Gisela Reutling

Mami Bestseller 4 – Familienroman


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      »Und nach den Nachrichten sehen wir uns dann den Krimi an«, sagte Martin. Dabei stand er vom Tisch auf und ging zum Sessel, um es sich vor dem Fernseher bequem zu machen.

      Regine stellte das Geschirr vom Abendessen zusammen und trug es in die Küche. Eigentlich hätte sie lieber das Konzert gehört, das von einem anderen Sender übertragen wurde. Aber Martin würde sich damit wohl nur langweilen. Sie lächelte ein wenig in sich hinein. Daran hatte sie sich schon gewöhnt in den zwei Jahren, die sie nun befreundet waren, dass sie nicht ganz die gleichen Interessen hatten. Was machte das schon aus, wenn man sich liebte. Man passte sich an. Martin war nun einmal so, ein Realist, der nicht viel für die schönen Künste übrig hatte.

      Die kleine Küche, die zu ihrer geräumigen Einzimmer-Wohnung in dem modernen Wohnblock gehörte, war bald aufgeräumt. Sie setzte sich zu Martin, streckte spielerisch die Hand nach ihm aus, die er auch sogleich mit seiner breiten, kräftigen Hand umfasste. Doch er ließ sie bald wieder los.

      »Mal sehen, ob wir heute eine Million gewonnen haben«, sagte er und zog einen Lottoschein aus seiner Tasche. Regine musste lachen.

      »Glaubst du an Wunder?«, fragte sie mit heiterem Spott.

      »Na ja, warum sollen denn immer nur andere das große Geld machen«, erwiderte er. »Wir könnten’s doch auch brauchen.«

      »Das denken viele. Aber es hieße, die Stecknadel im Heuhaufen finden. Ach, Martin«, sie wurde ernst, »wir können doch ganz zufrieden sein. Denk doch mal an all jene, denen es so viel schlechter geht auf dieser Welt. Wir haben doch unser Auskommen und können uns auch einmal etwas leisten, ein Essen in einem hübschen Restaurant, eine Ferienreise. Ist das etwa nichts?«

      Martin gab ihr einen überlegenen, fast nachsichtigen Blick aus seinen graublauen Augen, so, als sei ihre Rede doch recht naiv.

      »Du weißt genau, mein Schatz, dass ich nicht ewig Angestellter bei Immobilien-Möller bleiben möchte. Ich will mein eigener Chef sein. Leider fehlt mir dazu noch das nötige Startkapital. Bevor ich das Geld dafür nicht zusammengekratzt habe, können wir nicht heiraten«, schloss er entschieden und wandte sich dem Bildschirm zu, wo der Sprecher gerade mit den Nachrichten begann.

      Warum eigentlich nicht, dachte Regine geistesabwesend. Warum wollte Martin unbedingt erst sein eigenes Büro haben, was hatte das mit ihnen beiden zu tun? Er wohnte doch bei seinen Eltern, er fand es bequemer so, und billiger. Aber sie sparte ja mit. Sie konnte jeden Monat von ihrem Gehalt als Fremdsprachenkorrespondentin eine bestimmte Summe zurücklegen für die gemeinsame Zukunft. Nur wollte sie die nicht in weiter Ferne sehen. Sie war jetzt achtundzwanzig, sie wünschte sich eine Familie, Kinder, ihren festen Platz im Leben.

      »Möchte wissen, wann es da endlich Ruhe geben wird«, brummte Martin. Regine nickte. Ja, was sich ihren Augen bot, war schlimm. Überall Umbruch, Zerrissenheit und viel Not. Es bestätigte sie nur in ihrer Meinung, dass sie sich hier nicht beklagen durften.

      Plötzlich richtete sie sich jäh auf und hielt unwillkürlich den Atem an.

      Ein ihr wohlvertrautes Antlitz erschien auf dem Bildschirm: hageres Gesicht, ernste Augen mit verhangenem Blick, eine hohe, zerfurchte Stirn unter schneeweißem Haar. Dazu ein knapper, nüchterner Kommentar: »Der italienische Schriftsteller Roberto Valli starb im Alter von zweiundsiebzig Jahren in Rom. Seine Romane und Schriften wurden in mehrere Sprachen übersetzt.«

      Das Bild verschwand. Regine atmete aus. Roberto Valli. Nun war er tot. Sie glaubte noch seine Stimme zu hören, seine letzten Worte: »Ich lasse Sie nicht gern gehen, Regine …«

      »Das war der doch, bei dem du mal in Italien warst«, sagte Martin und streifte sie mit einem Blick. Regine nickte nur stumm.

      Die Lottozahlen am Mittwoch kamen. Martin schrieb eifrig mit. »Wieder nichts!«, rief er erbost aus und zerriss den Tippzettel. »Ich hole mir ein Bier, ja, Regine?«

      Da sie nicht mittrinken wollte, trank er gleich aus der Flasche. Er behauptete immer, so schmecke es besser.

      Der Serien-Krimi lief. Martin machte wie üblich seine Bemerkungen dazu. Er verfolgte, im Gegensatz zu Regine, mit Interesse den Film. Ihre Gedanken zerflatterten. Vor das ziemlich brutale Geschehen, das da vor ihren Augen abrollte, schoben sich andere Bilder …

      Ein weißes Haus auf den Hügeln, von Palmen und Zypressen umgeben, silbrigsprühende Wasserfontänen. Ein Garten mit Marmorstatuen von bleicher Schönheit. Stille und Kühle in den hohen Bäumen, auch wenn draußen die Hitze glühte. Und darin dieser Mann, Roberto Valli, nur mittelgroß, schmal, fast zu schmal die Gestalt für das Haupt, das er trug. Ein Mann voller Widersprüche, nicht nur im Äußeren.

      Regine wäre jetzt gern in der Stille gesessen und hätte die flüchtigen Bilder vor ihrem geistigen Auge festgehalten. Aber da war der Fernseher und natürlich Martin.

      Martin schlug sich auf die Schenkel. »Donnerwetter, den hätte ich nicht für den Mörder gehalten! Du?«

      »Nein, ich auch nicht.« Dabei hatte sie nur eine blasse Ahnung, um was es eigentlich gegangen war.

      Sie schämte sich ein bisschen, weil es ihr gar nicht ungelegen kam, dass Martin nicht bleiben konnte. Er wollte noch einen Kunden treffen, der erst am späten Abend Zeit hatte. Ehrgeizig und tüchtig war er, das musste man ihm lassen. Es war ihm deshalb auch nicht zu verdenken, dass er danach strebte, in seine eigene Tasche zu arbeiten.

      Sie küssten sich, bevor er ging. »Ich freue mich aufs Wochenende, du«, raunte er verliebt, dicht an ihrem Mund.

      »Ich mich auch, Martin«, flüsterte sie zärtlich und schmiegte sich in seine starken Arme. Er war ein Mann, bei dem man sich geborgen fühlen konnte.

      Sein Wagen stand am Straßenrand unter der Neonbeleuchtung, die den Weg überspannte. Regine öffnete ihr Fenster im 3. Stock, und sie winkten sich noch einmal zu. Dann schloss sie das Fenster wieder. Es war Anfang Februar, und recht kalt.

      Den verstorbenen Schriftsteller, den Regine doch sehr gut kannte, hatte Martin mit keinem Wort mehr erwähnt. Nun, Valli war weiter kein Begriff für ihn, auch wenn sie ihm zu Beginn ihrer Bekanntschaft davon erzählt hatte. Wie von jener Zeit in Italien, die ihr unvergesslich bleiben würde.

      Nachdem sie ihr Sprachenstudium vor fünf Jahren mit einem Diplom beendet hatte, war sie nach Rom gegangen, wo ein internationaler Verlag eine Sekretärin suchte. Sie freute sich auf die Arbeit, die vielseitig und interessant war, sie war neugierig auf das Leben in dieser von Kunst und Geschichte trächtigen Metropole.

      Dort, im Verlag, war sie auf Roberto Valli aufmerksam geworden. Sie hatte schon früher ein Buch von ihm gelesen, das sie sehr beeindruckt hatte. Jetzt kaufte sie sich auch seine anderen Bücher, um sie in der Originalsprache zu lesen. Sie fand seine Gedankentiefe faszinierend.

      Persönlich lernte sie ihn eines Tages in dem Café nahe ihrer Arbeitsstätte kennen, wo sie manchmal einen Espresso oder ein Eis zu sich nahm. Da alle Tische mehrfach besetzt waren, näherte Roberto Valli sich dem ihren, an dem sie allein saß. Höflich bat er sie, Platz nehmen zu dürfen. Sie errötete. »Es ist mir eine Ehre, Signor Valli«, sagte sie. Sie kam sich sehr jung und unbedarft vor neben dieser Geistesgröße.

      Doch schnell gewann sie ihre Unbefangenheit wieder, denn er war sehr freundlich zu ihr. Ja, er hatte sie schon im Verlag bemerkt. Große schlanke Mädchen mit echt blonden Haaren fielen hier auf. Eine Deutsche, das hatte er sich gedacht. Wie lange sie denn schon in Rom sei?

      Regine erzählte von sich. Es erschien ihr leicht, diesem Menschen mit dem silberhaarigen Charakterkopf gegenüber aufgeschlossen zu sein. Sie spürte, dass sie ihm gefiel, sie erkannte es an dem warmen Schein in seinen Augen, mit denen er sie ansah. Oh, diese Begegnung war ein Erlebnis für sie!

      »Vielleicht sehen wir uns einmal wieder«, sagte er, als sie wieder in ihr Büro musste und gab ihr seine schmale Hand. »Es würde mich freuen.«

      Sie sahen sich wieder. Dieses Café schien sozusagen sein Stammlokal zu sein, wenn er in der Stadt zu tun hatte. Die Kellner behandelten den berühmten Mann bevorzugt, und etwas davon fiel auch auf die junge Regine ab, wenn sie in seiner Gesellschaft sein durfte.

      Sie wusste jetzt, dass