Andreas J. Schulte

Mörderische Eifel


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halbe Bus schaute zu mir herüber. Bei so viel Aufmerksamkeit wurde ich ganz kribbelig. Die letzten zehn Jahre hatte ich darauf geachtet, möglichst unauffällig zu bleiben, und ich stand keine fünf Minuten im Bus, und schon würde sich jeder der Reisegesellschaft an den großen Kerl erinnern, der es nicht geschafft hatte sich hinzusetzen. Prima, das fing ja gut an.

      »Setzen Sie sich, junger Mann, setzten Sie sich. Ich beiße nicht. Und ansehnlicher als Omma Brock bin ich allemal, hihi.«

      Die alte Dame am Fenster kicherte in sich hinein, während sie mit ihrer altersfleckigen Hand auf das Sitzpolster klopfte.

      Ich seufzte und setzte mich, was hätte ich auch tun sollen. Ich schloss kurz die Augen. Sich anonym fahren zu lassen, schien mir gestern noch eine gute Idee zu sein, aber jetzt kamen mir erste Zweifel.

      »Sagen Sie mal, junger Mann, is’ Ihnen nicht gut? Oder haben Sie einen neben sich stehen? Sie wissen schon, wie der Herbie Feldmann von dem Kramp?«

      Ich öffnete die Augen. Ich kannte weder eine Omma Brock noch wusste ich, was die Dame mit Herbie Feldmann meinte, aber das war mir eigentlich auch egal. Ich wollte mich entspannen, nur entspannen.

      »Belke, Michael Belke. Ich bin etwas müde. Ich …«

      »Katharina Schmeller, Sie können aber gern Tante Käthe sagen, sagen alle, die mich kennen, und ich sag einfach Michael«, unterbrach mich die Dame. »Und wir bleiben beim Sie.«

      Ich blinzelte sie verdutzt an. Mittelgroß, nicht gerade schlank, dunkelblaue Stoffhose, fliederfarbene Bluse, Alter irgendwo zwischen 70 und 80, würde ich schätzen. Graue Dauerwellenlöckchen und ziemliche viele Lachfalten um die Augen.

      Kricks – »Ja, hallo. Herzlich willkommen, liebe Fahrgäste. Unser heutiger Kapitän der Landstraße ist Willi Kappski. Mein Name ist Udo, und während sich Willi auf die Straße konzentriert, werde ich Ihnen in den nächsten Stunden alles Wissenswerte verraten. Wobei ich hier gerade auf der Liste sehe, dass wir einen prominenten Gast an Bord haben. Ich freue mich, dass sie wieder mal dabei ist – unsere Tante Käthe.«

      Ein paar Mitreisenden reckten die Hälse, aus dem hinteren Busteil kam vereinzeltes Klatschen. Die Dame neben mir erhob sich halb aus ihrem Sitz, lächelte und winkte mit der Hand in die Runde. Wo war ich da nur hineingeraten?

      »Tante Käthe, Sie versprechen mir, dass Sie mich berichtigen, wenn ich mal etwas Falsches sage«, tönte Udo weiter aus dem Lautsprecher. »So, jetzt aber erst einmal viel Spaß bei unserer ›Eifel-Krimitour‹. Ich denke, wir alle werden mörderisch viel Spaß haben, höhö.«

      Mist, das hatte ich überlesen. Vergessen Sie Ihre Arbeit, sonst werden Sie sich nie erholen – Dr. Wertmanns Worte klangen mir in den Ohren. Ein Profikiller entspannte sich auf Krimitour im Reisebus – ich glaubte nicht, dass Wertmann das gefallen würde.

      »Also wenn Sie was wissen wollen? Fragen Sie mich einfach. Wie Udo es schon andeutete, ich habe da einen gewissen Ruf«, Tante Käthe zwinkerte mir zu. »Sie mögen doch Eifelkrimis?«

      Na ja, mögen wäre zu viel gesagt. Ich hatte mal angefangen, einen Krimi zu lesen, aber mich dann zu sehr über den unprofessionellen Mörder aufgeregt. Außerdem war das so, als würde ich mir Arbeit mit nach Hause nehmen.

      »Was möchten Sie wissen?«, riss mich Tante Käthe aus meinen Gedanken. »Ich kenne mich ein wenig aus.«

      Ein wenig war die Untertreibung des Jahrhunderts. In den nächsten zwei Stunden meldete sich ab und zu Udo mit seinen Insider-Infos zu Wort. Vor allem aber hörte Käthe nicht auf zu reden. Ich erfuhr, dass wir in Hillesheim Pause machen würden, dem Epizentrum des Eifelkrimis. Sie zeigte mir mit dem Strahlen eines Rockstar-Groupies das Foto eines alten Mannes mit weißer Wuschelmähne, Vollbart und Pfeife. Der Herr war so etwas wie der Godfather des Eifelkrimis. Sein Eifel-Blues war 1989 nicht nur irgendein Buch gewesen, mit ihm begann der Erfolg der Regionalkrimis, erklärte mir Käthe mit ehrfurchtsvoller Stimme.

      »Natürlich ist das nicht meine erste Fahrt«, vertraute sie mir an.

      Was für eine Überraschung …

      »Ich hab mir im letzten Jahr die Osteifel und den Laacher See angeschaut, dort ist mehr als nur ein Toter bereits aufgetaucht. Der Sittig und die Keiser treiben da ja ihr Unwesen.«

      Ich wusste nicht, wovon sie redete, aber das hielt sie nicht weiter auf.

      »Prüm und Bitburg habe ich dann im Sommer besucht. Zwei wundervolle Städte.«

      »Von Bitburg kenne ich nur das Pils«, irgendetwas musste ich ja antworten. »Genau ›Bitte ein Bit‹, das wurde sogar schon in einem Titel verarbeitet: ›Bitte ein Mord‹. Ich glaube, Noske war das. Können Sie sich so was vorstellen?«

      Ja, konnte ich, den Satz hörte ich bei meiner Arbeit ständig.

      »Und die Carola Clasen hat auch schon in Bitburg gemordet.«

      Für einen Wimpernschlag überlegte ich, ob Käthe eine Kollegin von mir meinen könnte, aber dann verwarf ich diesen Gedanken wieder.

      »Im Herbst werde ich an die Ahr fahren, auf Eichendorffs Spuren, der Henn schreibt ja so anschaulich, bei den ganzen Rezepten bekomme ich immer Appetit. Und noch bin ich ja fit, so schnell werde ich nicht in eine Seniorenresidenz ziehen. Männer wie Opa Berthold gibt es nämlich nur in Büchern, im wirklichen Leben ist es da todlangweilig.«

      Käthe achtete in keiner Weise darauf, ob ich ihr folgen konnte oder nicht. Sie plapperte und plapperte. Zwei lange Stunden zählte sie mir Handlungsorte und Autoren auf oder erging sich in Andeutungen zu Figuren, die ich nicht verstand. Zwei Stunden. 120 endlos lange Minuten Mord und Totschlag. Wie, zum Henker, sollte ich mich dabei entspannen? Am Ende, kurz bevor der Bus auf einen Parkplatz rollte, überlegte ich ernsthaft, sie für immer zum Schweigen zu bringen. Wenn ich mich nicht entspannte, konnte ich auch genauso gut arbeiten. Spontan fielen mir 20 Methoden ein, jemanden mit bloßen Händen zu töten, und das waren nur die, die hinterher wie ein Unfall aussahen.

      Kricks. »So, da wären wir. Willkommen in der Eifelhauptstadt des Verbrechens. Willkommen in Hillesheim.«

      Alles klatschte begeistert, nur ich wusste nicht, warum.

      »Nun aber los, junger Mann. Uns bleiben nur zwei Stunden«, drängte Käthe.

      Kricks. »Natürlich können Sie Ihr Gepäck im Bus lassen. Hier wird ja nur gemordet, höhö.« Udos launige Bemerkung löste allgemeine Heiterkeit aus. Vielleicht sollte ich einfach im Bus bleiben und mich ausruhen, überlegte ich. Da stieß mir Käthe auch schon den Ellenbogen in die Rippen. »Auf geht’s, wir wollen doch nicht die Letzten sein.«

      Käthes Eile war, wie sich herausstellte, völlig unnötig. Denn erst einmal stellten sich draußen alle Busreisenden brav im Halbkreis auf. Udo war in seinem Element. Vor lauter Aufregung wippte er nervös auf den Fußballen, jetzt kam sein großer Auftritt. Die launigen Ansagen im Bus waren nur das Vorspiel gewesen, das wurde mir in den nächsten Minuten klar. Udo strich sich eitel ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. Mit seinen schwarzen Haaren und dem dunklen Schnurrbart, weißen Jeans und Hawaiihemd erinnerte er mich an den jungen Tom Selleck. Udo trug natürlich die obersten drei Hemdknöpfe offen, sodass den Damen ein Blick auf die haarige Brust samt Goldkettchen gewährt wurde. Magnum hatte sich nach Hillesheim verirrt.

      »So, wenn wir jetzt vollständig sind …«

      Ich schaute mir die Runde an. Mehr Frauen als Männer, einige in Käthes Alter, zwei junge Frauen, zwei Ehepaare, offensichtlich miteinander befreundet. Ich wollte gerade überlegen, wer von den Männern wohl mal Studienrat gewesen war, da begann Udos Show.

      Ich hatte zwei Wochen in den USA gearbeitet und war – durch Zufall – in Memphis in einen Gottesdienst geraten. Das kennen Sie sicher aus Filmen. Der Pastor an der Kanzel, der Gospelchor im Hintergrund, die aufgeputschte Gemeinde – haben Sie das Bild vor Augen? Dann haben Sie einen Eindruck von dem, was Udo abzog.

      »Leute, jetzt liegt es an euch. Ihr habt die Wahl. Hier gibt es wunderschöne Wanderwege«, Udo grinste in die Runde, »oder vielleicht die Geologisch-Mineralogische