Andreas J. Schulte

Mörderische Eifel


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Schlag war alles Salbungsvolle aus der Stimme des Mannes verschwunden, »die Gäste vom Chef. Sie müssen natürlich nicht löhnen, gehen Sie rüber zum Zelt und sagen Sie, der Günni hätte Sie geschickt, die wissen dann Bescheid.«

      Ohne ihre Antwort abzuwarten, richtete Günni seine Aufmerksamkeit auf die nächsten Besucher. »Willkommen bei unserem Spectaculum. Trefflich seht Ihr aus. Darf ich um das Weggeld von zehn Euronen je Nase bitten.«

      Carsten grinste Sven an, dann verschwanden sie im Zelt. Zehn Minuten später grinste Carsten immer noch, allerdings diesmal über den gequälten Gesichtsausdruck seines Kollegen.

      »Stattlich seht Ihr aus, edler Herr«, ahmte er Günnis Tonfall nach.

      Sven schaute an sich herunter. Er trug enge, kratzige Wollstrumpfhosen mit einem roten und einem blauen Bein, dazu Schnabelschuhe, die aussahen, als hätte er sie einem toten Clown von den Füßen gerissen. Eine lange bis zum Oberschenkel reichende Jacke, ein breiter Gürtel und ein dunkelblaues Barett vervollständigten seine Ausstattung. »Ein Wort in der Firma, ein Foto mit dem Handy, und du bist ein toter Mann, Carsten Weller.«

      »Würde mir nie einfallen, allein der Anblick deiner Schuhe hat sich mir bis an mein Lebensende ins Gedächtnis gebrannt und wird mir Aufheiterung in dunklen Stunden sein. Du siehst aus, als kämst du direkt von den Dreharbeiten zu ›Helden in Strumpfhosen – Teil 2‹. Pass auf, die Mädels werden sich gar nicht losreißen können von deinem Anblick.«

      »Na toll, du musst den Kram ja auch nicht tragen, du bist mit deiner Mönchskutte über den Jeans fein raus.«

      »Wer wollte denn losen? Was kann ich dafür, dass Feldkirch nur eine Kutte zurückgelegt hat«, antwortete Carsten lachend.

      Jetzt musste auch Sven grinsen. »Also gut. Jetzt sind wir passend angezogen, mischen wir uns also unter das Volk und prüfen wir die Sicherheitsvorkehrungen.«

      Der schrille Schrei einer Frau schnitt ihm das Wort ab.

      Aus dem Schrei wurde ein hysterisches Kreischen und aus den friedlich umherschlendernden Besuchern eine Menschenmasse, die voller Panik davonstürzte.

      Sven und Carsten schauten sich überrascht an, dann rannten sie los Richtung Holzkapelle, dahin, wo die Schreie herkamen.

      »Der Wolfgang. Der arme Wolfgang, ich kann es immer noch nicht glauben. Wolfgang von Wolfenstein, mein Champion, tot, brutal aus dem Leben gerissen.« Dieter Feldkirch schüttelte den Kopf, als wolle er die letzten drei Stunden nicht wahrhaben.

      Sie saßen zu dritt in seinem Wohnmobil. Die Polizei hatte den Tatort gesichert, die ersten Aussagen aufgenommen, ganz sicher würden alle Verantwortlichen noch einmal ins Polizeipräsidium bestellt werden.

      Carsten und Sven musterten Feldkirch. »Der Sicherheitsdienst hat angegeben, dass er weder bei seiner Runde um 22 Uhr noch bei den darauffolgenden Kontrollrunden etwas bemerkt habe. Trotzdem hat der Datenspeicher an der Tür aufgezeichnet, dass um 22:05 Uhr die Eingangstür geöffnet wurde. Kurze Zeit später muss Wolfgang Schmertbach gestorben sein. Können Sie sich vorstellen, was er in der Kapelle wollte?«, fragte Sven.

      Feldkirch schaute hoch. »Ich habe keine Ahnung. Und es ist im Moment auch mein kleinstes Problem, über Wolfgangs Gründe nachzudenken. Ich musste den Festplatz räumen lassen, die Veranstaltung ist abgesagt. Was mich das alles kostet, will ich gar nicht zusammenrechnen, vom Imageschaden ganz zu schweigen. Vor allem aber sind die beiden Kugelschnepper gestohlen, fort, weg, verschwunden. Gott, wie soll ich das nur dem Besitzer erklären? Wie soll ich …« Feldkirch brach ab, griff zu einem Glas, in dem eine bernsteinfarbene Flüssigkeit schwappte, und stürzte den Inhalt des Glases in einem Zug hinunter.

      »Nun ja, was die Versicherung betrifft, haben Sie ja uns«, erklärte Carsten.

      »Geld! Als ob man solche Kostbarkeiten mit Geld ersetzen könnte«, stöhnte Feldkirch.

      Sven schaute Carsten fragend an, der zuckte nur mit den Schultern. Darauf zog Sven ein Notizbuch und einen Stift heraus. »Herr Feldkirch, wenn es Ihnen nichts ausmacht, würde ich Ihnen gern noch für unseren Untersuchungsbericht ein paar Fragen stellen.«

      Ohne die beiden Ermittler zu fragen, ob sie auch etwas trinken wollten, griff der Angesprochene zu einer geschliffenen Karaffe und goss sich ein weiteres großzügiges Glas ein. »Bitte, wenn es sein muss, obwohl die Polizei ja schon alles weiß.« Feldkirch stürzte auch dieses Glas auf Ex hinunter.

      »Zunächst einmal eine ganz banale Frage«, begann Sven, »wo waren Sie gestern Abend? Alleine hier im Wohnmobil?«

      Feldkirch seufzte erneut, bevor er antwortete: »Ach so, Sie wollen wissen, ob ich ein Alibi habe? Ob ich die Waffen gestohlen habe? Sie denken, ich will die Versicherungssumme kassieren? Mal ehrlich – glauben Sie wirklich, ich würde mich freiwillig in den finanziellen Ruin stürzen? Dieses Spectaculum sollte der Auftakt zu einer Reihe von Events werden, die ihresgleichen suchen, das sollte mein Durchbruch werden! Aber bitte, wenn Sie es genau wissen wollen. Ich bin am frühen Abend spazieren gegangen, war drüben beim Burgweiher. Ein wunderschönes Plätzchen, um einfach mal abzuschalten. Und dann bin ich zur Abtei Himmerod gefahren und habe dort in der Klostergaststätte gegessen.« Feldkirch lächelte die beiden Ermittler schief an. »Sie sollten das Klosterbier mal probieren, das lasse ich mir nie entgehen, gestern Abend hab ich natürlich nur ein Glas getrunken. Jedenfalls gibt es dort sicher genug Zeugen, ich war nicht zum ersten Mal da. Gefahren bin ich so gegen elf Uhr, würde ich sagen. Ja und dann bin ich schlafen gegangen, allein.«

      Im letzten Satz schwang schon Trotz mit. Sven entging das nicht, er schaute zu seinem Kollegen, der nickte nur unmerklich. Sven klappte das Notizbuch zu. »Danke, Herr Feldkirch, das war es auch schon. Sicher werden wir uns noch sehen.«

      Feldkirch verzichtete auf eine Antwort. Er hatte schon wieder die Karaffe in der Hand.

      Als die beiden Ermittler vor dem Wohnmobil standen, zupfte Sven an seinen Wollbeinlingen. »Ich werde mich jetzt erst mal umziehen und diese albernen Klamotten loswerden.«

      »Und dann werden wir zum Mittagessen fahren«, erwiderte Carsten, »und zwar in der Klostergaststätte der Abtei Himmerod.«

      »Hübsch ist das hier.« Carsten stand hinter dem Tor, dort wo früher einmal die Hauptpforte des Klosters gewesen sein musste. Sven hatte ein Faltblatt mit Informationen über die Abtei in der Hand. »Das Konventsgebäude da drüben wurde auf den Fundamenten des alten Klosters errichtet, das 1134 von Bernhard von Clairvaux selbst gegründet worden ist«, las Sven vor. »Das Kloster und die Klosterkirche da drüben sind allerdings erst nach 1922 wieder errichtet worden, die waren im 19. Jahrhundert nur noch eine verfallene Ruine.«

      »Ich verfalle gleich auch, wenn ich nicht bald etwas zu essen bekomme«, stöhnte Carsten, dessen Magen hörbar knurrte. »Komm, wir setzen uns draußen hin.«

      Eine gute Stunde später lehnte sich Carsten zufrieden zurück und blinzelte in die Sonne. »Ich kann Dieter Feldkirch verstehen, das Essen war ganz hervorragend. Und du willst wirklich nicht das Klosterbier probieren, Sven? Ich fahr auch zurück, ich mach mir nichts aus Bier.«

      Sven winkte nur ab. »Nee, lass mal: Ein Starkbier mir 10,5 Prozent Alkohol mitten am Tag, das ist nichts für mich.«

      Carsten murmelte etwas, das wie »selber schuld« klang, und ging dann in den Gastraum, um zu bezahlen.

      Als er wieder herauskam, sah er sehr nachdenklich aus. »Was ist los, hast du drinnen nach Feldkirch gefragt?«, fragte Sven.

      Carsten nickte: »Die Bedienung von gestern Abend kommt erst später, wir werden wohl noch etwas warten müssen. Wollen wir uns noch umschauen?«

      »Warum nicht.« Sven konsultierte noch einmal sein Faltblatt. »Das alte Bruchsteingebäude da drüben ist die Alte Mühle, da gibt es sogar eine Ausstellung.«

      »Nee du, ich muss einfach nur mal ein paar Schritte gehen. Wie wäre es mit dem Weg da runter zum Wasser?«

      »Ist mir alles recht. Das sind …«, Sven schaute noch einmal nach, »ja, das sind die Fischteiche des Klosters, die gab es schon im Mittelalter.«