an dem weißen Schreibtisch befestigt war, ein Stück zur Seite, um mehr Bewegungsfreiheit zu haben.
Bevor er Herrn Schulte, seinen ersten Patienten an diesem Vormittag, aufrief, schaute er noch einen Augenblick lang auf die goldfarbenen Zeiger der alten Standuhr, die an der Wand gegenüberstand. Die Zeiger ein paar Sekunden lang auf dem Weg über das Ziffernblatt zu verfolgen, verlieh ihm die Ruhe, die er für die nächsten Stunden brauchte.
»Guten Morgen, Herr Schulte«, begrüßte er den schmächtigen alten Mann in der buntkarierten Strickjacke, der auf einen Stock gestützt in sein Sprechzimmer kam, nachdem er ihn über die Sprechanlage zu sich gebeten hatte. »Was kann ich für Sie tun?«, fragte er ihn, als er sich auf einen der beiden Stühle vor seinen Schreibtisch setzte.
»Die Arthrose in meinem Knie macht mir wieder zu schaffen. Die letzten Wochen war es eigentlich gut auszuhalten, aber jetzt tut es schon recht weh, gerad in der Nacht im Liegen zieht es stark an der Innenseite«, erzählte ihm Ottmar Schulte, der bald seinen 87. Geburtstag feiern würde.
»Dann müssen wir jetzt unbedingt etwas tun, um die Schmerzen in den Griff zu bekommen«, sagte Danny.
»Die Ursel Dornapfel geht doch zu dem jungen Physiotherapeuten. Wie heißt er noch gleich? Lorenz usw. …«
»Lorenz Bergwald«, half Danny ihm aus der Verlegenheit.
»Richtig, Lorenz Bergwald. Die Ursel ist ja nun auch schon über die siebzig hinaus und meinte, dass sie so gut wie keine Beschwerden mehr in ihren Knien hat und sogar wieder wandern gehen kann. Bevor ich mich einer Operation unterziehe, möchte ich es auch gern mal mit einer Physiotherapie versuchen.«
»Von einer Operation möchte ich Ihnen auch abraten. Die ist wirklich nur die letzte Option.«
»Dann könnte die Gymnastik bei mir auch noch etwas bewirken?«
»Auf jeden Fall«, machte Danny Ottmar Mut. »Wir machen aber zur Sicherheit auch noch ein Blutbild, um uns die Entzündungswerte anzusehen.«
»Das wäre mir eine Beruhigung.«
»Ansonsten haben wir Sie ja erst vor zwei Monaten gründlich untersucht. Oder haben Sie noch andere Beschwerden?«
»Nein, sonst ist alles so weit in Ordnung.«
»Das höre ich gern, bitte sehr, für Sie«, sagte Danny und reichte Ottmar das Rezept für die Krankengymnastik.
»Danke, Herr Doktor, ich werde mir gleich heute einen Termin geben lassen.«
»Sophia, Herr Schulte bekommt ein großes Blutbild«, informierte Danny Sophia über das Haustelefon, bevor er Herrn Schulte zur Tür des Sprechzimmers begleitete.
»Wann kann ich wegen des Ergebnisses der Blutuntersuchung anrufen?«, fragte Ottmar.
»Morgen Nachmittag«, antwortete Danny und verabschiedete sich von ihm. Seine nächste Patientin war Gusti Meier, die er gleich darauf aufrief.
»Guten Morgen, Herr Doktor, mir ist in den letzten Tagen recht oft unerträglich heiß, beinahe so, als hätte ich Fieber«, erklärte sie ihm, nachdem er sie begrüßt hatte und sie auf dem Stuhl ihm gegenüber Platz genommen hatte.
»Haben Sie denn Fieber?«, fragte Danny.
»Nein, es fühlt sich nur so an.«
»Wann treten diese Beschwerden denn auf?«
»Meistens am Nachmittag, wenn ich auf der Terrasse beim Nachmittagskaffee sitze. Könnt es vielleicht am Kaffee liegen? Müsst ich mal wieder ein EKG machen lassen?«
»Das können wir tun, sicher. Aber ich denke, Sie müssen sich keine Sorgen machen. Es liegt vermutlich an den hohen Temperaturen, die wir augenblicklich alle aushalten müssen«, beruhigte Danny sie.
»Ich habe gelesen, dass auch Frauen in meinem Alter noch an hormonbedingten Hitzewallungen leiden können. Die Hormone werden ja nur nach und nach weniger, und das ist ein langer Prozess.«
»Stimmt, damit haben Sie recht, aber wirklich große Auswirkungen dürfte dieser Wandel in Ihrem Alter nicht mehr haben. Aber wenn Sie möchten, können wir auch gern einen Hormonstatus machen, letztendlich ist jeder Mensch ein Individuum.«
»Danke, Herr Doktor, Sie nehmen Ihre Patienten ernst«, sagte sie und sah Danny mit einem dankbaren Lächeln an. »Ich lass mir dann einen Termin für ein EKG geben.«
»Wir können das auch gleich erledigen und Ihnen auch Blut abnehmen, um den Stand der Hormone zu bestimmen.«
»Ich komm lieber noch mal vorbei.«
»Ganz wie Sie wollen«, sagte Danny, der mit dieser Antwort gerechnet hatte, weil ein weiterer Termin ihr die Möglichkeit eröffnete, erneut in die Praxis zu kommen, um ein Schwätzchen mit den Nachbarn zu halten, die sie im Wartezimmer traf.
»Geh, was ist das?« Erschrocken starrte Gusti aus dem Fenster des Sprechzimmers, als sie aufstand, um sich von Danny zu verabschieden.
»Das sieht nach einem Großbrand aus«, sagte Danny, als er ihrem Blick folgte und die riesige Rauchwolke sah, die zum Himmel aufstieg.
»Es scheint ganz in der Nähe zu sein«, mutmaßte Gusti.
»Auf den ersten Blick sieht es so aus«, stimmte Danny ihr zu, obwohl ihm bewusst war, dass die Rauchsäule auch die Folge eines weiter entfernten Brandes sein konnte.
»Daniel, ich muss zu einem Einsatz«, verkündete Lydia, die nach einem kurzen Anklopfen ins Sprechzimmer stürmte.
»Wo ist der Brand?«, fragte Danny, weil er davon ausging, dass Lydia als Mitglied der Freiwilligen Feuerwehr zu diesem Brand gerufen wurde.
»Das Feuer ist im Möbelhaus im Einkaufszentrum ausgebrochen.«
»Wann öffnet es? Um neun oder um zehn?«, fragte Danny und schaute auf die alte Standuhr, die halb zehn anzeigte.
»Um neun«, beantwortete Gusti seine Frage und wurde auf einmal ganz blass. »Das könnt bös ausgehen«, murmelte sie und starrte wieder auf die Rauchsäule.
»Ich weiß nicht, ob ich heute noch mal kommen werde«, sagte Lydia, die noch in der Tür stand.
»Der Brand geht vor, passen Sie auf sich auf, Lydia!«, rief Danny ihr nach, als sie gleich darauf davoneilte.
»Tapferes Madl«, sagte Gusti.
»Ja, allerdings, das ist sie. Sophia wird Ihnen dann einen Termin für das EKG geben.« Ohne Lydia musste Sophia sich auf die unbedingt notwendige Arbeit beschränken. Das EKG, das eigentlich nicht sein musste, hätte er nun ohnehin auf einen anderen Termin verschieben müssen.
Nachdem er Gusti verabschiedet hatte und seinen nächsten Patienten zu sich bat, sah er einen Moment lang auf die Rauchsäule. Sie hatte sich inzwischen in ihren Ausmaßen verdoppelt.
*
Die Feuerwache war mit dem Auto nur fünf Minuten von der Praxis Norden entfernt. Das Tor, hinter dem die Einsatzfahrzeuge standen, war bereits geöffnet, als Lydia gleichzeitig mit Britta Bergmeister eintraf. Britta und sie waren die einzigen Frauen auf dieser Wache, fühlten sich aber beide von ihren männlichen Kollegen als gleichwertig behandelt.
»Weißt du schon etwas Näheres?«, wollte Britta von Lydia wissen, als sie zum Umkleideraum liefen, um ihre Brandschutzkleidung anzuziehen.
»Nein, nur dass der Brand im Möbelhaus ausgebrochen ist.«
»Wollen wir hoffen, dass um diese Zeit noch nicht so viele Leute dort unterwegs waren«, sagte Britta, eine große sportliche Frau mit rotbraunem Haar, das sie eilig zu einem Pferdeschwanz band, den sie unter den Schutzhelm stopfen konnte.
»Da sie schon geöffnet hatten, sollten wir auf Opfer vorbereitet sein«, entgegnete Lydia ruhig und gefasst. Wie ihre Kollegen auch, musste sie ihre Gefühle im Griff haben, sonst war sie nicht in der Lage, ihre Aufgabe zu erfüllen.
Nachdem Britta und sie die rote Brandschutzkleidung und die wasserfesten schwer entflammbaren Stiefel