Gisela Reutling

Mami Bestseller 4 – Familienroman


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      »Signorina Elena«, sagte der Gärtner, mit einem merkwürdigen Blick. »Nicht einmal ein Bild von ihr wollte er mehr sehen. Was für ein Vater!« Er schüttelte den Kopf.

      »Ich kann mir nicht vorstellen, dass Signor Valli ein schlechter Vater war, oder ist«, erwiderte Regine mit belegter Stimme.

      »Jagt einer sonst seine eigene Tochter aus dem Haus?«, fragte Tonio und fuhr in seiner Arbeit fort. Seine Miene war düster.

      »Wenn es so ist, dann muss er wohl seine Gründe gehabt haben.« Regine betrachtete das Mädchengesicht, das Lebenslust und Sinnesfreude ausstrahlte. Aber was konnten das wohl für Gründe gewesen sein, rätselte sie.

      »Sie war nicht schlecht«, widersprach der Gärtner. »Nur eben anders. Kinder sind manchmal anders wie man sie sich wünscht. Ich habe selber fünf, ich weiß das. Bei Elena war es ein Erbteil von ihrer Mutter. Die ist ja eines Tages auf und davon gegangen.«

      »Ohne ihr Kind?«, fragte Regine bestürzt. Tonio zuckte die Achseln. »Er hat es ihr wohl nicht gelassen. Er kann sehr hart sein.« Plötzlich richtete Tonio sich auf. Er sah auf Regine und bewegte unbehaglich die Schultern. »Stellen Sie das Bild wieder zurück, Signorina. Ich hätte Ihnen das nicht erzählen sollen. Es kann mich meinen guten, langjährigen Job hier kosten. Sie werden mich nicht verraten?« Sorgenvoll war sein Blick auf sie gerichtet.

      »Nein, Tonio, da können Sie ganz beruhigt sein«, versprach Regine. »Ich habe selber schon erfahren, wie empfindlich Signor Valli auf diese Geschichte reagiert.« Sie brachte das Bild wieder in seinem Versteck unter und Tonio befestigte die Bretter davor. Dann bedankte sie sich für die freundliche Hilfe und gab ihm ein Trinkgeld.

      Regine fühlte sich verwirrt, während sie sich bemühte, alles wieder in Ordnung zu bringen. Ein Schatten war auf das Bild des von ihr so sehr verehrten Mannes gefallen.

      Ein Jahr verging. Regine erlebte, wie sein Roman in Druck gegeben wurde, in hoher Auflage erschien und rühmende Besprechungen bekam. Valli schenkte ihr eines der ersten Exemplare mit einer herzlichen Widmung darin. Stolz, mit geröteten Wangen, nahm sie es in Empfang. Ein ganz klein wenig fühlte sie sich doch auch daran beteiligt. Wenn sie das handschriftliche Manuskript auch nur abgeschrieben hatte, so hatte sie doch mit aller Sorgfalt daran gearbeitet.

      Und wieder saß der produktive Autor manchmal bis in die Nacht hinein an seinem Schreibtisch, ein neues Werk entstand, die Blätter häuften sich, Regine hatte zu tun …

      »Wann kommst du denn nur endlich nach Hause?«, schrieb die Mutter. »So lange wolltest du doch gar nicht fortbleiben. Wir vermissen dich alle sehr.«

      Alle, das waren Vater und Mutter und die beiden jüngeren Geschwister Hansjörg und Sabine. Sie hingen in Liebe aneinander. Joachim Peters war Beamter, es ging nicht gerade üppig bei ihnen zu, aber sie hatten immer ein warmes Heim gehabt.

      »Bald«, schrieb Regine zurück. Doch sie schob es von Monat zu Monat hinaus. Wenn sie erst fortging, würde sie nicht mehr wiederkehren, und es hing doch ein Stück ihres Herzens an Robert Valli und dem Haus.

      Dann trat etwas ein, das sie zu einer raschen Entscheidung zwang. Die Mutter war krank geworden, sehr krank. Der Vater war verzweifelt, die halbwüchsigen Geschwister hilflos ohne die sorgende Hand.

      »Ich muss nun heim«, sagte Regine zu Roberto Valli.

      »Ich sehe es ein«, sagte er.

      Sie machten den Abschied kurz. Bei Regine wurde er überdeckt von der Angst um die Mutter. Ein trauriger, einsamer Mann blieb zurück.

      *

      Die junge Frau, die, im Sessel sitzend, all diese Bilder an sich vorüberziehen ließ, strich sich mit der Hand über die Stirn. Wie mochte sein Ende gewesen sein? Sie hatte nichts mehr von ihm gehört. Einmal hatte sie ihm noch geschrieben, aber keine Antwort erhalten. Der Roman, den er seinerzeit begonnen hatte, war nicht erschienen. Nein, einen neuen Valli gab es nicht, wurde ihr auf Anfragen in Buchhandlungen mitgeteilt. Vielleicht war er krank geworden und konnte ihn nicht vollenden.

      Ihre Mutter hatte die schwere Krankheit gottlob überstanden. Regine hatte den Haushalt geführt, bis sie sich so weit erholt hatte, dass sie die Zügel wieder selbst in die Hand nehmen konnte. Mit ihrer guten Ausbildung fand Regine bald eine Anstellung in einer großen Firma. Es war eine recht nüchterne Arbeit im Vergleich zu der vorherigen, an die sie noch manchmal mit leiser Wehmut zurückdachte. Aber sie konnte sich nun eine eigene Wohnung leisten, und dann lernte sie Martin Hiller kennen und lieben. Mit ihm hoffte sie ein dauerhaftes Glück zu finden.

      Regine stand auf, um sich für die Nacht fertig zu machen. Im Schein der Lampe neben ihrer Bettcouch las sie in einem Buch von Roberto Valli, der nun nie mehr zur Feder greifen würde.

      *

      Es war zu Beginn der übernächsten Woche, als Regine gegen halb sechs aus dem Büro kam und eine Nachbarin ihr mitteilte, dass der Postbote einen Einschreibbrief für sie hatte. »Aber er wollte ihn mir nicht aushändigen«, entrüstete sie sich, »obwohl ich ihm sagte, dass Sie doch morgens nie zu Hause sind. Da müsste ich eine Vollmacht haben. Als ob ich den unterschlagen würde!«

      »Er hat seine Vorschriften«, beschwichtigte Regine die alte Dame und nahm die Karte, die diese ihr vorhielt. Mit ihrer Unterschrift bestätigte sie, dass Frau Ida Born den eingeschriebenen Brief in Empfang nehmen dürfe.

      Am Dienstagabend – es war etwas später geworden, weil Regine noch Einkäufe gemacht hatte – übergab Frau Born ihr mit wichtiger Miene den Brief. »Aus Italien«, sagte sie mit bedeutungsvollem Blick.

      Regine bedankte sich und verabschiedete die Nachbarin, die wohl gern eine nähere Auskunft gehabt hätte. Aber Regine konnte sich selber nicht erklären, was ein Dr. Paolo Monta aus Rom ihr mitzuteilen hatte. Ein Anwalt, wie sie aus dem Absender ersah. Verwundert und gespannt schlitzte sie den Umschlag auf. Ihre Augen überflogen die Zeilen … Sie musste sie zweimal lesen, denn sie glaubte zu träumen … Das gab’s doch nicht!

      Es stand geschrieben:

      Sehr geehrte Signora, hiermit teile ich Ihnen mit, dass der verstorbene Signor Roberto Valli Sie lt. Testament zur Erbin seines Hauses einschließlich Inventar und Grundbesitz sowie der Hälfte seines Vermögens bestimmt hat.

      Zur Erledigung der erforderlichen Formalitäten und Besprechung weiterer Einzelheiten werden Sie gebeten, mich baldmöglichst in meinem Büro aufzusuchen.

      Mit vorzüglicher Hochachtung Dr. Paolo Monta

      Mit dem Briefbogen in der Hand, ließ Regine sich auf einen Stuhl fallen. Das Herz schlug ihr bis zum Halse. Allmählich begriff sie, was diese knappen, sachlich abgefassten Sätze für sie bedeuteten. Warum gerade ich, fragte sie sich, warum soll ich ein Traumhaus erben und plötzlich reich sein. Wer war ich denn für Roberto Valli. Ein Mädchen aus Deutschland, seine Sekretärin. Sie konnte noch keine Freude darüber empfinden, eher war es Beklommenheit, was ihr den Atem stocken ließ. Ein solches Glück fiel einem doch nicht in den Schoß. Sie fühlte sich wie hinausgeschleudert aus ihrem bis dahin in so ruhigen Bahnen verlaufenem Leben.

      Sie wusste nicht, wie lange sie so gesessen hatte in ihrer totalen Verwirrung, als es klingelte. Erst jetzt fiel es ihr wieder ein, dass Martin ja heute kommen wollte.

      Regine sprang auf und öffnete ihm die Tür.

      »Ich bin völlig durcheinander«, empfing sie ihn.

      »Wieso, was ist denn los?«, wunderte er sich. Aufgeregt zog sie ihn herein. »Ich habe geerbt!«, stieß sie hervor und nahm das Briefblatt vom Tisch und gab es ihm.

      »Italienisch! Das kann ich doch nicht lesen. So ein kluges Kind wie du bin ich nicht.«

      Regine übersetzte ihm den Inhalt, dann sah sie ihn an. Mit halb offenem Mund erwiderte Martin ihren Blick.

      »Menschenskind, das ist ja’n Ding«, brachte er endlich über die Lippen. »Valli – dessen Bild haben wir doch neulich erst im Fernsehen gesehen. Jetzt erinnere ich mich. Der muss doch ne Menge mit seinen Büchern verdient haben. Und von dem Haus hast du mir früher mal regelrecht