U. S. Levin

Sex vor zwölf


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eine Frau wie Doris an einem Mann wie Gert fand, blieb mir ewig ein Rätsel. Er war doch für sie eine hauswirtschaftliche Fehlinvestition, handwerklich völlig talentfrei. Gert konnte weder kochen noch Wäsche waschen oder Fenster putzen. Selbst Einkäufe mit Zetteln, die sie ihm schrieb, schlugen fehl. Entweder er fand die gewünschten Artikel nicht oder er brachte die verkehrten. Dafür eignete er sich bestens als Blitzableiter. Wenn sie nach einem stressigen Tag heimkam, faltete sie ihn wegen kleinster Vergehen zusammen wie eine geplättete Tischdecke. Selbst wenn Gert absolut nichts getan hatte, gab es einen auf die Mütze. Ihre Ehe glich den politischen Verhältnissen einer Diktatur. Gert war das Volk, und er hatte zu folgen.

      Doris kümmerte sich auch um den außerhäuslichen Bereich. Da ließ sie weder Gert noch Luft ran. Sie erledigte Banktermine, wickelte anstehende Versicherungsgeschäfte ab, machte den Steuerjahresausgleich und stritt sich mit dem Vermieter. Sie war eine knallharte Geschäftsfrau, die sich vortrefflich mit Zahlen und offenen Rechnungen auskannte. Sie ging nicht nur regelmäßig zum Friseur, sondern frisierte selbst: Geschäftsbücher und die eigenen Steuererklärungen. Ihrem Mann steckte sie wöchentlich zwanzig Euro zu.

      „Teil dir dein Taschengeld gut ein!“, sagte sie streng. „Mehr gibt es nicht.“

      Und was tat Gert? Nichts! Völlig wehrlos ließ er diese Demütigungen über sich ergehen.

      „Ich brauche mich um nichts zu kümmern“, erklärte er mit der zufriedenen Ausgeglichenheit eines Stoikers, „macht alles Doris.“

      Hätte sie ihn verlassen, er wäre im harten Straßenkampf des Großstadtdschungels elend vor die Hunde gegangen. Selbst bei Arztbesuchen war er auf ihre Hilfe angewiesen.

      Eines Tages kam er nicht nur niedergeschlagen, sondern auch zwei Stunden später von der Arbeit heim. Zudem wurde sein Atem von einer mächtigen Alkoholfahne begleitet.

      „Du elender Säufer“, fauchte Doris. „Du hast dein Taschengeld angerührt!“ Wenn Frauen eines nicht ausstehen können, ist das Kontrollverlust.

      Völlig erschöpft plumpste er in einen Sessel, hielt mit letzter Anstrengung einen Briefumschlag hoch. Seine Frau riss ihm das Kuvert aus der Hand und starrte auf die drei lakonisch formulierten Sätze, die zynisch ausdrückten, dass man ihren Gatten nicht mehr in der Firma benötigen würde, ihm aber dennoch für die Zukunft alles erdenklich Gute wünsche.

      „Diese Mistkerle haben dich rausgeschmissen?“

      „Hmm“, murmelte er kraftlos.

      „Oho, da ist das letzte Wort noch nicht gesprochen. Deinen Chef zerreiß ich in der Luft“, blies Doris in tiefster Kampfesstimmung ihre Nüstern auf.

      Zwar konnte sie Gerts Kündigung nicht abwenden, allerdings erreichte sie einen dreimonatigen Aufschub und konnte eine angemessene Abfindung herausschlagen.

      Nach dieser Galgenfrist hockte Gert den ganzen Tag apathisch in der Sitzgruppe herum, während Doris die Stellenanzeigen durchforstete und die Bewerbungsunterlagen zusammenstellte. Das Einzige, was sie nicht für ihren Mann tun konnte, war das Modellstehen für die ­Fotos.

      Die ersten Ablehnungen steigerten ihre Bewerbungswut. Sie empfand diese nüchtern formulierten Absagen wie eigene Niederlagen. Endlich erste Inte­ressenten mit der Bitte um ein Vorstellungsgespräch. Wenn es nicht um eine Stelle für ihren Mann gegangen wäre, hätte sie diese Gespräche allein bewältigt.

      Die Personalchefs führten das Ehepaar Nörglig durch ihre Firmen, wollten die eine oder andere Sache erklären, kamen aber bei Doris kaum zu Wort. Stieß ihre anbiedernde Art oft auf Missfallen, so hatte sie doch einmal Glück. Und zwar, wie konnte es anders sein, bei einer Personalchefin, die Doris sofort in ihr weibliches Herz geschlossen hatte. Sie sah nämlich die Situation aus einer völlig anderen Perspektive. Wenn die Frau des neuen Mitarbeiters so hinter ihrem Mann steht, braucht man sich um dessen Zuverlässigkeit nicht zu sorgen. Gert wurde eingestellt und Doris unterschrieb den Arbeitsvertrag.

      Einige Monate lief alles bestens. Mit Gert war man sehr zufrieden. Er beziehungsweise seine Arbeit fielen kaum auf. Es gab keinen Grund zur Klage. Bis … ja, bis eines Tages ein böser Arbeitsunfall passierte. Gert hatte den haarscharfen Übergang vom tiefen Nachdenken zum flachen Büroschlaf verpasst, war mit dem Gesicht auf die in seiner Hand nach oben gerichtete Bleistiftspitze gefallen, mit einem heftigen Aufschrei hochgefahren, mit dem Stuhl nach hinten gekippt, hatte mit dem Hinterkopf eine Trockenbauwand durchschlagen und sich beim dumpfen Aufprall auf den Fußboden das Schultergelenk verletzt.

      Der eilends herbeigerufene Notarzt untersuchte Bauch, Kopf, Gelenke und fragte fortwährend den Unglücksraben: „Tut das hier weh?“

      „Holen Sie meine Frau, schnell!“, stöhnte Gert, nahe dran das Bewusstsein zu verlieren.

      „Warum? Was ist mit Ihrer Frau?“

      „Sie kann Ihnen sagen, wo ich Schmerzen habe …“

       „… und dann ist da noch seine temporäre Kurzatmigkeit, Herr Doktor.“

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