mit Gott“, fuhr er fort. „In ihren Werken setzen sie sich mit den Fragen auseinander, wer Gott ist und wozu er sie geschaffen hat. Wenn ihr nicht ganz persönlich in diese Auseinandersetzung eintretet, werden die Texte für euch nicht lebendig werden. Darum möchte ich euch noch einmal Mut machen, euch in diesem Semester mit eurem eigenen geistlichen Erleben zu befassen. Achtet darauf, was euch formt und prägt. Wenn ihr euch Gottes Einfluss auf euch neu aussetzt, werden diese Texte euch ganz anders ansprechen.“
Charissa überlegte, ob der im New Hope-Zentrum angebotene Kurs wohl Dr. Allens Vorstellungen entsprach. Sechs Samstagstermine über drei Monate wären machbar für sie. Vielleicht erfüllte der Kurs ja Dr. Allens Anforderungen.
Sie wartete, bis sich der Raum geleert hatte, bevor sie an seinen Tisch trat, um ihn zu fragen, ob ihm der Kurs „Geistliche Reise“, der in dem Flyer beworben wurde, bekannt war.
„Begleiten Sie mich doch ein Stück“, forderte er sie auf und nahm seine Aktentasche und seinen Becher.
Sie folgte ihm durch den Flur zu seinem Büro. „Ich habe diesen Flyer gefunden und frage mich, ob der Kurs die Art von Ergänzung zu ihrem Seminar ist, von der Sie gesprochen haben.“
„Durchaus.“
„Und die Kursleiterin Katherine Rhodes. Kennen Sie sie?“
Er nickte. „Ich kenne Katherine gut.“
Charissa zögerte, suchte die richtigen Worte für ihre nächste Frage. „Und theologisch … ich meine …“
Dr. Allen unterbrach sie lachend. „Haben Sie Sorge, vom rechten Glauben abzukommen, Charissa? In diesen Räumen hier besteht viel eher die Gefahr, mit Irrlehren konfrontiert zu werden, als dort. Bei Katherine sind Sie in guten Händen.“ Er trank einen Schluck aus seinem Becher. „Warum interessieren Sie sich für diesen Kurs, jetzt mal abgesehen von meiner Empfehlung im Seminar?“
Sie überlegte kurz und antwortete dann: „Ich möchte lernen.“
Er blieb stehen und blickte sie mit seinen dunklen Augen an. „Falsche Antwort“, erwiderte er und lächelte geheimnisvoll. Machte er Witze?
Obwohl sie mehrere Zentimeter größer war als der Professor, fühlte sich Charissa auf einmal ziemlich klein. Sie senkte den Blick auf seinen sauber ausrasierten Ziegenbart und wartete darauf, dass er weitersprach.
„Nehmen Sie an dem Kurs teil, um Gott zu begegnen, Charissa, oder lassen Sie es bleiben.“
Hannah
Nur einen Monat, nachdem Steve sie mit der Nachricht von ihrem unerwünschten Urlaub überrascht hatte, händigte Hannah einer Praktikantin von etwa Mitte 20 mit Namen Heather, die von der Gemeinde als Ersatz für sie verpflichtet worden war, ihre Schlüssel aus. Heather hatte im Mai ihr Examen am Seminar abgelegt und freute sich sehr über diese Möglichkeit, ein neunmonatiges Praktikum zu absolvieren, bevor sie sich eine feste Stelle suchte. Sie war noch so jung und voller Eifer und hegte die größten Hoffnungen und Pläne für ihren Dienst.
Als Hannah in die funkelnden Augen ihrer Vertreterin blickte, erhaschte sie einen flüchtigen Blick auf sich selbst, wie sie früher gewesen war, damals, als auch sie noch jung und voller Tatendrang frisch vom Seminar in die Westminster Church gekommen war. Sie war 24 gewesen und wollte etwas bewegen. Doch die vergangenen 15 Jahre hatten ihren Tribut gefordert. Wenn Hannah jetzt in den Spiegel blickte, erkannte sie sich selbst kaum wieder. Silberne Fäden mischten sich in ihre braunen Haare, zu viele, um sie noch zu verstecken, und Müdigkeit lag in ihren Augen. Eine unendlich große Müdigkeit. Ihr Alterungsprozess schien sich beschleunigt zu haben, seit Steve ihr das mit der Auszeit offenbart hatte. Aber vielleicht war sie sich ihrer Erschöpfung auch nur stärker bewusst geworden, seit sie es etwas langsamer angehen ließ.
„Machen Sie sich keine Sorgen“, versicherte Heather ihr. Sie klimperte mit Hannahs Haus- und Büroschlüssel. „Ich habe alles im Griff. Und wenn ich Fragen habe, schreibe ich Ihnen eine E-Mail.“ Die Praktikantin lächelte wissend. „Pastor Steve hat gesagt, dass ich Sie in Ruhe lassen und nicht mit irgendwelchen Fragen belästigen soll.“
„Gott segne Sie, Heather.“ Hannahs Herz hatte so wenig Verbindung zu ihren Lippen, dass sie ihre eigene Stimme kaum erkannte. „Ich hoffe, es wird eine gute Zeit für Sie.“ Ehrlich? Wollte sie wirklich, dass diese junge Anfängerin als ihre Vertretung Erfolg hatte? Oder hoffte sie insgeheim, sie würde elend scheitern, damit Steve sie förmlich anflehte, sofort zurückzukommen?
Sie wusste nicht, wie sie diese Frage beantworten sollte.
Nach einem weiteren flüchtigen Blick zurück folgte Hannah ihrer Freundin Nancy Johnson nach draußen zum Wagen. Hannah hatte ihren alten Honda mit Büchern aus ihrem Büro beladen – so viele, wie hineinpassten. Wenn sie schon zu dieser Pause gezwungen wurde, dann wollte sie die Zeit wenigstens gut nutzen.
Kleidung war nebensächlich. Hannah hatte häufig Scherze darüber gemacht, dass sie sich dank ihrer eintönigen Garderobe selbst im Dunkeln anziehen könnte. Und tatsächlich war sie häufig gezwungen, mitten in der Nacht in ihre Sachen zu steigen, wenn sie zu einem Notfall ins Krankenhaus gerufen wurde. Ihre Garderobe war eindeutig pflegeleicht und reisefreundlich. Die wesentlichen Dinge hatten in einen einzigen Koffer und eine Reisetasche gepasst: ihre Pantoffeln aus Schaffell und die Flanellschlafanzüge, einige Jeans und Sweatshirts, ein paar Pullis und Jogginghosen, ein Wintermantel und zwei Fleecepullover, bequeme Schuhe und Stiefel. Die leichteren Kleidungsstücke würde sie im Frühling holen. So hatte sie auch einen guten Grund, nach Hause zu kommen.
„Das ist sicher sehr schwer für dich“, bemerkte Nancy leise.
Du hast ja keine Ahnung, erwiderte sie still für sich. Sie konnte immer noch nicht fassen, was hier geschah.
Die letzte Kiste verstaute sie hinter dem Fahrersitz, und sie hoffte sehr, dass Nancy ihren Inhalt nicht gesehen hatte, als der Deckel aufsprang. In der Kiste steckten alte Tagebücher und andere persönliche Erinnerungsstücke, die Hannah nicht zurücklassen wollte. Schließlich wusste sie ja nicht, wie neugierig Heather war oder wer sonst noch während ihrer Abwesenheit durch ihr Haus wandern würde.
„Doug und ich beten, dass du zur Ruhe kommen und Gott auf ganz neue Weise begegnen kannst“, sagte Nancy. Sie holte einen Schlüssel aus ihrer Tasche. Nancy und Doug hatten Hannah großzügigerweise für die neun Monate ihr Ferienhaus am Lake Michigan zur Verfügung gestellt. Hannah war bisher noch nicht dort gewesen, doch sie hatte Fotos gesehen. Es sah traumhaft schön aus.
„Dieser Schlüssel ist für die Haustür“, fuhr Nancy fort. „Sie klemmt ein wenig, du musst vermutlich ein bisschen rumprobieren. Und hier ist die Wegbeschreibung. Mal sehen, gibt es sonst noch was? Ach ja – kauf immer genug Wasser in Flaschen ein. Das Wasser aus dem Brunnen schmeckt nicht. Ich habe einen Ordner mit Hinweisen auf den Küchentisch gelegt, und wenn du sonst noch Fragen hast, ruf uns einfach an.“
„Danke, Nancy. Danke für eure unglaubliche Großzügigkeit.“ Hannah seufzte und strich sich ihre widerspenstigen Haare erneut hinter die Ohren. „Irgendwas muss mit mir nicht stimmen. Wer könnte denn etwas gegen neun Monate bezahlten Urlaub einzuwenden haben? Ich bin vermutlich verrückt.“
Nancy legte den Arm um Hannahs Schultern. „Du bist nicht verrückt, nur getrieben. Freude an der Arbeit zu haben ist eine gute Sache. Das ist eines der Dinge, die wir an dir so lieben! Aber Steve hat recht: Du trägst die Last der ganzen Welt auf deinen Schultern. Du musst unbedingt mal zu dir kommen.“ Nancy drückte ihr einen Kuss auf die gerunzelte Stirn. „Außerdem ist es eine besondere Gnade, wenn Gott uns vom Gebenden zum Empfangenden macht. Das zumindest hast du mir nach meiner Operation gesagt.“
Hannah lachte reumütig. „Ich hasse es, wenn meine klugen Sprüche gegen mich verwandt werden!“
Als Hannah im Haus der Johnsons am Lake Michigan eintraf, ging gerade die Sonne über dem See unter. Ein wundervoller Anblick. Sie machte es sich in einem verwitterten grauen Gartenstuhl auf der Veranda gemütlich, ließ ihren Blick über den schimmernden See gleiten und atmete tief durch.
Die