Clara Viebig

Die Osterglocken


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      »O mein Jesus!«, flüsterte die Susanna und sank vor dem Bett in die Knie, ihre lebenswarmen Hände streichelten sacht die todeskalten. – »Er hat uns so glücklich gemacht, der gute Mann, er muss nun in die Erd’ und wir – wir – oh, Franz!« Sie fiel dem Liebsten um den Hals mit seligen Tränen.

      Wenn doch der alte Cleren gesehen hätte, wie sie einander umfasst hielten und sich in die Augen blickten und sich gar nicht lassen konnten – die Glücklichen! Neben ihnen Tod und Grab, hinter ihnen eine dunkle Winternacht, aber vor ihnen jubelnder Frühlingstag, leuchtende Ostersonne!

      Vorm Fenster schwirren Vögel auf, sie wiegen sich trillernd im blauen Äther. Fröhliche Menschen eilen zum Dom, feiertäglich gekleidet, Palmzweige in den Händen. Es liegt ein Festglanz auf allen Gesichtern, ein Freudenschein über Himmel und Erde. Die Sonne lacht, die Lüfte lächeln, das junge Grün schimmert, ein mächtiges Wehen rüttelt die Welt auf. – »Erwacht! Erwacht zur Freude, Ostern – Ostern!«

      Die Glocken tönen: »Bimbam – bimbam« -

      Es waren doch Engel, die sie geläutet haben, das lahme Kind hatte recht – Engel in Kleidern der Unschuld, Frühlingskränze im Haar –

      Kling klang gloria. Osterglocken!

       Erklärungen:

       Rindertanzstraße = (tatsächlicher) Name einer Straße (zwischen Dom und Porta Nigra) in Trier;

       Lintzen = wahrscheinlich ein Druckfehler; es könnte »Linnen« oder »Litzen« heißen.

       Textquelle:

       Linzer Tages-Post, 5. April 1896, S. 1 und S. 2

      Die weibliche Feder

      Als ich vor ungefähr dreißig Jahren meine ersten kleinen Arbeiten veröffentlichte, riet mir Paul Lindenberg, der damals Herausgeber einer Korrespondenz für Zeitungen war, statt meines ehrlichen Taufnamens »Clara« mich mit einem einfachen »C.« zu begnügen. Er meinte, Publikum und Redakteure hätten nun einmal ein gewisses Mißtrauen gegen die weibliche Feder, besonders, wenn die Autorin noch unbekannt sei; es wäre vorteilhafter für mich, wenn man hinter dem »C.« einen Carl oder Clemens oder Constantin vermutete. Mir war das sehr gleichgültig, und ich gab meine Zustimmung; der erfahrene Herausgeber mußte es ja am besten wissen, wie man einen neuen Autor fördert. Aber ich habe keinen Augenblick geglaubt, daß diese kleinen rheinischen Erzählungen, die in all ihrer Harmlosigkeit den Stempel, wenn auch nicht der späteren Clara Viebig, so doch den einer Frau als Verfasser trugen, wirklich für Produkte männlicher Erzählungskunst angesehen werden könnten. Dennoch sind damals die ersten Briefe, die mit der Bitte um Beiträge von Redaktionen an mich kamen, unter der Anschrift eines Herrn C. Viebig an mich gelangt. Es muß also nicht so leicht sein, die weibliche Feder als solche zu erkennen – oder es muß viele Männer geben, die, wenn sie die Feder führen, ihre Männlichkeit verleugnen.

      Die Bedeutung, die der Frauenroman besaß, und die besondere Würdigung, die er fand, hat es nicht verhindert, daß viele bedeutende schriftstellernde Frauen geglaubt haben, sich den Helm einer männlichen Pseudonymität aufstülpen zu müssen. Das klassischste Beispiel dafür ist im vorigen Jahrhundert eine George Sand. Durch und durch Frau im Leben und im Schreiben – trotz der starken Zigarren, die sie geraucht, und trotz des starken Tobaks, den manche ihrer Romane für die damalige Zeit bedeuteten – hat sie den männlichen Decknamen nicht entbehren zu können geglaubt. Sie hat damit auch in Deutschland Schule gemacht. Daniel Stern allerdings, die Mutter von Cosima Wagner, obgleich in Frankfurt von deutschen Eltern geboren, war als Komtesse d’Agoult mehr Französin als Deutsche, aber Karl Detlef, hinter dessen vielgerühmten Namen sich die Schauspielerin Caroline Bauer verbarg, und Moritz von Reichenbach, hinter dem die Gräfin Bethusy Huc steckte, und noch viele andere große und kleine Geister haben ihre Weiblichkeit so verleugnet. Selbst so viel gelesene und beliebte Schriftstellerinnen wie Eugenie John und Elisabeth Bürstenbinder haben es nicht verschmäht, als E. Marlitt und E. Werner die nicht Wissenden über ihr Geschlecht im Unklaren zu lassen. Haben sie damit wirklich die Weiblichkeit ihrer Feder – eine Weiblichkeit, die trotz aller Talentiertheit, für uns einen leisen Beigeschmack besitzt, der uns jetzt nicht mehr mundet – erfolgreich verleugnen können?

      Als die Begründerin des deutschen Frauenromans, Sophie von Laroche, die Großmutter von Clemens Brentano und Bettina von Arnim, ihre »Geschichte des Fräuleins von Sternheim« erscheinen ließ, war das deutsche Lesepublikum für die Werther-Stimmung, die in Liebe, Entsagung und Edelmut sich gar nicht genug tun kann, gerade reif geworden. Der Genius Goethes konnte sie in seinem Werther zu ewigem Gedächtnis einfangen, während die Laroche mit ihrem Roman nur der »weiblichen Feder« das Gepräge gab: ein Gepräge der Sentimentalität, Unwahrhaftigkeit und Übertreibung.

      Und so mag es denn wohl gekommen sein, daß viele Schriftstellerinnen, auch solche, die von diesen fälschlich als nur weiblich verschrienen Eigenschaften völlig frei waren, sich aber vor dem Odium, das der weiblichen Feder nun einmal anhaftete, fürchteten und sich durch das männliche Pseudonym zu verbergen wünschten. Sind es aber wirkliche Könnerinnen gewesen, so ist ihren Werken ihre Persönlichkeit so aufgeprägt, daß kein Verständiger einen Zweifel an dem Geschlecht des Autors haben kann. Sind sie aber Stümperinnen, die ihr kümmerliches Bettelsüppchen an dem Feuer, das mehr oder weniger berühmte Vorbilder angezündet haben, kochen, so finden sie auch im Heer der schriftstellernden Männer viele ihresgleichen; der stolze Männername, unter dem ihr Werk erscheint, kann es nicht schmackhafter und wertvoller machen. Ein echtes Weib und eine rechte Könnerin – wie sie auch hieße – wird aber immer ein Werk schaffen, in dem sie sich selbst niemals verleugnet.

      Ja, mit der Feder ist es eben ein eigen Ding! Eine Pfauenfeder ist sie leider – ob männlich, ob weiblich – sehr häufig. Und auch nicht jede männliche Feder ist die eines stolzen Schwanes, und nicht jede weibliche Feder die – eines ihm ähnlichen Vogels.

       Textquelle:

       Linzer Tages-Post, 30. Juli 1932, S. 18

       Weitere Textquellen:

       Bezirksbote für den politischen Bezirk Bruck an der Leitha von Sonntag, dem 17. Dezember 1933, Titelseite

       Kärntner Volkszeitung von Samstag, dem 28. Mai 1932, S. 8

       Die Woche, 32. Jahrgang Nr. 48, 29. November 1930, S. 16

      Meine Mutter

      Ums Jahr 1835 mag es wohl gewesen sein, der Weg der vom Dorf Schwersenz nach der Stadt Posen führte, war schlecht. Sollte die Tochter Klara des Pfarrers Langner zu Schwersenz bei Posen eine etwas höhere Bildung erhalten, so mußte sie in der Stadt die Schule besuchen. Aber die Pfarre war arm, keine fette Pfründe, die es dem Vater ermöglichte, sein Töchterchen in eine Pension zu tun, man mußte die Zehnjährige der Obhut einer Milch- und Gemüsefrau anvertrauen. Unter ihren Kannen und Körben nahm sie die kleine Klara Glock fünf am Morgen nach Posen mit. Wenn aber der Nachmittag sich neigte, die Nepomucena die Produkte des Dorfes losgeschlagen hatte, wurde wieder auf den rumpelnden Karren geklettert, heim ging’s auf mühseligem Weg zwischen schaukelnden Körben und rasselnden Kannen.

      Heiß war der Nachmittag. Kein Schatten, müde stehen die Ähren am Wegrand. Das Pferdchen trottet im Schlaf, die Nepomucena vorn auf dem Kutschsitz schnarcht im Schlaf, das Mädchen hinten zwischen den Körben ist auch im Schlaf, da – plötzlich liegt es unten. Der Gaul hat gescheut, einen Satz gemacht. Die Kleine hat sich wohl nicht sehr weh getan beim Sturz, aber wenn sie sich auch weh getan hätte, schon ist sie auf den Füßen, schüttelt die Erde vom Röckchen, rennt hinterm Karren drein, gibt den heißen Lauf nicht eher auf, als bis sie den Wagen wieder erreicht hat, hinten anpackt und sich mutig wieder hinaufschwingt.

      Diese kleine tapfere Klara mit den langen blonden Schulmädchenzöpfen wurde meine Mutter. Und tapfer ist sie