GEORG RENÖCKL
Paris
ABSEITS DER PFADE
Eine etwas andere Reise durch
die Stadt an der Seine
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1. Auflage 2019
© 2019 by Braumüller GmbH
Servitengasse 5, A-1090 Wien
Coverfoto & Fotos: Georg Renöckl
Karten Seite: 12, 34, 50, 78, 104, 134, 160, 188, 216, 246, 270, 292, 314, 338, 362, openstreetmap.org | © OpenStreetMap-Mitwirkende (CC BY-SA 2.0)
Druck: EuroPB, Dělostřelecká 344, CZ 261 01 Příbram
ISBN 978-3-99100-296-3
eISBN 978-3-99100-297-0
Meinen Freunden Günther Aigner und Père Maurice Meilheurat gewidmet, mit denen diese Reise begann.
Irren ist menschlich. Flanieren ist pariserisch.
Victor Hugo
Inhalt
Der Königsweg: Teil 2 (Ins dunkle Herz von Paris)
Eine Couch für die Pariser Seele
Immigranten, Aristokraten und alte Gleise
Alte und neue Dörfer im Südosten
Mit dem Fahrrad in die Zukunft
Die Stadt als Droge
„Ein Rausch kommt über den, der lange ohne Ziel durch Straßen marschierte. Das Gehn gewinnt mit jedem Schritte wachsende Gewalt; immer geringer werden die Verführungen der Läden, der bistros, der lächelnden Frauen, immer unwiderstehlicher der Magnetismus der nächsten Straßenecke, einer fernen Masse Laubes, eines Straßennamens. Dann kommt der Hunger. Er will nichts von den hundert Möglichkeiten, ihn zu stillen, wissen. Wie ein asketisches Tier streicht er durch unbekannte Viertel, bis er in tiefster Erschöpfung auf seinem Zimmer, das ihn befremdet, kalt zu sich einläßt, zusammensinkt.“
Wenn das keine Warnung ist! Sie stammt aus Walter Benjamins Notizen zu seinem unvollendeten Passagenwerk, in dem er sich auch mit dem im neunzehnten Jahrhundert in Erscheinung getretenen Flaneur beschäftigt.
Man muss das Flanieren aber gar nicht auf so extreme Weise betreiben, wie es Benjamin vorstellt – gerade die „hundert Möglichkeiten“, den Hunger zu stillen, lassen sich kaum an einem anderen Ort so unkompliziert und vielfältig ausprobieren wie in Paris –, um doch eine Ahnung vom Straßenrausch zu bekommen, dem man in dieser Stadt so leicht verfällt. Ist man einmal mitten drin in den selten rasterförmig angelegten, oft verwinkelten, überraschenden alten Straßen der französischen Hauptstadt, dann kann das Entdecken immer neuer romantischer Ecken, witziger Details, unerwarteter Ein- oder Ausblicke zu einer Sucht werden, gegen die es kein Gegenmittel gibt, solange die Füße mitmachen.
Mir genügt meist einer meiner ersten Wege in Paris, der mich zur Buchhandlung Gibert Jeune an der Place Saint-Michel führt, um mich von der Stadt förmlich eingesaugt zu fühlen. Gelegentlich versuche ich, die Gründe dafür herauszufinden. Mithilfe unzähliger Bücher kann man etwa die „Grammatik der Pariser Fassaden“ analysieren, den verbliebenen Spuren verschwundener Gebäude oder Straßenzüge folgen oder die vielen Details des typischen Pariser Straßenmobiliars besser verstehen lernen. Und doch gelingt es mir nicht, damit die Faszination dieses Ganzen wirklich zu erklären. Keineswegs ist der Reiz von Paris museal. Das architektonische Erbe ist überwältigend, doch mit viel Lust am Neuen werden innovative Bushaltestellen, Métro-Linien, Leihradstationen, neueste Methoden der Fassadenbegrünung, urbane Landwirtschaftsflächen und ganze Stadtviertel ins Gesamtkunstwerk Paris eingepasst. Vielleicht ist ein gewisser Ehrgeiz der gemeinsame Nenner, der die Stadtentwicklung vorantreibt: Man begnügt sich in Paris nicht damit, dass etwas funktioniert, es sollte schon Weltklasse sein oder wenigstens danach aussehen.
Ein Hang zur Perfektion bestimmt viele Bereiche des Pariser Lebens, ob es nun die unfassbare Vielfalt der Waren in den Einkaufsstraßen oder auf den Märkten ist, die ihre Verkäufer zu größter Sorgfalt bei der Präsentation zwingt, oder die Art und Weise, wie sich die meisten Pariser im öffentlichen Raum zu bewegen wissen: Wer nicht mithalten kann, hat es schwer. „Savoir vivre“