Ulrich Hefner

Das Haus in den Dünen


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»Vor drei, vier Wochen war schon einmal ein Kollege von Ihnen hier. Es müsste noch eine Auflistung im Computer gespeichert sein. Ihr Kollege fragte aber nur nach der Kernstadt. Für eine Gesamtzusammenstellung brauche ich mindestens eine Woche. Wobei ich einen offiziellen Antrag benötige. Ich bin mir nämlich nicht ganz sicher, ob ich die Daten so einfach weitergeben darf.«

      »Und wenn es um Totschlag oder Mord geht?«, erwiderte Monika Sander.

      »Sie meinen wegen des Toten heute Morgen am Südwestkai?«

      Monika Sander nickte.

      »Unter uns gesagt, hat dieser Brandstifter bislang nützliche Arbeit geleistet«, flüsterte der Sachbearbeiter. »Verstehen Sie mich nicht falsch, nicht, dass ich die Sache gutheiße – und seit es einen Toten gab, sieht es sowieso ganz anders aus. Aber aus städteplanerischer Sicht war er mitunter ganz hilfreich. Die meisten Gebäude, an denen er sich vergriff, waren von maroder Bausubstanz und hätten früher oder später abgerissen werden müssen. Sie glauben gar nicht, auf welchen Widerstand wir stoßen, wenn wir mit Firmen in Kontakt treten und die Sanierung eines Gebäudes fordern. Plötzlich wird aus einer Ruine wieder ein wertvolles Lagergebäude.«

      »Das heißt aber nicht, dass wir auch noch eine Liste der Bediensteten des Rathauses brauchen …?«, unkte Monika.

      Abwehrend hob der Verwaltungsbeamte die Hände. »Selbstverständlich nicht. Ich werde Ihnen die Liste baldmöglichst übersenden.«

      Monika erhob sich lächelnd und reichte dem Mann die Hand. »Ich verlasse mich auf Sie.«

      Sie ging mit Anne zu ihrem Dienstwagen zurück und stieg ein. »Das heißt«, sagte sie, während sie den Gurt anlegte, »dass wir uns noch um die Umlandgemeinden und die Firmen kümmern müssen, die Betriebsfeuerwehren unterhalten. Bei all der Arbeit, die vor uns liegt, hoffe ich nur, dass wir auf dem richtigen Weg sind.«

      »Das klingt allerdings nicht nach einer schnellen Lösung«, antwortete Anne.

      »Nein, ganz bestimmt nicht. Und wenn wir die Listen haben, müssen wir sie erst auswerten. Viele der aktiven Feuerwehrmänner sind zwischen achtzehn und vierzig Jahre alt. Ich frage mich, ob unser Netz nicht zu grob ist.«

      »Also, irgendwie klingt das alles nicht sehr erfolgversprechend«, bemerkte Anne.

      »Hast du eine andere Idee?«

      *

      »Jens Baschwitz, geboren am 2. März 1971 in Cuxhaven, geschieden und seit knapp fünf Jahren wohnsitzlos. Er hat noch Familienangehörige in Emden. Seine Exfrau und zwei Söhne.« Dietmar blätterte die Computerausdrucke durch. »Diebstähle, Beleidigungen, Schlägereien und sogar ein Raub unter Tippelbrüdern.«

      »Ein Raubüberfall?«, fragte Till Schreier.

      »Er hat gemeinsam mit einem Komplizen vor acht Wochen einen Zechbruder um seine Tageseinnahmen aus der Fußgängerzone erleichtert. Angeblich hatte der Beraubte Schulden bei ihm und der Fall war nicht so ganz eindeutig, weil alle Beteiligten alkoholisiert waren. Deswegen wurde das Verfahren eingestellt. Gesessen hat er auch schon. Von April 1996 bis Juli 1997 verbüßte er eine Freiheitsstrafe wegen wiederholter Körperverletzung. Ein ganz übler Bruder offenbar.«

      »Kann das vielleicht ein Motiv sein?«

      Dietmar warf die Aufzeichnungen auf den Schreibtisch. »Glaube ich nicht. Ich bin sicher, er ist nur zufällig zum Opfer geworden. Wahrscheinlich war er besoffen und hat gar nicht bemerkt, wie die Bude langsam über ihm abfackelte.«

      »Wer war damals der Beraubte, beziehungsweise der Komplize von Baschwitz?«

      Dietmar durchsuchte die Papiere auf dem Schreibtisch. »Der Komplize heißt … Moment … hier hab ich’s … Schmitt, ganz einfach Schmitt, Vorname Uwe. Auch so ein Penner, genauso wie der Überfallene. Das Opfer war ein DDRler, Karl Ammann ist sein Name, auch ohne festen Wohnsitz.«

      »Die DDR gibt es nicht mehr«, erwiderte Till. »Dann machen wir uns mal auf den Weg.«

      »Wohin willst du?«, fragte Dietmar überrascht.

      »In die Stadt, in die Fußgängerzone. Heute ist ein schöner Tag, da werden wir schon ein paar von ihnen in den Straßen finden.«

      »Du willst wirklich nach den Tippelbrüdern suchen?«

      Till verzog genervt das Gesicht. »Natürlich. Wir sollen alle Möglichkeiten ausloten, bevor wir uns allzu schnell auf eine Version stürzen.«

      »Aber bei den Pennern …!« Dietmar schüttelte den Kopf. »Da kriegen wir doch nie was raus.«

      Till zuckte die Schultern. »Sagen wir mal so: Es kommt im­mer darauf an, wie man fragt.«

      *

      Hans Kropp schlug die Plane zurück und befestigte den Lederriemen in der Schlaufe der Bordwand. Zufrieden streifte er die Arbeitshandschuhe ab und warf sie in die Fahrgastzelle seines LKW. Es war kurz vor siebzehn Uhr. Die Hitze des Tages trieb ihm den Schweiß auf die Stirn. Dreißig Grad zeigte das Thermometer an der Frachthalle und es war nahezu windstill.

      Er kontrollierte noch einmal die Ladepapiere. Dann schwang er sich in seinen Laster und rangierte ihn geschickt in den Schatten des Verwaltungsgebäudes. Für heute hatte er genug. Seine Kehle war ausgetrocknet und sein rotes Muskel­shirt vollgesogen wie ein Schwamm.

      Als er hinüber zur Werkstatt schlenderte, befiel ihn ein eigenartiges Gefühl. So, als würden sich die Blicke lauernder Augen in seinen Rücken bohren. Er wandte sich um und schaute über den Betriebshof, doch keine Menschenseele war zu sehen. Wie eine Glocke lag die flirrende Hitze über dem Asphalt und brachte jede Bewegung im Industriegebiet zum Erliegen.

      Zögerlich ging er weiter. Bevor er die Werkstatt betrat, blickte er sich noch einmal um, doch niemand war zu sehen.

      »Hallo, Hans«, begrüßte ihn der Mechaniker, der in der Werkstatthalle an einem offenen Getriebe arbeitete. »Deine Kiste schon beladen?«

      Hans Kropp nickte und ging hinüber zum Waschbecken. »Alles klar.«

      »Wenn du von deiner Tour wieder zurück bist, dann ist dein Laster dran. Die Inspektion ist fällig.«

      »Das wird eine Weile dauern«, erwiderte Kropp. »Bis Donnerstag in einer Woche werde ich schon brauchen. Der Weg nach Barcelona ist lang.«

      Der Mechaniker folgte ihm und wischte seine öligen Finger an einem noch öligeren Lappen ab. »Gehst du ins Stadion?«

      »Wenn Barca spielt, dann bin ich dabei, das ist doch klar.«

      Neidisch lächelte der Mechaniker. »Das nächste Mal will ich auch mit«, sagte er. »Trinken wir noch ein Bier?«

      Kropp schaute auf die Uhr mit dem Pepsi-Cola-Schriftzug, die über dem Waschbecken hing. »Eins geht immer. Ich fahr erst morgen früh.«

      Es wurden drei Flaschen, bevor Hans Kropp kurz nach neunzehn Uhr nach Heppens aufbrach. Bevor er in den Wagen stieg, schaute er sich noch einmal um. Das sonderbare Gefühl, das ihn vor einer Stunde draußen im Betriebshof überfallen hatte, war zurückgekehrt.

      3

      Als Trevisan nach Dienstschluss nach Hause zurückkehrte, ließ er sich erschöpft in den Liegestuhl auf der neu gefliesten Terrasse sinken. Die Temperatur lag noch immer weit über zwanzig Grad, und der Himmel war wolkenlos.

      »Was hat er denn, mein kleiner Kommissar?«, begrüßte ihn Angela, die noch ein paar Tage Resturlaub bei ihm verbrachte. »Stress im Büro?«

      »Ich dachte, ich hätte es hinter mir«, erwiderte Trevisan. »Aber kaum ist der eine Spinner unter der Erde, taucht schon der Nächste auf.«

      Angela lächelte. »Die Welt ist voller Spinner, das solltest du doch am besten wissen.«

      Trevisan knöpfte das Hemd auf. »Vielleicht hast du recht, vielleicht ist das Ende der Welt bald in Sicht und alles ist nur noch eine Frage der Zeit. Wie sagte der Fernsehpfarrer unlängst in einem Interview: ›Eine Gesellschaft, die ihre