Sharon Garlough Brown

Unterwegs mit dir


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ihrer Frisur schien sie nicht viel Aufmerksamkeit zu widmen. Ihre kinnlangen, hellbraunen Haare waren feucht und hingen ihr strähnig ums Gesicht. Mara dachte, dass ein Stufenschnitt und ein Föhn – und vielleicht etwas Farbe und Strähnchen, um das Grau zu überdecken – wahre Wunder bei ihr bewirken würden.

      Sie hatte deutlich sichtbare Falten, die sie alt machten. Ihre Stirn war die einer Denkerin. Oder einer Frau, die sich viele Sorgen machte. Vielleicht beides. Und unter ihren Augen waren deut­liche Ringe der Erschöpfung. So dunkle Ringe hatte Mara noch nie gesehen. Abgesehen von der Müdigkeit lag ein wissender Blick in ihren Augen, der beunruhigend hätte sein können, wäre er nicht durch eine weiche Sanftheit abgemildert worden. Diese Augen strahlten Vertrauenswürdigkeit aus und luden zum Preisgeben von Geheimnissen ein.

      Aber vielleicht bildete sich Mara das auch nur ein. Vielleicht lag es an dem Kreuz um ihren Hals, das Mara instinktiv veranlasste, ihr zu vertrauen. Dieses Kreuz war einzigartig; so etwas hatte sie noch nie gesehen. Es war aus Nägeln gearbeitet und hing an einem schwarzen Band. Fasziniert starrte sie es an.

      Die Frau bemerkte ihren Blick und lächelte. Mara fand sie sympathisch. „Hallo, ich bin Hannah Shepley.“ Sie blickte auf Maras Namensschild. „Schön, Sie kennenzulernen, Mara … und Meg … und … Entschuldigung. Ihr Namensschild kann ich nicht richtig erkennen.“

      „Charissa Sinclair“, half das Model aus.

      „Charissa?“, wiederholte Mara. „Den Namen habe ich noch nie gehört. Er ist wunderschön.“

      Das passte ja. Das Model hatte sogar einen ausgefallenen, besonders klangvollen Namen. Vielleicht hatte sie ihn erfunden. Hatten reale Menschen einen Namen wie Charissa Sinclair? Mara beobachtete, wie sie einen Laptop aus ihrem Rucksack nahm, und kämpfte darum, keine innere Ablehnung ihr gegenüber zu empfinden.

      „Also, wie wäre es, wenn jede von uns kurz erzählt, warum sie hier ist?“, schlug Hannah vor und faltete die Hände vor sich auf dem Tisch, als wollte sie beten.

      Meg senkte ausweichend den Blick. Charissa schaltete ihr Mobiltelefon aus. Im Raum wurden leise Gespräche geführt.

      „Ich kann anfangen“, bot Mara an. Sie ließ ihren Blick über die anderen Teilnehmerinnen wandern und räusperte sich. „Ich bin Mara. Mara Garrison. Ich bin verheiratet und habe drei Söhne. Brian ist dreizehn, Kevin ist fünfzehn und Jeremy ist schon dreißig und wird bald zum ersten Mal Vater. Ich weiß auch nicht, wie das passiert ist. Ich meine, dass die Zeit so schnell vergangen ist, nicht das mit dem Baby.“ Sie lachte ihr glucksendes, schnorchelndes Lachen, das den Jungen immer peinlich war und ihre Freunde amüsierte.

      Hannah grinste, während Charissa unbehaglich auf ihrem Stuhl herumrutschte. Mara fuhr fort: „Irgendwie habe ich das Gefühl, in vielen Bereichen meines Lebens festzustecken. Bisher habe ich nie an einer Bibel- oder Gebetsgruppe oder so was teilgenommen, und ich bin ziemlich nervös. Ich weiß nicht, was mich hier erwartet. Aber meine Therapeutin hat mir diesen Kurs empfohlen. Sie meinte, er könnte mir dabei helfen, etwas von meinem Ballast loszuwerden, und darum bin ich hier. Bereit oder nicht.“ Mist. Hatte sie das gerade wirklich laut ausgesprochen? Was war nur los mit ihr? „ZVI, Mama!“, würden die Jungs augenrollend sagen. Zu viel Information. Charissa musterte sie mit hochgezogenen Augenbrauen. Das Model brauchte vermutlich keine Therapeutin.

      Hannahs Stimme beendete das unbehag­liche Schweigen. „Da­mit sind Sie bestimmt nicht allein, Mara. Jeder von uns trägt Lasten mit sich herum, die wir abladen müssen, um unbeschwert unterwegs sein zu können, nicht?“

      Mara dankte ihr innerlich und war froh über ihren Versuch, ihr Unbehagen zu zerstreuen. Vielleicht hatte Hannah auch eine Therapeutin.

      „Dann mache ich mal weiter“, sagte Hannah. Charissa konzentrierte sich auf ihren Bildschirm, und Megs Blick hing sehnsüchtig an der Tür nach draußen. „Ich bin Hannah. Ich komme aus Chicago und wohne für die kommenden neun Monate im Haus einer Freundin hier am See.“ Charissa zog wieder die Augenbrauen hoch, und Mara fragte sich, ob Hannah vielleicht unfreiwillig schwanger war und die Anonymität suchte. Neun Monate … Vielleicht wirkte sie deswegen so erschöpft und traurig.

      „Sind Sie Schriftstellerin?“, fragte Charissa.

      Huch, dachte Mara. Auf die Idee wäre ich nie gekommen. Das zeigt mal wieder, in welche Richtung meine Gedanken gehen.

      Hannah lächelte trocken. „Nein. Ich bin Pastorin und wurde gegen meinen Willen gezwungen, eine lange Auszeit an einem absolut wundervollen Ort zu verbringen. Und ich habe keine Ahnung, wie ich diese Zeit füllen soll.“

      Das erklärte die Erschöpfung. Mitgefühl hatte die tiefen Falten in ihre Stirn gegraben. Es war die Stirn einer Pastorin.

      „Haben Sie Familie in der Nähe?“, fragte Mara. Sie schämte sich, dass sie sie mit einem unehe­lichen Kind in Verbindung gebracht hatte. Zu viele Klatschzeitschriften.

      „Nein“, erwiderte Hannah. „Meine Eltern leben in Oregon und mein Bruder mit seiner Familie in New York. Ich bin in der Mitte zwischen beiden gelandet. Und jetzt warte ich wohl einfach ab, was Gott für mich bereithält.“

      Obwohl sich Hannahs Lippen zu einem Lächeln verzogen, erreichte es ihre Augen nicht, wie Mara auffiel. Diese dunklen, erschöpften, traurigen Augen. Mara fragte sich, was für einen Hintergrund sie wohl hatte. Welche Frau würde sich nicht über einen langen Urlaub in einem Haus am See freuen? Sie wünschte, sie könnte mal eine Auszeit von ihrem Mann und den Teenagern nehmen! Sie bräuchte auch keine neun Monate. Ihr würden ein paar Wochen reichen, in denen sie sich um niemand anderen als sich selbst kümmern müsste. Das reine Glück! Sie blickte Hannah an und versuchte, keine Eifersucht aufkommen zu lassen.

      Charissas Stimme durchbrach ihre Gedankengänge. „Ich bin Charissa Sinclair. Mein Mann John und ich haben im vergangenen Monat unseren ersten Hochzeitstag gefeiert.“ Die anderen murmelten Glückwünsche. „Danke. Im Augenblick schreibe ich an meiner Doktorarbeit über englische Literatur an der Universität von Kingsbury. Meine große Leidenschaft ist das Lernen, und als mir der Flyer für diesen Kurs in die Hände fiel, fand ich das Angebot gleich interessant. Einer meiner Professoren kennt die Leiterin dieses Zentrums und hat den Kurs wärmstens empfohlen.“

      Na toll, dachte Mara. Schön und klug. War sie hier etwa umgeben von lauter hochgebildeten, supergeist­lichen Menschen? Schleppte auch nur eine der anderen so viel Gepäck mit sich herum wie sie? Alle anderen wirkten so gelassen. Nun, fast alle. Meg machte einen ziemlich verängstigten Eindruck. Aber eine Pastorin und eine Doktorandin? Wenn Mara das gewusst hätte, wäre sie nicht gekommen. Das Ding hier war offensichtlich zu hoch für sie. Was hatte sich Dawn nur dabei gedacht?

      Katherines Stimme erhob sich über das angeregte Murmeln im Raum. „Es wäre schön, wenn Sie langsam zum Ende kommen würden“, sagte sie.

      „Was ist mit Ihnen, Meg?“, fragte Hannah. „Wir möchten Sie nicht übergehen.“

      Mara beobachtete, wie Meg schluckte. „Da gibt es nicht viel zu sagen.“ Megs helle Stimme bebte. „Ich habe eine Tochter, Becca, die gerade angefangen hat, in England Literatur zu studieren.“

      Mara fühlte sich seltsam getröstet, als sie sah, dass sich ein rotes Band der Angst wie eine Würgekette um Megs Hals legte. Mara konnte ihre Fingernägel wenigstens verstecken. Megs Nervosität war nicht zu übersehen. Armes Ding.

      „Schön, dass Sie da sind, Meg“, sagte Hannah.

      Gesegnet sei sie, dachte Mara.

      In diesem Augenblick streckte Katherine ihre Hände aus und forderte alle auf, die Köpfe zum Gebet zu neigen. Mara schloss die Augen und fragte sich, ob Meg wohl noch da sein würde, wenn sie sie wieder öffnete.

      

      Mit sanfter, beruhigender Stimme leitete Katherine die Gruppe durch eine Textbetrachtung. „Ich werde einen Text aus dem Markusevangelium lesen“, erklärte Katherine. „Stellen Sie sich beim Zuhören vor, Sie wären Teil der Geschichte. Was sehen Sie? Was hören Sie? Was fühlen Sie? Was ist Ihr Platz in der Geschichte? Und dann treten Sie einfach vor Gott und sagen