fertigzustellen, damit niemand sie beobachten oder sehen konnte.
Und wenn ein Hotel insistierte oder wegen einer Hochzeit darauf bestanden wurde, daß sie beide zur Vorbereitung der Blumendekoration kamen, dann erklärte sich Angelina nur bereit, wenn sie die Arbeiten vor Tagesanbruch erledigen konnte, ohne auch nur vom Personal dabei gestört zu werden. Jede Hilfe von Dritten lehnte sie energisch ab.
»Sie sind jung und schön«, sagte der alte Gärtner traurig. »Warum kapseln Sie sich so von allen Menschen ab, Komteß?«
»Schön?« Angelina lachte ein wenig bitter. »Würde meine eigene Mutter mich so behandeln, wenn sie sich nicht meiner schämte? Und das tut sie bestimmt nicht, weil ich, wie Sie sagen, schön bin.«
»Aber…«
»Ach, lieber Herr Buchner, warum habe ich nie wieder etwas von meinen Schulfreundinnen gehört? Nicht einmal von der Mutter Oberin. Das muß doch einen Grund haben. Vielleicht wollten sie dort im Internat wirklich nur das Geld, von dem sie annahmen, daß ich es besitze. Nein, nein, ich habe genug von den Menschen. Ich halte mich lieber an die Blumen.«
Josef Buchner nahm sich nach so einem Gespräch immer vor, sich an die Frau Oberin zu wenden, aber er hatte so viel zu tun. Und sein Alter machte sich deutlich spürbar, auch wenn ihn das Rheuma lange nicht mehr so plagte wie zu der Zeit, als er im Freien gearbeitet hatte. Er vergaß darauf, bis sie wieder einmal auf das Thema zu sprechen kamen. Dieses Mal schlug er ihr vor, ob sie sich nicht eine Katze anschaffen wolle, damit ihre Wohnung nicht so leer sei.
Angelina sah ihn einen Moment an, dann glitt ihr Blick an ihm vorbei ins Ferne, und sie machte sich mit einer der großen Vasen zu schaffen.
»Das wäre der Katze gegenüber nicht fair«, sagte sie leise. »Sie ist doch ein freiheitsliebendes Tier. Wie könnte ich sie da in meiner Wohnung einsperren. Nein, das tue ich keinem Tier an. Und mit einem Hund muß man spazierengehen. Wenn Sie das übernehmen, gut. Aber für mich kommt das nicht in Frage.«
»Komteß!« sagte Buchner unglücklich. Doch sie ließ ihn nicht weitersprechen, sondern unterbrach ihn, indem sie ihn nach dem neuen Auftrag fragte, der ihnen über das Parkhotel vermittelt worden war.
»Ach ja, Schloß Hohenried! Das wäre eine großartige Geschichte!« rief Buchner begeistert und vergaß wieder einmal, in Angelinas ehemaligem Internat anzurufen. »Aber der Besitzer besteht darauf, mit Ihnen selbst zu sprechen.«
»Er kann mich anrufen«, erklärte Angelina abweisend.
»Es ist ein hochelegantes Schloßhotel«, berichtete der alte Gärtner. »Sein Besitzer ist ein Dr. von Hohenried, der es selbst führt. Ein wunderbarer Park gehört dazu. Ich habe Bilder gesehen, als der Portier des Parkhotels mir mitteilte, daß Dr. von Hohenried unbedingt uns haben möchte.«
Angelina verzog ihren hübschen Mund.
»Wer hat denn bisher bei ihm dekoriert?«
»Zum Teil sie selbst, zum Teil die Gärtnerei aus dem Dorf Hohenried.«
Ein Adeliger! Noch ein Grund mehr, daß Angelina ihm nicht begegnen wollte.
»Sie können mit ihm verhandeln, Josef. Und wenn ihm das nicht paßt, muß er sich eben nach jemand anderem umsehen.« Angelina wollte nicht weiter darüber sprechen.
»Er war so begeistert von der Tischdekoration und den großen Vasen, die Sie im Festsaal des Parkhotels für die Hochzeit der Prinzessin Xenia mit dem Großindustriellen gezaubert haben«, versuchte Buchner es nochmals.
Unwillkürlich mußte Angelina lächeln, wenn sie daran dachte. Es war wirklich traumhaft schön gewesen.
Die ganze lange Tafel war mit voll erblühten Gloria-Dei-Rosen geschmückt gewesen. Diese herrliche Rose von zartestem Gelb, deren Blütenblätter einen rosigen Rand hatten, verbreitete zudem noch einen lieblichen Duft. Sie bestach außerdem durch das kräftige, gesunde Grün ihres Laubes. Um den Platz des Brautpaares lag ein ganzer Kranz solcher Rosen inmitten des dunklen Grüns ihrer Blätter.
Und auch in den dunklen Bodenvasen, die rechts und links von den Türen zum Speisesaal standen, in den Schalen der Fensternischen, überall prangten diese großblütigen Gartenrosen.
»Ja, es war wirklich eine besonders gelungene Dekoration«, stimmte sie zu. »Warum will er mich unbedingt sprechen? Er sieht doch, daß man sich auf meinen Geschmack verlassen kann.«
»Vielleicht hat er besondere Vorstellungen«, meinte Josef.
»Dann soll er sich seinen Tisch selbst dekorieren«, war die ungeduldige Antwort.
Josef erwiderte nichts, schüttelte nur den Kopf. Er konnte die Komteß nicht verstehen.
Sie betrieb das Blumengeschäft nunmehr fast vier Jahre. Und was ihr Können und Wissen diesbezüglich anging, so hatte sie ein durchaus gesundes Selbstbewußtsein entwickelt. Sehr zu seiner Freude. Aber dieses Selbstbewußtsein beschränkte sich noch immer ausschließlich auf ihren Beruf. Mit Menschen wollte sie noch immer nicht zusammentreffen. Es war schon viel, wenn sie sich bereit erklärte, mit jemandem telefonisch zu verhandeln. Manchmal befürchtete Josef, daß ihre Unsicherheit sich immer mehr verstärkte.
Dabei war sie ein wunderschönes junges Mädchen von Anfang Zwanzig. Ihr prachtvolles nachtdunkles Haar trug sie in einem dicken Zopf, der ihr weit über den Rücken hing. Ihre Haut war sehr blaß, von einem ebenmäßigen Elfenbeinton, da sie ja tagsüber kaum einmal das Haus verließ. Ihre großen dunkelblauen Augen verloren nur selten ihren traurigen Ausdruck. Sie schminkte sich überhaupt nicht, und Josef fand, daß sie das auch nicht nötig hatte. Nur ein bißchen Lippenstift vielleicht… Aber er hütete sich, etwas zu sagen. Ihre Gestalt war zart und sehr schlank und feinknochig. Und ihre Hände trotz der Arbeit mit den Blumen wie die einer Prinzessin so fein. Bis auf ein unmerkliches Hinken bewegte sie sich graziös und elegant. Jedenfalls Josef war der Ansicht, daß es auf der Welt keine Frau gab, vor der sie sich verstecken müßte.
Alle würde sie ausstechen, fand Josef. Aber wenn er etwas dergleichen sagte, wurde sie böse. Oder noch schlimmer, sie begann zu weinen.
Vielleicht lag ihre Unsicherheit vor allem darin, daß ihre Mutter nach wie vor nichts von ihr wissen wollte. Ein einziges Mal in all den Jahren hatte die Baronin Roswitha Herrenberg sie aufgesucht und beinahe enttäuscht festgestellt, daß zutraf, was man sich über das Geschäft ihrer Tochter erzählte. Dann hatte sie Angelina eine häßliche Szene gemacht, in der sie sie beschuldigte, ihren Gärtner abgeworben zu haben.
Angelina beteuerte weinend, daß es Josefs Idee gewesen wäre, und der bestätigte es immer wieder. Aber Roswitha glaubte, was sie glauben wollte.
Nach diesem Auftritt hatte man sie nie wieder gesehen. Sie reagierte auch nicht auf die Blumen, die ihr Angelina jedes Jahr zum Geburtstag und zu Weihnachten schickte.
Als Josef abends im Bett lag, überlegte er fieberhaft, wie er Dr. von Hohenried, den er zu gerne zu ihrer Kundschaft gezählt hätte, trotz Angelinas sturer Ablehnung gewinnen könnte.
Und wieder einmal nahm er sich vor, die Mutter Oberin anzurufen.
*
Dr. Ansgar von Hohenried legte verärgert den Telefonhörer auf. Er war ein schlanker, hochgewachsener Mann von Mitte Dreißig, von aristokratischem Aussehen mit schmalem Gesicht, glatt zurückgekämmtem dunkelblondem Haar, scharfen grauen Augen unter dichten Brauen und Wimpern, einem schönen großzügigen Mund, einem Kinn, das mit seinem Grübchen Temperament und Sinnlichkeit sowie Energie verriet und einer etwas zu groß geratenen, gebogenen Nase, die, besonders wenn er sich ärgerte, an einen Greifvogel erinnerte.
Er kam an den Frühstückstisch und setzte sich ohne ein weiteres Wort hin.
»Guten Morgen, mein lieber Sohn«, begrüßte ihn seine Mutter, Gertrud von Hohenried, betont freundlich. Sie war eine alte Dame von Siebzig und ihr Sohn sah ihr sehr ähnlich, bis auf die Nase, die er von seinem Vater hatte, einem wohlbeleibten Herrn von Mitte Siebzig, der mit seinem runden Kopf und dem struppigen weißen Haarkranz dank seiner großen, gebogenen Nase auch an einen Greifvogel erinnerte. Allerdings