Christoph Heiden

Zurück im Zorn


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und ein bisschen Geld in die Kassen floss, hatte sich irgendwas zwischen sie gedrängt.

      »Was willst du hier?«, fragte Beck.

      »Sag mal, bin ich ’n Papagei?«

      Beck strich sich mit Daumen und Zeigefinger über den Schnurrbart. »Hey, wir wollen keinen Ärger.«

      »Sprichst du etwa für alle?«

      »Ich spreche für deine lieben Mitbürger«, entgegnete er. »Und du, Willy? Für wen sprichst du?«

      Aus den Boxen säuselte eine melancholische Nummer, und Willy bemerkte auf unangenehme Weise, wie die Wirkung des Alkohols abflaute. Hätte es ihm sein Stolz erlaubt, wäre er an den Tresen gelatscht, um sich neuen Mut anzusaufen. Geschenkt, dachte Willy. Erdbeermütze würde ihm sowieso kein Pint zapfen oder es zumindest mit hauseigenem Rotz garnieren.

      »Okay«, bat Beck in ruhigem Tonfall. »Mach bitte keine Szene.«

      Eine Aussage, die sich für Willy wie eine Zeile aus einer Seifenoper anhörte; er empfand sich aber weder als enttäuschten Liebhaber noch als hysterische Geliebte. Er war ein handfester Typ und hatte sein Lebtag dementsprechend gehandelt: Ohne die geringste Ankündigung drückte er seinen Handrücken gegen Becks Unterarm und wollte ihn beiseiteschieben.

      »Hey, lass das«, sagte Beck.

      »Du hast mir gar nichts zu befehlen.«

      »Alter Mann«, höhnte der Ortsvorsteher nun. »Schlaf deinen Rausch aus und komm morgen wieder. Eva hätte dasselbe gewollt.«

      In dem Moment, in dem er den Namen seiner Frau vernahm, packte er Becks Arm, um ihn nach Polizeimanier auf dessen Rücken zu hebeln. Beck befreite sich aus der Klammer, scheinbar mühelos, und Willy wurde das ganze Ausmaß seiner Erbärmlichkeit demonstriert. Zunächst hoben die beiden Kerle am Kamin ihre Blicke, dann drängte Beck ihn gegen den Türpfosten, worauf alle anderen Gäste verstummten.

      »Ey«, rief Willy ihnen zu. »Gaffen steht unter Strafe.«

      »Bleib locker«, flüsterte Beck.

      »Was hast du gesagt, hä?«

      In den Gesichtern der Gäste saß eine Scham, wie sie nur peinliche Greise verursachten. Danny Schmidt und Robert Beck tauschten die Positionen und der sonst eher geschwätzige Schmidt fixierte Willy am Türrahmen. Schmidts Lippen waren blutleer, hart und versiegelt; Willy hingegen verspürte keinerlei Interesse, still zu sein.

      »Ihr könnt mir nicht den Mund verbieten.« Seine Stimme überschlug sich. »Das Schwein kommt raus, das wisst ihr alle.«

      »Reiß dich zusammen«, sagte Beck.

      »Ich kann ihn in den Knast bringen, wirklich.«

      »Das hättest du vor 20 Jahren tun sollen.«

      »Ich hab jetzt das Foto. Das beweist alles.«

      »Wir werden das auf unsre Art regeln.«

      »Verdammt, denk an die Brandnacht«, brüllte er Beck ins Gesicht. »Oder willst du das nächste Mal deine eigenen Kinder begraben?«

      Auf Willys Geschrei hin hatte Friesack die Lautstärke der Musik aufgedreht. Die Glut im Kamin verwandelte sich in ein wildes Geflacker, und Willy suppte der Schweiß ins Hemd. Er setzte zur Gegenwehr an, was Schmidt jedoch im Ansatz erstickte: Er schlug ihn nicht, er trat ihn nicht, stattdessen umklammerte er ihn von hinten und bohrte ihm sein spitzes Kinn ins Rückgrat. Willy war über die Methode schier verblüfft, bis sein gesamter Körper vor Schmerz erstarrte. Schmidts Kinn schien direkt seine Nervenbahnen zu reizen, und während Willy nichts blieb, außer die Zähne zusammenzubeißen, schubsten sie ihn nach draußen.

      Sie stolperten die Eingangsstufen abwärts, und noch ehe sie unten waren, gesellten sich Lasse Kallabis und Kevin Hübner hinzu. Die vier Männer zerrten ihn aus dem Lichtkreis des Schaufensters und weiter die Dorfstraße entlang. Willy hatte jede Kraft eingebüßt, um ernsthaften Widerstand zu leisten; er schwankte von Beck zu Schmidt, von Hübner zu Kallabis und wieder zurück, taumelte zwischen ihnen wie die blinde Kuh im Kinderspiel.

      Die Gruppe gelangte zu einem verwaisten Grundstück. Zwischen zwei Scheunen brach sich ein Streifen Ödland in die Nacht; der Schnee war an dieser Stelle alt und unberührt, spröde und hart. Willy beschwor die Männer, seinen Worten Glauben zu schenken, er lallte etwas von Idioten und blinden Fischen, er sagte, der Teufel lache immer als Letztes. Aber die besorgten Bürger ignorierten seine Appelle.

      Der fette Kallabis schubste ihn in die Dunkelheit, der drahtige Schmidt positionierte sich hinter ihm. Sie zerrten ihm die Weste von den Schultern, dann knöpften sie sein Hemd auf und rafften ihm das Unterhemd übers Gesicht, sodass er nichts mehr sehen konnte. Schmidt bog ihm die Arme auf den Rücken und brachte ihn mit einem Tritt in die Kniekehle zu Fall. Was nun geschah, tat nicht sonderlich weh, aber ein Teil seines Gehirns – jener Teil, der wohl auch im Schlaf funktionierte – wusste schon jetzt, dass es morgen wehtun würde. Willy schaltete einfach ab und ließ es über sich ergehen.

FREITAG

      Erlegte Hirschkuh

      Willy erwachte auf dem Sofa, in Hose und Unterhemd, beides dreckverkrustet. Seine Oberarme fühlten sich kalt und taub an, während er unter seinen Fersen die Polster und zwischen seinen Füßen das Sofakissen spürte; offenbar war es ihm wenigstens gelungen, die Schuhe auszuziehen. Seine Erinnerung an den gestrigen Abend grenzte an null.

      Sobald er sich hochzustemmen versuchte, meldete sich sein Unterleib. Schmerzen waren nicht auf Erinnerungen angewiesen, das hatte er vor Ewigkeiten gelernt; Schmerzen gaben sich mit dem Hier und Jetzt zufrieden. Als er sich in die Senkrechte zog, bemerkte er die Bierflasche unter seinem Arsch. Er hatte sie gestern, ehe er zum Schnaps übergegangen war, zwischen die Sitzpolster geschoben. Nachdem er die Flasche herausgezerrt hatte, lehnte er sich zurück und stöhnte, dann zupfte er sein Unterhemd hoch.

      »Meine Fresse.«

      Er feuerte die Flasche gegen die rechte Wand, wo sie mit einem Knall zerbarst, einige Zettel herunterriss und in Scherben zu Boden fiel.

      »Verdammte Scheiße, verdammt.«

      Seinen von Alkohol aufgeschwemmten Bauch zierten zwei Blutergüsse; jeder einzelne hatte die Größe einer Schuhsohle und schimmerte in einem dunklen Lila. Sowie Willy die Hämatome berührte, zuckte er zusammen. Die Erinnerung an Danny Schmidt und seine Knebeltechnik kroch ihm ins Gedächtnis und belebte gleichzeitig die Schnappschüsse ihrer gemeinsamen Vergangenheit. Schmidt, den Willy aus dem Verkehr zieht, bekifft und rotzfrech. Schmidt, den er bei einem Einbruch erwischt oder bei dem Versuch, einen Außenborder von einem Touristen zu stehlen. Schmidt als Kaninchendieb, Schmidt als Drogendealer. Jedes Mal hatte Willys Nachsicht den Jungen vor einer Strafe bewahrt, doch was hatte es am Ende gebracht?

      »Einen Idioten mehr in Gollwitz«, murmelte er. »Sonst nichts.«

      Ohne das Unterhemd über den Bauch zu raffen, hievte er sich vom Sofa, blieb eine Weile reglos stehen und starrte ins Leere, als müsste er zunächst seine Körpermitte austarieren. Es war nicht die erste Abreibung, die er sich einfangen hatte. Auf Willy traf die Bezeichnung Bulle nicht nur wegen seiner früheren Arbeit zu, sondern auch, weil er einstecken konnte wie einer. Vor dem Sofa entdeckte er eine Wasserflasche und einen Eimer, konnte sich aber nicht erinnern, beides dorthin gestellt zu haben. Die Achseln zuckend, schlurfte er mit entblößtem Bauch in die Küche.

      Er füllte sich ein Glas Leitungswasser ein, fischte aus der Schublade eine Packung Ibu 600 und lehnte sich gegen die Anrichte. Nicht auf leeren Magen, mahnte ihn eine innere Stimme, die eindeutig nach Eva klang. Obwohl sie ihm stets davon abgeraten hatte, war sie zuletzt kaum imstande gewesen, dem eigenen Rat zu folgen; nicht einmal das Verlangen nach Essen war ihr geblieben, nur der Wunsch nach Schmerzlosigkeit, und am Ende die Bitte, er solle seine Dienstwaffe nicht auf Arbeit verschließen.

      »Jaja«, gab er nach. »Ich esse einen Happen.«

      Ihm fiel sein fast perfekter Pflaumenkuchen ein. Er zog das Blech aus dem Ofen, schob es auf den Tisch und sah, dass irgendjemand den Kuchen angeschnitten hatte;