Susanne Kronenberg

Weinrache


Скачать книгу

erklangen. Norma schaltete das Radio aus.

      Arthur summte einen Teil der Melodie allein. »Immer noch so zart besaitet?«

      Denk nicht daran, nicht jetzt, ermahnte sie sich. Sonst brichst du sofort einen Streit vom Zaun.

      Sie konzentrierte sich auf Arthurs Worte, der auf sein aktuelles Lieblingsthema zurückkam: die Ausstattung der ›Villa Stella‹. Die neu erworbenen Leuchten seien die perfekte Ergänzung.

      »Nick Reichels wird begeistert sein«, sagte er zufrieden. »Du hast sicherlich von ihm gehört?«

      Wer in Wiesbaden hätte das nicht! Der junge Koch, der sich mit seinem Ehrgeiz viel Anerkennung und diverse Fernsehauftritte erkocht hatte, bildete zurzeit das Lieblingsthema der hiesigen Schickeria. Gut aussehend, von temperamentvoller Frische und mit kribbeligem Charme war dem Spross einer rheinhessischen Winzerfamilie der Erfolgssprung von der Mainzer Rheinseite hinüber nach Wiesbaden auf Anhieb gelungen. Norma war sein blendendes Zahnpastalächeln verdächtig.

      »Was hat Nick Reichels mit der ›Villa Stella‹ zu schaffen?«, fragte sie verwundert.

      Arthurs hintergründige Miene war selbst im Halbdunkel erkennbar. »Nick wird im ›Marcel B.‹ kochen.«

      »Bruno will diesen Fernsehkoch einstellen? Davon hat er gar nichts erzählt.«

      Bruno hatte in den vergangenen Tagen kein Wort über das neue Restaurant verloren, fiel Norma auf. Noch zu Beginn der Weinwoche war er unermüdlich immer wieder auf das ›Marcel B.‹ zu sprechen gekommen, wenn er am Stand nach dem Rechten sah.

      »Nick übernimmt das Restaurant«, erklärte Arthur gelassen. »Bruno ist draußen.«

      Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. »Das kann Fischer nicht machen! Bruno ist sein Freund, und Bruno hat einen Haufen Arbeit und Geld in das Projekt gesteckt.«

      »Der beste Freund von Moritz ist ein gutes Geschäft. Nick bietet einfach die besseren Konditionen. Die Familie hat Geld. Verfügt über beste Kontakte. Und Nick ist ein Sonnyboy. Der grinst mit seinem Lächeln alle in Grund und Boden. Das zählt heute. Nicht der altbackene Charme eines Emporkömmlings vom Schlag Bruno Taschenmacher.«

      »Bruno hat schwer für den Erfolg gearbeitet! Es gibt Absprachen zwischen ihm und Fischer.«

      Arthur wischte ihren Einwand mit einer Handbewegung fort. »Er hat versäumt, einen Vertrag zu verlangen. Bruno wird sein Leben lang bleiben, was er ist: der ungeliebte Sohn einer Alkoholikerin, der keine Ahnung hat, wer sein Vater ist. Die miese Herkunft hängt an ihm wie Modergeruch.«

      Norma starrte durch die Regenschleier auf die im Scheinwerferlicht glitzernde Fahrbahn. Sie drosselte das Tempo. »Wie kannst du so gemein über Bruno sprechen? Er ist dein Freund seit der Schulzeit! Ebenso wie Moritz.«

      Er lachte wieder. »Moritz ist mein Freund, weil wir Geschäfte machen. Und Bruno war mein Freund, solange die Geschäfte mit ihm gut liefen. Kein Geschäft, keine Freundschaft. So einfach ist das. Bruno hockt auf einem absterbenden Ast. Nimm die rosa Brille ab, mein Kälbchen!«

      Auf der linken Seite wurde ein Parkplatz angezeigt. Norma riss den Wagen herum und jagte durch die Einfahrt. Der Fahrer hinter ihnen hupte.

      Arthur suchte Halt am Armaturenbrett. »Hast du sie nicht mehr alle!«

      Der Fiesta rollte noch, als sie sich Arthur zuwandte. »Was willst du mir damit sagen? Dass ich mein Leben lang nach Stallmist stinken werde?«

      Er hob abwehrend die Hände, die seine belustigte Miene nur unzureichend verdeckten. »Willst du deine Herkunft verleugnen? Kannst du keinen Spaß vertragen?«

      Sicherlich war ihre Reaktion übertrieben, aber seine Missachtung reizte sie bis aufs Blut. Sie beherrschte sich mühsam.

      »Ich schäme mich nicht für meine Herkunft. Ich bin, was ich bin. Meine Kindheit, die ich nicht missen will, hat mich geprägt. Was berechtigt dich zu dieser unerträglichen Arroganz gegen alle, die nicht wie du mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden? Nein, du willst mich nicht verspotten. Du willst mich demütigen!«

      Er verschränkte die Arme über der Brust und verdeckte das Muster des Pullovers, den er sich im Restaurant übergestreift hatte. »Deine Haut ist verdammt dünn seit Kolumbien, Norma.«

      »Meine Haut«, erwiderte sie mit eisigem Unterton, »meine Haut ist nicht dünn. Sie ist perforiert wie ein Sieb. Und wie es dazu kam, weiß niemand besser als du!«

      Den Vorwurf wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Wie immer stritt er alles ab. Stellte sich dumm. Wollte sich der Verantwortung entziehen. Weiter ging es hin und her, sie schlugen sich die Beschimpfungen wie Schwerter um die Ohren. Bis er die Tür aufstieß. Plötzlich stand er vor dem Wagen, und sie setzte den Fuß auf das Gaspedal. Aber sie hatte es nicht getan. Sie hatte ihn nicht überfahren.

      Weiß der Teufel, wo Arthur steckte! Wieso verschwendete sie überhaupt einen Gedanken an ihn? Vermutlich hatte er längst ein Taxi gerufen. Oder sich von Bruno abholen lassen. Bruno brachte es fertig, im Restaurant alles stehen und liegen zu lassen und sich um Mitternacht auf den Weg zu machen, weil Arthur nach einer Gefälligkeit verlangte.

      Bruno ist ein Schaf, dachte sie mitleidig. Ließ sich von seinen so genannten Freunden ausnutzen. Arthur verhielt sich keinen Deut besser als Fischer.

      Doch mit ihrer Gutmütigkeit war Schluss. Sie sparte sich jeden weiteren Versuch, Arthur über das Mobiltelefon zu erreichen, und startete den Motor. Höchste Zeit, nach Hause zu fahren und aus den Sachen herauszukommen, die sie seit dem Morgen trug. Das Gewitter hatte einen kühlen Lufthauch mitgeführt, der durch das offene Fenster strich und sie frösteln ließ. Eine heiße Dusche, ein Glas Riesling und dann ins Bett. Sie war todmüde und sehnte sich nach Schlaf.

      Wie unaufmerksam sie bei der Sache war, erwies sich nach wenigen Kilometern, als sie an einer Kreuzung auf einen Wegweiser stieß. Sie war unterwegs in Richtung Limburg! Von dem mehrmaligen Wenden hatte sie sich verwirren lassen. Als sich am rechten Straßenrand im Schatten der Baumstämme eine Lücke auftat, überlegte sie nicht lange und stoppte den Wagen. Sie schlug das Lenkrad ein und setzte den Fiesta rückwärts in einen Waldweg. Mit zu viel Schwung, wie sich beim Anfahren herausstelle. Der Motor heulte auf. Die Räder drehten durch. Der Wagen saß fest.

      Verflixt! Fluchend durchwühlte sie die Holzkiste auf dem Rücksitz, bis sie die Taschenlampe zu fassen bekam. Beim Aussteigen zeigte sich die Bescherung: Beide Hinterräder steckten in einem Graben, der sich quer über den Weg zog. Eigentlich war es gar kein Weg, wie ein Schwenken des Lichtkegels verriet: Ein Halbkreis aus jungen Buchen umschloss die winzige Lichtung, vor den Stämmen wucherten Gestrüpp und Brombeeren. Die Scheinwerfer leuchteten aufwärts über die Fahrbahn hinweg und zeigten auf die Baumkronen gegenüber. Drei weitere Versuche bestätigten: Ohne Hilfe bekäme sie den Wagen nicht frei.

      Sie stellte den Motor aus, löschte das Licht mit dem leisen Bedauern, kein ADAC-Mitglied zu sein, und trat, mit der Taschenlampe bewaffnet, dem Verkehr entgegen. Nachdem der vierte Wagen ungebremst an ihr vorbeigerauscht war, stellte sie sich dem nächsten frech in den Weg. Sie winkte und wirbelte mit der Taschenlampe in dem Bewusstsein, dass ihr aschblonder Haarschopf der einzige helle Fleck in der Nacht war, trug sie doch dunkle Jeans und ein schwarzes Shirt und hatte auch nicht mit bleichen nackten Armen, sondern einer sonnengebräunten Haut aufzuwarten.

      Ein flinker Sprung zur Seite rettete sie, als der Wagen mit einer Vollbremsung zum Stehen kam. Der Fahrer, der sich aus dem Fenster lehnte, wirkte nicht eben erfreut über diesen Überfall. Als sie ihm ihre Lage schilderte, schaltete er wortlos das Warnblinklicht ein und lenkte den Wagen an den Straßenrand. Dann stieg er aus und trat ins Scheinwerferlicht.

      Oh, Norma, dachte sie ernüchtert. Welchen Prinzen hast du dir herangezaubert!

      Die Jahre bei der Polizei hatten ihre Instinkte geschärft. Dass dieser Mann kaum als Musterschwiegersohn durchgehen würde, bedurfte allerdings keiner geschulten Menschenkenntnis. Er hatte etwas Heimlichtuerisches an sich, und seine offensichtliche Nervosität hätte die Frage aufgeworfen, ob der Wagen gestohlen sein mochte, falls irgendjemand einen uralten BMW stehlen wollte.