war immer alleine unterwegs, sehr zurückhaltend. Habe sie mehrfach zum Essen eingeladen, aber sie hat stets abgelehnt, wollte lieber für sich sein.«
»Wie lange hat sie bei Ihnen gewohnt?«
»Gut eine Woche, sie hat das Zimmer für elf Tage gemietet. Ich glaube sie war krank.«
»Wie kommen Sie darauf?« Die Kommissarin wurde neugierig.
»Ich habe sie oft nachts im Schlaf stöhnen gehört, so als ob sie Schmerzen hätte. Habe ihr sogar mehrfach eine Kanne Tee vor ihr Zimmer gestellt, den hat sie auch genommen«, sprach die Pensionswirtin weiter, wobei sie zur Rezeption ging, um ihren Generalschlüssel zu holen. Dann stiegen sie eine Außentreppe zum ersten Stock der Pension hinauf. Nachdem die Wirtin das Zimmer aufgeschlossen hatte, nahm die Kommissarin sie zur Seite.
»Bitte warten Sie hier. Das Zimmer darf bis auf weiteres nicht betreten werden. Und bitte schreiben Sie uns den Namen der Toten auf.« Katharina wartete bis die Wirtin hinuntergegangen war, dann zog sie sich die Gummihandschuhe über und drückte bedacht die Türklinke nach unten. Der blumige Duft eines schweren Parfums stand einer Wand gleich in dem dunklen Raum und nahm ihnen fast die Luft zum Atmen. Die Tote hatte alle Fenster geschlossen, bevor sie die Pension verlassen hatte. Katharina drückte auf den Lichtschalter, zog die Vorhänge zurück und öffnete ein Fenster, sogleich strömten gleißendes Sonnenlicht und eine aufbrausende Böe in das Zimmer. Der bleierne Duft wurde unverzüglich zerstreut.
Auf den ersten Blick wirkte alles penibel aufgeräumt. Die Arbeit musste die Urlauberin selbst erledigt haben, da laut Aussage der Wirtin die Putzfrau erst am kommenden Tag wiedergekommen wäre.
»Sieht nicht danach aus, dass die Frau freiwillig ins Wasser gegangen ist«, brach Filippos das Schweigen.
»Keine voreiligen Schlüsse«, die Kommissarin betrachtete einen offenen Koffer, der auf einem zusammenklappbaren Gestell untergebracht war. Bis auf ein paar ungebrauchte Handtücher war der Koffer leer, den Inhalt hatte die Urlauberin fein säuberlich in den Schrank geräumt.
»Das könnte das Kind von dem Foto sein, nur einige Jahre älter«, Filippos deutete auf ein Bild, das in einem Rahmen auf einem Nachttisch positioniert war. Er holte die Aufnahme vom Strand aufs Display seiner Digitalkamera und verglich die beiden Fotos miteinander. »Eindeutig, das muss ein und dieselbe Person sein.«
Die Kommissarin pflichtete ihm, nach aufmerksamer Betrachtung der beiden Bilder, bei. Dann glitt ihr Blick weiter, sie suchte den Raum nach Dokumenten oder einer Tasche der Toten ab. Hier musste irgendetwas sein, dass die Identität der Frau preisgab.
»Keine Papiere oder Hinweise auf persönliche Unterlagen«, murmelte sie dabei unentwegt. »Im Bad werden die Unterlagen wohl kaum sein.« Sie hatte dennoch die Badezimmertür geöffnet und ihre Augen scannten den weiß gekachelten Raum ab. Aber auch dort wurde sie nicht fündig, vielmehr erregte ein durchsichtiger Plastikbeutel mit den unterschiedlichsten Medikamenten ihre Aufmerksamkeit.
»Die hat ja eine halbe Apotheke dabei«, sprach sie zu Filippos gewandt, der sich sofort an Maria Kentaris Aussage erinnerte, dass die Frau blass und krank ausgesehen hätte.
Obenauf lag die Schachtel eines Medikaments, das ihr bekannt vorkam. »Fentanyl«, rief sie erstaunt.
»Was ist das?« Filippos war hinter sie getreten und wartete gespannt auf eine Antwort.
»Ein starkes Schmerzmittel, ähnlich wie Morphin. Wird oft in der Krebstherapie zur Schmerzbekämpfung eingesetzt.«
»Dann war die Frau tatsächlich krank, sehr krank und …«, er überlegte einen Moment, »dann liegst du mit deiner Vermutung, dass sie freiwillig ins Wasser gegangen ist, vielleicht gar nicht so falsch?«
Katharina holte die weiteren Präparate Stück für Stück aus dem Beutel und kramte die Beipackzettel