Gisbert Haefs

ZWEITAUSENDVIERUNDACHTZIG


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können; sie nagte unbarmherzig an seinen Knochen. Er wusste, dass die Sklaven unten täglich darauf warteten, dass er seinen doch schon etwas abgenutzten Leib abwerfen und einen neuen anziehen würde, um sich in jugendlicher Kraft und Schönheit am Fenster zu zeigen. Aber noch war es nicht so weit. Erst musste er das Abendritual vollziehen, die heilige Waschung, die Salbung, die Bekleidung mit neuen Roben und den Genuss eines ewige Jugend versprechenden Gläschens Ambrosia.

      Sein weiß gekleideter Leibsklave näherte sich unterwürfig auf lautlosen Gummisohlen. Nie hätte er gewagt, SAM durch ein lärmendes Eintreten zu verärgern. Der Kopf des Letzten, der diesen Fehler gemacht hatte, steckte noch auf der Pike; das war den anderen eine Lehre gewesen.

      »Ego sum Papa! Ego sum Pontifex! Ego sum Cäsar!«, murmelte Seine Allerhöchste Majestät befriedigt vor sich hin. Die paar Worte Latein zu lernen, hatte sich gelohnt. Keine andere Sprache der Welt hätte so kurz und prägnant ausdrücken können, wie er sich selbst sah.

      Der Leibsklave streifte seine schneeweißen Latexhandschuhe über, denn ungesalbten Händen war es nicht erlaubt, Seine Allerhöchste Majestät zu berühren.

      »So, Majestät«, sagte er fröhlich. »Zeit zum Popscherlwaschen und Windelwechseln, und dann gibt’s das Safterl mit der Schlaftablette, damit aa paar Stundn aa Ruah is. Ewig halt maa des blede Red’n nämlich net aus.«

      SAM beschloss, ihn wegen Majestätsbeleidigung vierteilen zu lassen. Aber erst morgen früh, sonst musste er mit vollen Windeln schlafen gehen.

      

      

      Peter Mathys: Wahltag

      Rob A 1291, ein Hausroboter, stand reglos in seiner Nische neben der Garderobe. Seine Herrschaft, Vincent und Jasmin Schubert, hatten ihr Haus um 19:20:17 Uhr verlassen, nachdem er ihnen das Taxi für 19:15:00 Uhr bestellt hatte. Die Oper, La Traviata, würde genau um 20:00:00 Uhr beginnen. Er hatte die Tickets schon vor zwei Monaten besorgt, nachdem ihm ein kurzer Blick in den Computer des Basler Theaters gezeigt hatte, dass der Abend rasch ausverkauft sein würde. Mit den Plätzen siebzehn und achtzehn im Parkett, zweite Reihe, waren Jasmin und Vincent sehr zufrieden gewesen. Beim Roboter traten an die Stelle von Zufriedenheit der Abschluss einer Aufgabe und dessen Speicherung in seinem Hauptgedächtnis für spätere Verwendung. Der Wert eines Roboters wuchs mit dem Umfang seines gespeicherten Wissens.

      A 1291 nutzte die Zeit, um seine Schaltkreise und den Zustand seiner sieben Hyperleichtbatterien zu überprüfen. Eine Platine saß ein wenig locker, was zu einem gelegentlichen Flackern der Impulsübertragung führen konnte. Die Batterien von der Größe eines Zuckerwürfels waren auf eine Lebensdauer von fünfzigtausend Stunden ausgelegt; bis jetzt hatte noch keine ersetzt werden müssen.

      Der Theatercomputer meldete Rob A 1291 und allen anderen wartenden Robotern zwanzig Minuten früher, dass das Programm mit Schlussapplaus und Zugabe um 23:06:18 Uhr zu Ende gehe. So konnten die Roboter für ihre Herrschaften Taxis anfordern. A 1291 schaffte es, dass sein Taxi das erste in der zweiten Reihe war; die Wartezeit bis zur Abfahrt würde nur 4:12 Minuten dauern.

      Kaum war das Ehepaar Schubert zu Hause, ging ein Gezeter los. Jasmin rief entsetzt: »Aua, ich habe meine Stola im Theater vergessen. Der schöne Silberfuchs. Wenn ihn jemand mitnimmt!«

      »Ich hole ihn«, offerierte A 1291. Seine Stimme klang nicht blechern, aber hohl. »Es dauert 13:46 Minuten.«

      Jasmin war nicht einverstanden. »Nein, Robby. Du wirst dich wieder irgendwo anschlagen und mit einer Beule im Bauch zurückkommen. Wenn ich nur an die Reparatur denke. Du zwei Tage weg, dann eine Aushilfe von diesen neuen Modellen, die nichts verstehen.«

      A 1291 senkte den Kopf um fünfundvierzig Grad. »Gestatten Sie, dass ich einen zweiten Vorschlag unterbreite.«

      »Ja«, knurrte Vincent, allmählich ungehalten. »Dafür haben wir dich ja gekauft.«

      »Wenn ich jetzt ein Taxi bestelle und dem Garderoberoboter gleichzeitig ein Hologramm der Stola mitsende, ist Ihre Stola in 7:09 Minuten hier. Sollte sie nicht mehr vorhanden sein, so weiß ich das ab jetzt in 1:33 Minuten.«

      Vincent nickt. »Gut. Mach schon vorwärts. Ich warte schon viel zu lange auf meinen Gin Tonic.«

      Neujahrstag 2083. Die Roboter und die Computer hatten auf sanfte Art die Weltherrschaft übernommen. Die Menschen merkten es nicht. Angefangen hatte es, je nach Zeitrechnung, mit fahrerlosen Autos, den kleinen Robotern zum Rasenmähen, den Drohnen zweiter Generation. Hinzu kam die schlichte Haushaltsarbeit: Reinigung, Aufräumen, Mahlzeiten vorbereiten, Wäsche besorgen, Kinder zur Schule bringen und abholen. Ein Hit war das Internet der Dinge; 3-D-Drucker revolutionierten manchen Klein- und Mittelbetrieb. Aber all dies wurde in den Schatten gestellt durch die künstliche Intelligenz. Die meisten Menschen wussten nicht, was darunter zu verstehen war, wohl aber die Roboter und die großen Unternehmungen. Deren gigantischen Datensammlungen waren so angelegt, dass sie sich selbst weiter programmierten, selbstständig Verknüpfungen herstellten und Probleme lösten, bevor die Geschäftsleitungen sie überhaupt erkannten. Rechtsanwälte entwarfen selbst einfache Verträge nicht mehr selbst, sondern speisten die Eckdaten in ihre Computer ein. Diesen standen die Datenbanken des ganzen Landes und, über elektronische Schaltstellen, auch jene anderer Länder offen. So entstanden innert Stunden Vertragswerke von einer Perfektion, die alle klugen Köpfe zusammengenommen weit übertraf. Über die Auswirkungen dieser Entwicklung auf die beruflichen Fähigkeiten der Anwälte mochte niemand nachdenken. Dasselbe galt in unterschiedlichem Maß auch für alle anderen Berufe. Die Roboter fingen an, sich wo nötig selbst zu reparieren, anfänglich überwacht durch menschliche Kontrolleure. Später überließ man diese Arbeitsgänge ihrer eigenen Findigkeit, und zuletzt entwickelten sie auch ihre Nachfolgermodelle selbstständig. Den Menschen war es recht; ihre elektronischen Sklaven leisteten perfekte Arbeit, reklamierten nie, brauchten weder Freizeit noch Ferien und wurden nie krank.

      Die vorläufig letzte Etappe dieser Entwicklung hatte ihren Abschluss im Herbst 2082 gefunden. In einer amerikanischen Kleinstadt, nahe dem Silicon Valley, hatte eine kleine Gruppe von A-Robotern mit der Zustimmung und dank der Finanzierung ihrer Eigentümer im Jahr 2079 mit dem Bau einer Roboterfabrik begonnen. Bauteile, Platinen, Sensoren, Mikrosender und -empfänger wurden von Robotern völlig lautlos eingebaut. Einzig beim Bau des Gebäudes, der Wände, Böden, Fenster, Decken ging es oft laut zu; die Roboter hatten dafür menschliche Bauarbeiter eingesetzt, die wiederum bedienten sich zum Austausch ihrer Mitteilungen der ungebändigten Kraft ihrer Stimmorgane.

      Zur Einweihung der ersten robotereigenen Fabrik wurde eine kleine Feier an Ort und Stelle abgehalten. Damit wurde, beiläufig und unabsichtlich, anerkannt, dass Roboter Eigentum besitzen konnten. Dem Bürgermeister der Stadt wurde der erste in der Fabrik gebaute Prototyp geschenkt; danach hielten er und der Vorarbeiter der Bautruppe kurze Ansprachen. Die Roboter empfanden nichts und hatten nichts zu sagen. Sie standen abseits und warteten, bis sie gebraucht wurden.

      Was kein Mensch wusste, war, dass in der Fabrik jedem neuen und jedem zur Reparatur eingelieferten Roboter eine Vorrichtung eingebaut wurde, mit der alle Roboter mit allen anderen lautlos verkehren konnten. Die Vorrichtung bestand aus einem zusätzlichen Pünktchen von einem Viertelmillimeter Durchmesser auf einer Platine; die Kommunikation erfolgte mittels gelenkter Deltastrahlen mit Lichtgeschwindigkeit. Bald wendete man diese Erfindung auch in allen anderen, Menschen gehörenden Roboterfabriken an.

      Ein Problem blieb: Die Hausroboter wie unser A 1291 entsprachen in der Größe einem Durchschnittsmenschen. Mit Ausnahme der eher derben Industrieroboter der B-Klasse waren sie mit Aluminium verkleidet. Sie hatten Arme und Beine, Füße, die ihnen schnelles Gehen und Laufen ermöglichten, flexible Hälse und ovale Köpfe mit Augen, Ohren, Nasen und Mündern, aber viele Menschen hatten sich so an ihre dienstbaren Geister gewöhnt, dass sie sich wünschten, diese wären nicht nur menschenähnlich, sondern dem Menschen gleich. Die Roboter in der neuen Fabrik nahmen diesen Wunsch als Befehl auf und arbeiteten mit Hochdruck an seiner Verwirklichung. Sie hatten errechnet, dass sie den ersten menschengleichen Roboter in sieben Monaten würden ausliefern können, sofern keine