Doc Martens, die in Moskau der letzte Schrei waren und in China gefälscht wurden, dem Paradies der Produktpiraterie. Als sie den Arbeitsraum erreichte, wirbelte sie mit der Pistole im Anschlag zum Eingang herum, fand aber nichts als gähnende Leere.
Den Flur hinunter ging eine Tür auf und ein Mann mit einer Zeitschrift kam heraus – Maxim. Er bemerkte sie erst, als sie ihm eine Kugel ins Auge verpasste. Der letzte Wächter hatte nicht einmal seine Waffe mit zur Toilette genommen. Nicht, dass das etwas geändert hätte, aber es bewies, wie lasch das Sicherheitsteam nach Jahren des Nichtstuns und der relativen Sicherheit geworden war.
Jet hörte wieder ein Knarzen im oberen Stock, während der tote Mann die Wand entlang zu Boden glitt und eine unregelmäßige Blutspur hinterließ. Sie war bereits an der Treppe, bevor ihn die Schwerkraft gänzlich hinuntergezogen hatte.
***
Arkadi hatte ein flaues Gefühl im Magen. Irgendetwas stimmte nicht. Der Strom war ausgefallen und seit er wieder an war, hatte er niemanden draußen patrouillieren sehen. Aber noch ungewöhnlicher war, dass er von den Gebäuden der umliegenden Bauernhöfe jenseits der Felder ein paar schwache Lichter wahrnehmen konnte. Die nächtlichen Stromausfälle betrafen für gewöhnlich das gesamte Gebiet und nicht nur sein Grundstück.
Er drückte den Sprechknopf des Zweiwegefunkgeräts, über das er immer mit seinen Leibwächtern kommunizierte und knurrte einen Befehl an alle, sich zu melden. Er ließ den Knopf los und wartete auf eine Antwort, aber es kam keine.
Es war natürlich möglich, dass sie wieder einmal nichts gehört hatten. Aber er gehörte nicht zu denen, die immer nur vom besten Fall ausgingen. Sein Bauchgefühl sagte ihm, dass er in Gefahr war.
Arkadi ging an seinen Schreibtisch, holte eine Pistole aus der mittleren Schublade – eine SIG 225R – und ging dann auf Zehenspitzen zur Tür des Büros, wo er aufmerksam lauschte. Er sammelte gerade das Adrenalin, das er brauchte, um die Tür aufzureißen, als plötzlich das Fenster zersplitterte und sich eine schwarzgekleidete Gestalt über den Boden rollend auf ihn stürzte. Er drehte sich und brachte die Waffe in Anschlag, aber ein stechender Schmerz fuhr durch sein Bein, wo ihm Jets rasiermesserscharfe Klinge die Achillessehne durchtrennt hatte, sodass ihm schwarz vor Augen wurde. Sein Bein knickte ein und er schrie, als er den Abzug drückte, aber der Schuss ging daneben und der Schmerz breitete sich jetzt in seinem Magen aus. Er ließ die Pistole fallen und sah, wie ihn Jets maskiertes Gesicht anstarrte. Ihr Messer steckte bis zum Heft in seinem Bauch. Sie stand auf, nahm das Messer fest in die Hand, stellte ihn aufrecht hin und schlitzte ihn dann bis zum Herzen auf, so wie man es ihr in den unzähligen Stunden der Nahkampfausbildung beigebracht hatte.
Arkadi riss im Schock die Augen weit auf angesichts des rapiden Blutverlusts, und sein letzter Gedanke war die Erkenntnis, dass sein Attentäter eine Frau war. Seine Lippen spannten sich an, aber seiner Kehle entfuhr nur ein Gurgeln, als er vergeblich etwas zu sagen versuchte, dann wurde es dunkel und er fiel zu Boden. Das Messer steckte noch immer fest in seiner Brust.
Jet bückte sich und fühlte Arkadis Puls am Hals. Als sie seinen Tod festgestellt hatte, holte sie ein Handy aus der Tasche und machte ein Foto von der Leiche, auf dem sein Gesicht deutlich zu erkennen war. Sie drückte die Tasten des Telefons mit der Hand, die nicht blutüberströmt war, und schickte das Bild per E-Mail ab. Dann steckte sie das Handy zurück in ihre schwarze Hose.
Der Auftrag war ausgeführt, nun hatte es oberste Priorität, ungesehen vom Gelände zu entkommen und das Land so bald wie möglich zu verlassen. Bis die Leichen entdeckt würden, wäre sie längst über alle Berge und der Angriff würde kriminellen, kriegführenden Splittergruppen in die Schuhe geschoben werden, die um ihre Gebiete kämpften.
Sie wusste nicht genau, wer die Zielperson war oder was sie getan hatte, um so ein Schicksal verdient zu haben. Das wusste sie fast nie. War auch nicht ihr Job. Alles, was sie wusste, war, dass er mit extremer Gewalt aus der Welt geschafft werden musste, und dass diese Aufgabe als wichtig genug erachtet wurde, um eine teure, komplizierte Mission auszuarbeiten, die sich in einem weit von zu Hause entfernten Teil der Welt abspielte. Welche Gefahr auch immer er bedeutet haben mochte, sie war nun gebannt. Ende der Geschichte.
Jet wischte das geronnene Blut von ihrem schwarzen Handschuh und hinterließ dabei Spuren auf dem üppigen weißen Teppich, dann hob sie die SIG auf, die bei der Zielperson lag und ging vorsichtig den Gang hinunter.
Die anderen Wachen waren noch außer Gefecht. Das Gas würde dafür sorgen, dass es noch mindestens sechs Stunden so blieb, also waren sie keine Bedrohung. Nicht, dass sie je gezögert hätte, alle umzubringen, aber es gab keinen Grund dafür und sie handelte nie grundlos. Sie legte Wert auf Effizienz und die Tötungen in dieser Nacht waren notwendig gewesen, um die Mission zu erfüllen. Mehr nicht.
Zurück beim Auto zog sie ihre Kleider aus und steckte sie in einen Müllsack, zusammen mit dem Rucksack und den Waffen. Dann zog sie einen unauffälligen Pullover und Jeans an. Sie warf den Sack hinten ins Auto und machte den Kofferraum zu. Dann setzte sie sich ans Steuer, startete den Wagen und betrachtete noch kurz ihr Gesicht im Rückspiegel. Im blassen Mondlicht sah sie ein paar getrocknete Blutspritzer auf ihrem Nasenrücken, die sie mit einem Taschentuch und Spucke abwischte. Die Augen, die sie aus dem Spiegel anblickten, waren ruhig und leer. Sie enthüllten nichts und gaben keinen Hinweis auf das, was sie gerade getan hatte. Als sie den Gang einlegte, dachte sie daran, was Ariel damals zu ihr gesagt hatte. Er hatte ihr Komplimente gemacht und sie als perfekte Agentin gelobt, nachdem sie eine besonders schwierige Mission reibungslos über die Bühne gebracht hatte.
Perfekt. Das war sie, nahm sie an. Aber was er nicht wusste: Der Motor, der sie antrieb, lief mit einer explosiven Mischung aus Zorn, Hass und Verzweiflung. Jedes Mal, wenn sie eine Mission erfüllte, war sie stolz, die Beste zu sein. Der Rest – das Töten, die Lebensgefahr, der Flirt mit dem Tod beim Tanz auf einer Klinge – war Nebensache. Ein Teil von ihr verachtete das sogar, fiel ihr auf – eine plötzliche Offenbarung, die erklärte, warum sie sich innerlich so leer fühlte, selbst wenn sie eine Mission erfolgreich hinter sich gebracht hatte. Irgendwo tief in ihrem Inneren hasste sie sich selbst und jene, die sie zu dem gemacht hatten, die eine kalte, berechnende Killermaschine erschaffen hatten, für ihre eigenen, egoistischen Zwecke.
Eine einsame Träne lief über ihre Wange, als sie der kleinen Straße zur größeren Hauptstraße folgte, die sie zu ihrem Kontaktpunkt führte. Sie würde das Auto stehen lassen, damit es ein anderer Agent reinigte, und von Grosny nach Moskau fliegen, wo sie verschwinden und erst bei Bedarf wieder auftauchen würde. In der verlorenen Träne konzentrierten sich all die Qual und der Abscheu, den ein hartes Leben angehäuft hatte; ein Denkmal des Lebens, ohne Zukunft oder Vergangenheit.
Nur heute.
Und heute hatte sie ihre Arbeit gemacht. Wie gewöhnlich. Wie es erwartet wurde.
Wie immer.
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