fünf Stunden zurück ins Hotelzimmer. Die Tasche, die er bei sich hatte, war prall gefüllt. Er warf sie auf das Bett, wobei Melanie dem improvisierten Wurfgeschoss ausweichen musste.
»Hey!«, protestierte sie.
»Entschuldige«, entgegnete Dexter. »Ich bin nur frustriert.« Er maß jeden der Anwesenden mit festem Blick. »Wir sind jetzt ganz offiziell pleite. Die Waffen haben unsere letzten Reserven aufgebraucht. Entweder wir finden eine andere Geldquelle hier auf Beltaran oder uns werden recht schnell die Optionen ausgehen.«
»Wir können ja zu Ihrem Bruder gehen«, frotzelte Dunlow in dem Versuch, einen Witz zu machen.
Dereks finsterer Blick brachte ihn umgehend zum Schweigen. »Das werden wir ganz sicher nicht tun. Wir werden meinen Bruder so lange wie möglich aus der Sache heraushalten.« Er schlug die Augen nieder. »Ich weiß nicht, inwieweit man ihm trauen kann.«
Melanie sah auf. »Sie glauben doch nicht, dass er was mit dem Tod Ihres Vaters zu tun hat?«
Dexter biss sich leicht auf die Unterlippe, bevor er antwortete. »Er gehört mit Sicherheit zu den Verdächtigen. Er ist der direkte Nutznießer vom Tod meines Vaters.«
Melanie schüttelte den Kopf. »Wir sollten uns nicht zu schnell auf einen Verdächtigen festlegen. Warten wir es erst mal ab, was wir herausfinden.«
Dexter musterte die Nachrichtendienstoffizierin eindringlich. »Hast du denn schon was herausgefunden?«
Sie zögerte und seufzte. »Nicht das Geringste. Im Netz sind so gut wie keine Informationen über den Tod des Grafen zu finden.«
Dexter runzelte die Stirn. »Ist das normal?«
Melanie verzog die Miene. »Ganz im Gegenteil. Das ist sehr ungewöhnlich. Man findet immer Informationen über alles im Netz. Wenn etwas nicht zu finden ist, dann deshalb, weil sich jemand große Mühe damit gegeben hat, alles aufzuspüren und zu beseitigen, und in der heutigen Zeit ist das ein enormer Aufwand. Es war schon vor fünfhundert Jahren gelinde gesagt schwierig, aber nun ist es eine ungleich härtere Herausforderung. Vor einer Stunde hätte ich noch gesagt, es wäre unmöglich.«
Dexter fluchte unterdrückt. »Das erschwert unser Vorhaben. Ich hatte gehofft, eine Suche im Netz liefert uns einen ersten Anhaltspunkt.«
Während Dexter angestrengt nachdachte, begab sich Dunlow zur Tasche auf dem Bett und öffnete sie. Er pfiff leise durch die Vorderzähne und breitete ihre neuen Spielsachen auf dem Bett aus. Es handelte sich um ein paar Handfeuerwaffen, zwei Maschinenpistolen, ein Sturmgewehr sowie ein zerlegbares Scharfschützengewehr. Koch nahm es sofort an sich und begann, es fein säuberlich zusammenzusetzen. Es handelte sich um ein älteres Modell, aber der Scharfschütze war sofort in seinem Element. Er prüfte die Zieloptik, nickte zufrieden und strich zärtlich über das schwarze Gehäuse der Waffe.
Dunlow förderte auf dem Grund der Tasche noch mehrere Blend- und Splittergranaten zutage und sah Dexter mit neuem Respekt an. »Ziehen wir etwa in den Krieg?«
Dexter zuckte die Achseln. »Gut möglich. Ich wollte auf jede Eventualität vorbereitet sein.«
Melanie zuckte die Achseln. »Wir sind jetzt gut ausgerüstet. Bleibt aber die Frage, wofür?«
Dexter war nicht glücklich über den nächsten Schritt, doch er sah keine Alternative. »Saizew hat durchblicken lassen, dass beim Tod meines Vaters irgendetwas nicht mit rechten Dingen zuging.« Er hob den Kopf. »Also sehen wir uns einfach mal die Leiche meines Vaters an.«
Die Nordhalbkugel von Beltaran lag in tiefdunkler Nacht. Noch nicht einmal Sterne waren zu sehen. Es schien, als würden sie sich verstecken vor den grausamen Tagen, denen der Planet mit Riesenschritten entgegenging.
Wie dem auch sei, die allumfassende Schwärze begünstigte Dexters Vorhaben. Der Commodore, St. John, Red sowie Lincoln Dunlow überwanden den Zaun, der den Zentralfriedhof von Ender umgab, ohne Mühe. Es war ihnen ein Leichtes, die wenigen Nachtwächter zu umgehen. Koch hatte in einem leer stehenden Gebäude einige Hundert Meter entfernt Stellung bezogen und gab ihnen mit seinem Scharfschützengewehr Deckung. Dexter hatte sogar daran gedacht, ein Optikmodul für Nachteinsätze für das Gewehr zu besorgen.
Dexter hielt inne und bedeutete seinen Kameraden, es ihm gleichzutun. In einiger Entfernung ging ein Nachtwächter vorüber. Der Lichtkegel seiner Taschenlampe zog behäbig über die zahlreichen, ordentlich in Reih und Glied drapierten Grabsteine. Obwohl der Mann keine Gefahr war, hielt Dexter den Atem an. Das Letzte, was er wollte, war, jemanden zu verletzen.
Der Nachtwächter eilte aber vorüber, ohne sich ihrer Gegenwart bewusst zu werden. Dexter atmete erleichtert aus. Er setzte sich erneut in Bewegung.
Die Familiengruft der Blackburns befand sich ziemlich mittig des Areals und war auch schon von Weitem gut zu erkennen. Es war auf Beltaran bereits seit Jahrhunderten Sitte, die Mitglieder der Grafenfamilie einzubalsamieren. Dexter hoffte, der Körper seines Vaters würde Aufschluss über dessen Tod liefern. Es war eine geringe Hoffnung, aber mehr besaßen sie im Moment nicht.
Die vier Soldaten schlichen über das Gelände. Sie huschten dabei von Deckung zu Deckung, zu jedem Zeitpunkt mit Problemen rechnend. Die Familiengruft der Blackburns erhob sich in der Ferne, bei Nacht lediglich ein großer, schwarzer Schemen. Dexters Blick blieb darauf fixiert. Unbewusst trieb er seine Begleiter zur Eile an. Er konnte es nicht erwarten, die Gruft zu betreten – aber er fürchtete sich auch davor.
Sergeant Wolfgang Koch lag bäuchlings in einem Raum, der vermutlich mal als Büro vorgesehen gewesen war. Das ganze Gebäude war allerdings nie fertiggestellt worden. Vermutlich gehörte es zu den Projekten, bei denen mitten in der Bauphase das Geld ausgegangen war. Da ein Abriss ebenfalls nicht unerhebliche finanzielle Mittel benötigte, die niemand aufbringen wollte, hatte man das Gebäude einfach in halb fertigem Zustand stehen lassen.
Für Wolfgang stellte das sogar einen Glücksfall dar. Die gesamte Südfront fehlte fast gänzlich, was es ihm erlaubte, etwas weiter hinten im Raum auf dem Bauch zu liegen und trotzdem freie Sicht auf das Zielgebiet zu haben.
Wolfgang unterdrückte standhaft ein Gähnen. Als Scharfschütze war er es gewohnt, manchmal tagelang in ein und derselben Stellung zu verharren und auf Beute zu lauern.
Er spähte durch die Zieloptik. Dexter Blackburn und die anderen drei Skull-Offiziere waren lediglich sich bewegende unförmige farbige Flecken. Das Körperzentrum strahlte dabei in besonders deutlichen Rot- und Gelbtönen.
Etwas ganz am Rand von Wolfgangs Blickfeld erregte seine Aufmerksamkeit. Im ersten Moment hielt er den farbigen Fleck für einen der Nachtwächter auf seiner stündlichen Runde. Doch dieses Ziel bewegte sich deutlich vorsichtiger und in halb gebückter Haltung. Als sich auch noch ein zweiter und ein dritter Fleck hinzugesellten, war Wolfgang vollends alarmiert.
Wolfgang aktivierte sein Kommlink. »Commodore? Sie haben Gesellschaft.«
Blackburn antwortete ihm nicht. Tatsächlich drang nichts aus dem Kommlink. Noch nicht einmal statisches Rauschen, was an sich schon ungewöhnlich war. Weitere Gestalten tauchten auf. Das kundige Auge des Scharfschützen erkannte augenblicklich, dass sie dabei waren, die Skull-Offiziere einzukreisen. Dabei gingen sie umsichtig und versiert zu Werke. Das waren eindeutig Profis. Wolfgang fluchte.
Der Scharfschütze nahm den Gegner ins Visier, der der Gruppe um Blackburn am nächsten war. Sollte der unbekannte Angreifer eine imaginäre Linie überschreiten, würde Wolfgang tun, was notwendig war.
Noch zögerte er jedoch, den tödlichen Fangschuss anzubringen. Der Kontakt zu Blackburn und jedem anderen Mitglied der Gruppe war offenbar abgebrochen. Würde er jetzt das Gefecht eröffnen, dann