Thorsten Oliver Rehm

Subliminal


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Gegner, um dadurch mit Siegesfanfaren ins nächste Level aufzurücken. Und die ganzen Trash-Filme, die er inzwischen bald auswendig kannte! Immer derselbe Mist. Die Auswahl an Filmen war klein. Abwechslung? Dafür musste er sich diese bescheuerte Streaming-TV-Serie reinziehen, von der hier alle Staffeln auf Festplatten vorhanden waren. Als hätte er jemals Serien geschaut! Er hatte ein unerklärliches Verlangen nach Büchern. Warum es hier keine gab, blieb ihm ein Rätsel.

      Aber inzwischen hatte er sich daran gewöhnt, nur noch auf Bildschirme, Monitore und Displays zu starren, große und kleine. Ja, die einzig sinnvolle Abwechslung hier unten wären Bücher! Lange her, dass er danach Verlangen empfunden hatte. Selbst konnte er sich nicht damit versorgen, denn sie durften von Land nichts mitbringen. Aus dem Wasser oder Habitat etwas mit hoch an Land nehmen durften sie auch nicht. Was ihn aber am meisten nervte, war die Tatsache, dass sie selbst dieses digitale Zeug zum Zeitvertreib in vier Gruppen aufteilten. Jeder der vier Probanden besaß sein eigenes Spiele- und TV-Equipment. Seidel war seines schon lange überdrüssig. Sobald sich ihm die Gelegenheit bot, würde er sich mal die Teile des Typs neben ihm ausleihen. Die mussten klasse sein, so wie der beim Spielen immer regelrecht in Trance verfiel. Warum eigentlich nicht gleich jetzt? Seidel zwängte sich aus dem Eck, in dem er gekauert hatte, und schlenderte auf seinen Mitbewohner zu. Er setzte sich neben ihn. »Lass mal sehen!« Er beugte sich zu ihm rüber.

      Der andere Proband – sein Name war Kevin Maier – war so vertieft darin, irgendwelche imaginären Gegner zu eliminieren, gefangen in der Welt visueller und akustischer Effekte, dass er gar nicht bemerkte, dass Seidel nun neben ihm hockte. Er spickte auf Maiers Bildschirm und staunte nicht schlecht. Der Typ spielte dasselbe Game wie er! Nur war der Kerl bereits in ein höheres Level vorgedrungen.

      Beim besten Willen kapierte Joachim Seidel nicht, warum es nicht wenigstens unter den Vieren ein unterschiedliches Angebot an Spielen gab, wenigstens diese Abwechslung! Ihn beschlich das dumpfe Gefühl, dass der Kerl in seinem engen Kabuff auch dieselben Filme zur Auswahl hatte wie er. Sie taten und schluckten alle dasselbe. Zumindest sah es danach aus. Ihm graute beim Gedanken, dass das für die nächsten zwei Monate sein Alltag bleiben sollte. Umso mehr musste er die Zeit auskosten, wenn er wieder an Land war. Missmutig schüttelte er den Kopf, erhob sich mühsam und schlenderte wieder ins Eck, aus dem er gekommen war.

      Er goss sich eine Cola ein, riss sich eine Tüte Chips auf und wählte einen Film aus.

      Seltsam, dachte er, eigentlich hasse ich doch Cola und Chips, oder nicht?

      ♦

      Sie sind doch ein Mann der Geheimnisse.

      War das wirklich nur ein simpler Versprecher, oder wollte der Mann damit etwas andeuten? Geheimniskrämerei widerte Frank an! Ja, einst hatte er Geheimnisse vor sich hergeschoben, damals, als die dramatischen Ereignisse um Bornholm ihren Lauf nahmen. Ja, einst hatte er selbst ein Geheimnis gehegt. Und hatte es gerechtfertigt vor sich. Mittel zum Zweck war es damals. Um Schlimmeres zu verhindern, um das Richtige zu erreichen.

      Aber wo hatte es damals hingeführt? In ein unbegreifliches Drama, viel größer als je hätte werden können, was Frank zu verhindern versucht hatte.

      Seither wollte er nie wieder Geheimnisse haben. Die Wahrheit war das einzig richtige! Und er hatte das Gefühl, als wären die Forschungsarbeiten, an denen diese Sub-Search-Gruppe beteiligt war, alles andere als offenes Terrain.

      Wer weiß schon, worum es dabei geht? Sollte es nur ums Geld gehen – dafür wurde das Meer inzwischen genug ausgebeutet, von den Riffen war der Raubbau durch den modernen Menschen schließlich bis zum Meeresgrund der Tiefsee vorgedrungen; nur um des Geldes wegen – da wäre er raus aus der Nummer, um Geld war es ihm noch nie gegangen, bei nichts, nicht einmal damals als Forscher, noch später als Inhaber einer Tauchbasis. Das Materielle war nie sein Antrieb gewesen. War es auch heutzutage nicht. War nur die Frage, um was es hier bei dieser Sache eigentlich ging. Ziemliche Geheimniskrämerei… Hm… Andererseits… Reizvoll wäre das schon – eine Beratertätigkeit.

      Und er könne selbst viel tauchen, hieß es. Obendrauf würde sich ihm ein kleiner Traum erfüllen. In all den Jahren als Taucher, Forscher und Tauchlehrer mit seinen knapp zehntausend geloggten Tauchgängen war es ihm nie vergönnt gewesen, in einer Unterwasser-Station mitzuarbeiten. Einzig hatte er zwei stillgelegte Unterwasser-Habitate von außen gesehen, kürzlich erst, während eines Urlaubs. Verlassene, mystisch anmutende Gebilde, die sich präsentierten wie ein Ding aus einer anderen Zeit oder einer anderen Dimension und die inzwischen nur noch als Tauchtouristen-Attraktionen herhielten.

      Inzwischen war es später Nachmittag, Frank war in seinen Gedanken versunken auf dem Weg zu seinem Auto, um kurz zum Hafen zu fahren. Wie fast jeden Tag wollte er nach der letzten Tauchausfahrt des Tages beide Boote checken und kurz nach dem Rechten sehen. Nötig war es eigentlich nicht, sondern mehr eine Gewohnheit, ja fast ein Ritual, den Tag damit – und mehr noch mit dem obligatorischen Kaffee im Pepe – abzuschließen.

      Die Taucher-Runde im Pepe bestand immer aus denselben Bootseignern, allesamt Inhaber hiesiger Tauchbasen, die sich untereinander Neuigkeiten mitteilten, die fürs Tauchgeschäft von Belang waren. Vor allem aber dienten die Treffen dem Miteinander unter Konkurrenten, die sich gegenseitig dennoch nicht wie Konkurrenten behandelten, sondern sich vielmehr als Gleichgesinnte betrachteten und so einander auch begegneten. Menschen mit ähnlichen geschäftlichen Bedürfnissen, Freuden, Sorgen und Nöten. Meist kam er nach circa eineinhalb Stunden wieder vom Hafen zurück und erledigte dann noch im Büro den Papierkram, der über den Tag angefallen war.

      Ohnehin hatte er in letzter Zeit das Gefühl, mehr und mehr zum Geschäftsmann zu mutieren, zum Tauchen kam er nur noch selten. Ein Jammer, das war doch der Grund, warum er vor Jahren seinem alten Leben den Rücken gekehrt hatte. In seiner Funktion als Unterwasserarchäologe war er auch viel getaucht, aber das war nicht vergleichbar gewesen. Vielmehr war das, was damals geschehen war, der Grund für den Schlussstrich… Aber das Kapitel war abgeschlossen, er hatte seinen Frieden gefunden.

      Sein Neubeginn als Tauchlehrer war gewiss nicht nur der Leidenschaft zuzuschreiben, sondern auch eine Art Rebellion gegen sein früheres berufliches Wirkungsfeld gewesen. Er hatte einen Schlussstrich gezogen. Endgültig, so dachte er zumindest. Bis heute. Bis dieser Grothe aufgetaucht und ihm eine Tätigkeit angeboten hatte, bei der er nach langer Zeit wieder als Forscher, als Wissenschaftler und vor allem als Taucher gebraucht wurde, nicht nur als Papiertiger und Bürokrat, der er zunehmend geworden war und der sein innerstes Ich eigentlich nicht sein wollte.

      Nicht, dass ihn der heutige Besuch dieses Mannes in einen unwiderstehlichen Sog gezogen hätte wie damals. Es war anders als der Lockruf vor fünf Jahren, dem des archäologischen Instituts, mit dem er fünfzehn Jahre zuvor gebrochen hatte, jenem Lockruf, der ihn nach langer Funkstille damals zurück in sein altes Leben geführt und der ihm letztlich ermöglicht hatte, alte Rechnungen zu begleichen und endlich Frieden zu finden. Jener Ruf aus der Vergangenheit war ein völlig anderer gewesen. Intensiver. Aufwühlender. Er hatte alte Wunden aufgerissen und das nicht verarbeitete Trauma ans Tageslicht befördert. Und hatte ihn in einen Strudel gezogen.

      Nein, diese heutige Verlockung, nach langer Zeit ein kleines bisschen wieder Forscher zu sein, war damit nicht zu vergleichen. Und doch: als tauchender Berater tätig zu werden, kitzelte sein offensichtlich noch immer latent vorhandenes Forscher-Ich aus ihm heraus, und mit jeder Stunde, die seither verstrichen war, breitete es sich mehr und mehr in ihm aus, anders als damals, aber doch deutlich wahrnehmbar. Die Sache klang nach Abenteuer, nach der Jagd nach Erkenntnissen, nach Neuem. Und etwas in ihm lechzte nach Veränderung.

      War es das, was man gemeinhin als Midlife-Crisis bezeichnete? Unwillkürlich musste er schmunzeln. Ganz so abwegig war es ja vielleicht nicht. Schlitterte er in letzter Zeit womöglich klammheimlich in eine Krise hinein, und dieser Mann hatte ihn nur zur rechten Zeit am rechten Ort mit der richtigen Lösung für seine Ruhelosigkeit abgeholt? Gerade zu einer Zeit, als er fast täglich hinterfragte, ob es wirklich die richtige Entscheidung war, erneut zu expandieren? Er war endgültig vom abenteuerlustigen Taucher zum Unternehmer avanciert! Ums Geld ging es nicht. Um was dann? Es hatte sich einfach so entwickelt, ein unaufhaltbarer Prozess, der dazu führte, dass er sich nun zunehmend gefangen fühlte. Zwar entlastete ihn sein Freund Ralf, der sich immer in Franks Sinne und