Clara Viebig

Die Osterglocken


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      Wir standen wie gelähmt vor Schreck, aber nur Augenblicke, dann gaben wir Fersengeld und rannten zum Schuppen, so rasch wie wir konnten. Dicke Tropfen fielen, nein, prasselten nieder mit einer Wucht ohne Gleichen. Weißen Segeln ähnlich blähte sich die Wäsche und fegte vor uns her; ein heulender Windstoß folgte dem anderen, in der Ferne dumpfes Dröhnen, ein unheimlicher Aufruhr in den Lüften. Uns graute. Donnern, blitzen, regnen, hageln, stürmen, kreischen, alles tobte durcheinander.

      Durchnäßt kamen wir im Schuppen an; drinnen war’s stockdunkel, die Weiber trauten sich weder eine Laterne noch Feuer im steinernen Feldherd anzuzünden, sie tranken ihren Kaffee kalt und tunkten ihren Kuchen ein, aber ohne das sonst übliche Gelächter. Sie fürchteten sich; bei jedem Blitz, der uns fahl beleuchtete, kreischten sie auf und bekreuzigten sich.

      Ich kauerte auf einer Bank und duckte mich ganz zusammen; das ernste Gesicht meines Mannes tauchte immer wieder vor mir auf, ich hörte seine Stimme: »Denke d’ran, denke d’ran, Du darfst Dich nicht allem aussetzen« – mir war sehr schlecht, sehr erbärmlich. Eine unbestimmte Angst kroch mir über’s Herz und ließ mich erschauern.

      Das Donnern und Blitzen ließ endlich nach, nicht aber das Prasseln des Regens, das Rütteln an den morschen Bretterwänden. Ein Rieseln war um uns, ein Fluten, ein Rauschen, als seien Riesenschleusen geöffnet und ein Wasserschwall ströme mit Gewalt zu Tal. Wir lauschten, endlich öffnete eine der Frauen die Tür – ein Windstoß riß ihr den Griff aus der Hand und warf die Tür krachend zurück in ihre Angeln – eine trübe Lache schoß über die Schwelle, gierig wie ein wildes Tier, das draußen gelauert.

      Kein trockener Grund mehr unter unseren Füßen, im Nu war der verschwunden, wie aufgeschlungen; unter fürchterlichem Angstschrei kletterten wir auf die Bänke und Tische. Wasser, nichts als Wasser! Zur aufgerissenen Tür heraus sah ich’s, die ganze Wiese ein grauer See, Wäschestücke, Bretter, Gießkannen trieben vorüber, eilend dahingerissen. Und immer mehr Wasser, immer höher die Flut; nichts von Wiese, nein, ein wogendes unabsehbares Meer in undurchdringlichen Nebeln verschwimmend. Und vom Himmel ein Gießen, ein Niederströmen, als sollte die Welt untergehen. Das war ein Wolkenbruch!

      Die Weiber kreischten: »Die Baach, Jesses, die Bach kömmt gerennt! Könner, mer han verspillt – mer han verspillt – o Jeßmarijusep!« Sie klammerten sich aneinander, sie schrien und heulten, sie beteten, sie gelobten den Heiligen dies und jenes – und dazwischen immer: »Die Baach kömmt – Könner, mir han verspillt!«

      Ich konnte nicht schreien, mir war die Kehle wie zugeschnürt. Meine Lippen bewegten sich tonlos, ob sie Gebetesworte murmelten, ich weiß es nicht; mein Herz war jedenfalls nicht dabei, ich hatte nur den einen Gedanken: Mein Mann – mein Kind! Blitzschnell schoß mein ganzes früheres Leben an mir vorüber, das letzte Jahr war das sonnigste gewesen, und sobald nun schon – zu Ende!

      Unter mir hob und senkte sich der Tisch vom Anprall des Wassers, ich stand auf einer Schaukel – vor meine Augen legte sich ein Schleier, in meinen Ohren ein wildes Getöse, alles Blut drang mir zum Herzen und machte das rasend pochen.

      »Könner, mer han verspillt – huhu – Jeßmarijusep – verspillt, verspillt!«

      Nein, nein, nicht sterben – mein Mann, mein Kind – nur das nicht! – – Mechanisch griff ich über mich – ein Ruck, ein Schwanken – der Tisch hob sich, hob sich immer höher, ich klammerte mich ins Sparrenwerk des Daches – das ächzte und bog sich – ich hielt mich fest mit der Kraft der Verzweiflung, mit verklammten, halb abgestorbenen Fingern, eine Ewigkeit, so schien’s mir!

      Ich wußte nicht, lebte ich, oder war ich schon tot; mein Geist war halb abgeschieden und ich irrte nur noch flüchtig durch irdische Räume. In weiter, weiter Ferne verklang das Gekreisch der Weiber; ich hörte die Stimme meines Mannes – jetzt drang sie an mein Ohr, dass mir das Herz erzitterte, sie drang zu mir bis in den Tod. Ich hatte ihn noch nie so heiß geliebt.«

      Die Erzählerin schwieg plötzlich und lehnte sich erschöpft in den Sessel zurück; im Zwielicht blinkten Tränen in ihren Augen. »Und nun – dann? Weiter!«, forschte der junge Mann gespannt. »Ich wurde gerettet«, sagte sie leise, »das können Sie wohl denken, sonst säße ich ja nicht hier. Wir wurden alle gerettet. Mein Mann war nach Hause gekommen, von unbestimmter Unruhe getrieben: mich nicht finden und im Unwetter zur Olewig stürzen, war eins. Er kam gerade zurecht; an den Matheiser-Weihern war im Wolkenbruch der Damm gebrochen, der sonst so friedliche Bach stürzte mit nie geahnter Gewalt ins tiefgelegene Wiesental. Beim Fischer machte man schnell einen Kahn flott, mein Mann legte sich wie ein Rasender in die Ruder; brave Leute halfen ihm, sie kamen an, als das erste Brett des Schuppens stürzte. Sie luden die entsetzten Frauen in den Kahn, mich hielt mein Mann bewußtlos in den Armen.

      Das Wasser verlief rasch, wie es gekommen, noch am selben Abend lugte ein scheuer Sonnenstrahl durch die Wolken. Ich wurde sehr krank, und unser armer Heinrich ist zeitlebens kein strammer Bursche geworden; jetzt schläft er schon lange, wie mein Mann auch.« – – -

      »So, und nun gehen Sie nach Hause, junger Freund«, sagte sie mit plötzlich veränderter heiterer Stimme. »Das alles war einmal!« Sie legte ihre kühle Hand auf die seine, und der süßwelke Herbstduft der Potpourrivasen überströmte ihn wieder. »So, nun gehen Sie und grüßen Sie Ihre liebe, gute Frau recht schön von mir!«

      Er ging. Eine Stunde darauf legte Anna ihre Arme um seinen Hals und küßte ihn halb lächelnd, halb weinend:

      »Hab’ keine Angst, Lieber, ich gehe gewiß und wahrhaftig nicht auf die Bleiche!«

       Erklärungen:

       Bleiche = Wiesen, auf denen die Wäsche gebleicht wird;

       Olewig = heute ein Stadtteil von Trier;

       Beiern = das festliche, manuelle Anschlagen der Kirchenglocken; Eumeniden (= Erinnyen = Furien) Rachegöttinnen in der griechischen Mythologie;

       Servante = (frz. »Dienerin«) ein Ablagebehältnis;

       Potpourrivase = Vase mit wohlriechenden Pflanzenteilen;

       Krinolin = die Krinoline = Reifrock/Unterrock;

       Ech kurantören net, dat et en bös Wäder gitt = Ich garantiere (nicht), dass es ein Unwetter gibt;

       Könner, mer han verspillt = Kinder, wir haben verspielt;

       Jeßmarijusep = Jesus Maria Josef

       Textquelle:

       Wiener Neueste Nachrichten von Montag, dem 6. Dezember 1897, S. 1–3

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