Argument ließ alle Anwesenden schlagartig verstummen. Dexter verstand dies als Aufforderung zum Weiterreden. »Es gibt immer noch aktive Widerstandszellen und ehemalige Rebellen, die sich jetzt als Söldner und Piraten ihren Lebensunterhalt verdienen. Fischer hat Kontakte und könnte die versprengten Reste der letzten Rebellion wieder zusammenführen. Mit ihnen hätten wir den Grundstein, um in die Offensive zu gehen und endlich einmal selbst zuzuschlagen. Bisher haben wir immer nur reagiert und darauf gewartet, dass man uns in den Arsch tritt.« Dexter bemerkte die Skepsis ringsum. Er seufzte und schlug den Blick nieder. »Ich weiß«, lenkte er ein. »Gegen das Königreich zu kämpfen … damit fühlt sich keiner von uns wohl.« Necheyev grinste. »Ich korrigiere, damit fühlt sich kaum einer von uns wohl«, fügte Dexter hinzu. »Soweit möglich, werden wir nicht gegen königliche Einrichtungen und Verbände kämpfen, aber das Konsortium – der militärische Arm des Zirkels – ist jetzt tief im Königreich verankert. Gegen die müssen wir handeln. Wir müssen ihre Schiffe und Basen eliminieren und sie in die Defensive zwängen. Nur dann finden wir die Beweise, die wir brauchen, um der breiten Öffentlichkeit vor Augen zu führen, was hier wirklich vor sich geht.«
»Sie können aber nicht versprechen, dass wir uns nicht eines Tages vor den Geschützläufen der Royal Navy wiederfinden werden«, gab Christian zu bedenken.
»Nein, das kann ich nicht«, gab Dexter freimütig zu. »Diese Garantie kann niemand geben. Und ich will ganz ehrlich sein, es wird noch schlimmer, bevor es besser wird. Aber wenn wir die Kontrolle des Zirkels über das Königreich brechen wollen, ist das der beste Ansatz. Legitime Angriffsziele werden vor allem die Grafschaften Rayat und Onbele sein. Diese zwei Systeme haben es überhaupt ermöglicht, dass das Konsortium zur militärischen Bedrohung wurde. Sie müssen irgendwie mit dem Zirkel in Verbindung stehen. Ich wäre nicht überrascht, wenn diese beiden Grafschaften ein wichtiger Teil ihrer militärischen und administrativen Infrastruktur wären.«
Oscar rieb sich die Hände aneinander, während er angestrengt nachdachte. Als er aufsah, blitzten seine Augen. »Ich nehme an, du hast einen Plan, was Fischers Befreiung angeht?«
Dexter nickte. »Fischer sitzt an Bord der Asylum. Präsident Saizew gab mir zum Abschied ein Geschenk.« Er holte einen Datenträger aus der Uniformjacke und steckte diesen in eine eigens dafür vorgesehene Vertiefung am Tisch. Augenblicklich wurde das Hologramm eines Schiffes über den Tisch projiziert.
Necheyev sog scharf die Luft ein, als ihr die schieren Ausmaße des Gefängnisraumers bewusst wurden. »Das verdammte Ding ist ja riesig«, hauchte sie.
Dexter nickte. »Sie misst vom Bug bis zum Heck acht Kilometer. Die Asylum ist sowohl Gefängnis- als auch Fabrikschiff. Mit ihr werden Rohstoffe in Asteroiden abgebaut und das Roherz wird gleich auf dem Schiff raffiniert und veredelt, sodass es fertig zur Weiterverarbeitung ist. Heute wissen wir, dass die Asylum mehr vom Zirkel als vom Königreich selbst kontrolliert wird. Zu jedem beliebigen Zeitpunkt befinden sich etwa dreitausendfünfhundert Häftlinge an Bord sowie achthundert Mann Besatzung und etwa tausend schwer bewaffnete Wachen. Die meisten derzeitigen Gefangenen werden Bürgerkriegssoldaten sein, die auf der falschen Seite standen. Der Zirkel nutzt die Asylum, um politische Gegner, Dissidenten und Menschen von Interesse wegzusperren, sie aber bei Bedarf trotzdem verfügbar zu haben.«
Dexter holte kurz Luft. Die Erinnerungen an seine Zeit auf der Asylum überfluteten ihn. Szenen der Grausamkeit liefen vor seinem inneren Auge ab. Schlafentzug, Isolierung in Einzelhaft sowie Schläge durch die brutalen Wachen waren an Bord dieses Schiffes an der Tagesordnung. Individualität oder Widerstand jeglicher Art wurde nicht toleriert. Er schluckte schwer.
»Die Asylum ändert einmal pro Woche die Position. Der Flugplan ist nur einer kleinen, sehr illustren Gruppe von Personen bekannt. Gregory Saizew gehörte dazu.« Bei der Erwähnung des Namens seines Vaters schlug Red betroffen die Augen nieder, während Dexter fortfuhr. »Die Asylum wird einmal pro Monat angeflogen. Neue Gefangene werden an Bord gebracht und das raffinierte Erz wird weggeschafft. Es wird sowohl zivilen als auch militärischen Zwecken zugeführt.«
Dexter betätigte einen Schalter und der Grundriss der Asylum wurde ersetzt durch eine Sternkarte, durch die eine rote Linie führte. »Die Asylum bewegt sich ausschließlich außerhalb des Königreichs. Das ist rechtsfreier Raum. Dort können die Verantwortlichen tun, was immer sie wollen. Einen namenlosen Gefangenen aus der Luftschleuse zu stoßen, kümmert dort kein Schwein. Würde die Öffentlichkeit je erfahren, was sich dort abspielt, wäre der moralische Aufschrei ohrenbetäubend.«
»Und so etwas erlaubt das Königreich?« Necheyev war fassungslos.
Oscar schnaubte. »Vergessen Sie nicht, dass Ihr Präsident davon wusste und die Asylum auch auf seinem Hoheitsgebiet tolerierte. Die wenigsten Menschen sind ohne Schuld.«
Necheyev presste die Lippen aufeinander, schwieg aber. An die Verantwortung ihres eigenen Staatsoberhauptes erinnert zu werden, schmeckte ihr nicht besonders.
Oscar ließ es dabei bewenden. Er deutete auf das Hologramm des Flugplans. »Dieses verdammte Ding ist eine Festung. Die Frage ist: Wie knacken wir sie?«
Schweigen breitete sich aus, als alle Anwesenden über die Problematik nachdachten. Das war in der Tat ein schwieriger Punkt.
»Wir schleusen jemanden ein«, meinte Lennox Christian schließlich.
Dexter schüttelte den Kopf. »Das wird nicht funktionieren. Besatzungsmitglieder und Wachen sind handverlesen und der überwiegende Teil gehört vermutlich zum Zirkel. Zumindest müssen wir davon ausgehen. Es ist unmöglich, dort jemanden reinzubringen. Die vorherige Sicherheitsüberprüfung würde ihn zwangsläufig enttarnen.«
»Ich hatte auch nicht daran gedacht, jemanden als Wache einzuschleusen.«
Dexter sah mit hochgezogenen Augenbrauen auf. »Als Häftling also?« Er überlegte. »Nun, das ist mit Sicherheit leichter denn als Wachmann. Aber es wird schwieriger, ihn wieder rauszubringen.«
Oscar leckte sich über die Lippen. »Es wäre sinnvoll, jemanden dort reinzubringen, der sich mit den Gegebenheiten auskennt.«
Dexter benötigte einen Augenblick, um zu erkennen, worauf Oscar hinauswollte. Er sah sich unter den Anwesenden um. Ihre Blicke lagen vielsagend auf seiner Person. Er riss die Augen auf und lehnte sich zurück.
»Auf keinen Fall!«, wehrte er ab.
»Dexter …«, begann Oscar.
Doch Dexter ließ ihn gar nicht erst ausreden. »Nein!«, begehrte er auf. »Ich habe dort Jahre meines Lebens verbracht. Nichts und niemand bringt mich wieder dort hinein. Auf keinen Fall!«
»Du wirst tun, was ich dir befehle!«, erwiderte Oscar unnachgiebig in hartem Tonfall.
Dexter schnaubte. »Ich werde jeden Befehl von dir buchstabengetreu ausführen. Darauf kannst du dich verlassen – bis auf diesen einen. Ich gehe nicht mehr auf die Asylum zurück. Nie wieder!«
Oscar wollte schon aufstehen, um seine Autorität zu unterstreichen, doch ein Einwand hielt ihn zurück. »Ich mache es.«
Alle Augen richteten sich auf Lennox Christian, der die Blicke ungerührt erwiderte. »Ja, ich mache es. Ich gehe auf dieses Schiff. Und ich nehme Barrera mit.«
Oscar setzte sich wieder. »Sind Sie sicher?«
Dexter war ob dieser Bemerkung etwas verärgert. Von ihm selbst hatte Sorenson vorausgesetzt, er solle auf jeden Fall gehen. Bei Christian fragte er nach, ob dieser das wirklich auf sich nehmen wolle.
Der Marine-Colonel nickte. »Jemand muss es tun und es wäre gut, wenn es jemand ist, der sich in Guerillakriegsführung und sowohl in der Bekämpfung als auch im Anzetteln von Aufständen auskennt. Auf einen Flottenoffizier trifft das nicht zu.« Christian schenkte Dexter einen mitfühlenden Blick. »Außerdem verstehe ich den Commodore. Niemand, der diese Hölle einmal überlebt hat, würde dorthin zurückkehren wollen.«
Dexter erwiderte mit steinerner Miene das Nicken.
Red seufzte. »Nun, dann wissen wir, was wir machen, aber wie kriegen wir Barrera und Sie auf dieses Schiff?«
Dexter