Christoph Heiden

Zurück im Zorn


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bedrohen?«

      »Das ist bloß der Anfang.«

      »Okay, schreiben Sie Ihre Briefe und rufen Sie mich meinetwegen an. Aber lassen Sie meine Familie aus dem Spiel.«

      »Wir sind hier nicht bei Wünsch-Dir-Was, kapiert?«

      »Ich bitte Sie inständig.«

      »Deine Familie ist als Nächstes dran. Ende der Durchsage.«

      Ihr Handy lag in ihrem Rucksack und der Rucksack in der Küche. Sie überlegte, ob sie nach unten rennen sollte; immerhin könnte Mike den Anruf mithören und notfalls auch bezeugen. Gleichzeitig dachte sie, dass man solchen Spinnern nicht die Aufmerksamkeit einräumen durfte, nach der sie gierten und ohne die sie mickrige Schlappschwänze waren.

      »Ach, fick dich«, platzte es aus ihr heraus. »Schönen Tag noch.«

      »Sie werden alle brutzeln«, schallte es aus dem Telefon. »Dein Onkel, deine Tante und der schöne David.«

      Erst als es an der Tür klopfte, hielt Anna ein, das Telefon auf den Boden zu schlagen. Die Elektronik war aus der Verschalung gebrochen, die Batterie durchs Büro gerollt, und über ihren Handrücken zog sich ein tiefer Kratzer.

      »Moment«, rief sie panisch. »Einen Moment, bitte.«

      Sie breitete die Arme aus und raffte alles zu einem Haufen zusammen, hievte sich hoch und schob die Einzelteile mit dem Fuß unter den Schreibtisch, dann rutschte sie auf den Drehstuhl und zwängte ihre Rechte in die Hosentasche, wobei die wunde Haut schmerzhaft über den Jeansstoff schabte.

      »Ja, was ist denn?«

      Wider Erwarten öffnete Sonja die Tür. Ihre Kollegin war nicht wie üblich hereingepoltert, einen lockeren Spruch auf den Lippen, eine lustige Anekdote im Schlepptau, sondern hatte angeklopft und draußen gewartet. Ihr besorgter Blick sprach Bände.

      »Entschuldige, aber hier war so ’n Krach, da dachte ich …« Sie beendete den Satz nicht, was die Sache noch schlimmer machte. Hinter Sonja stand Mike, ohne Wischmopp, ohne Putzlappen, stattdessen mit einer Tasse Kaffee.

      »Alles in Ordnung«, erwiderte Anna mit gespielter Lässigkeit. »Von dem blöden Stuhl ist ein Rad rausgesprungen.« Sie zeigte nach unten. »Ich musste es wieder reinkloppen.«

      »So was kann schlimm enden.« Mike linste über Sonjas Schulter hinweg. »Soll ich’s mir mal angucken?«

      »Nein, alles paletti.«

      »Manchmal hilft nur Gewalt«, stellte er grinsend fest.

      »Genau, das hab ich auch gedacht.« Sie grinste zurück, doch Sonjas Miene blieb voller Sorge. Anna kam es vor, als könne man das Adrenalin im Raum wittern, die Spuren ihres Zorns und ihrer Wut, was in ihr das Gefühl schürte, bei einer schlimmen Tat erwischt worden zu sein. »Kaffeerunde?«, fragte sie und verzog den Mund zu einem verkniffenen Lächeln.

      Sonja trat ein, schloss die Tür vor Mikes Nase und sagte:

      »Ruf deine Familie an. Mach was, irgendwas.« Sie tippte gegen die herausgebrochene Schranktür. »Oder wir müssen uns bald ’ne neue Einrichtung besorgen.«

      Coming Home

      17. Dezember 1993

      Mit verklebten Augen blinzelte Claudia Kallabis zum Fernseher. Seit ihr Mann sich weigerte, etwas gegen sein Schnarchen zu unternehmen, schlief sie auf dem Sofa in der Wohnstube. Sie ahnte, dass es weniger an einem Gebrechen lag, sondern vielmehr an seiner Ignoranz; kranke Atemwege lassen sich auskurieren, hatte sie zu Lasse gesagt, ein schlechter Charakter nicht.

      Mittlerweile musste es nach zwölf sein. Sobald Lasse ins Bett getrottet war, hatte sie die Lautstärke heruntergedreht und war irgendwann vor dem Geflimmer eingenickt. Jetzt lief eine Krimiserie, die Claudia viel zu hektisch fand und die viel zu viel nackte Haut zeigte. Früher hatte es solchen Schmutz nicht gegeben und trotzdem waren alle zufrieden gewesen, und wenn man es schon aufs Tablett brachte: Zu Ostzeiten hatten sie auch bloß zwei Sender gehabt. Leider hatte Lasse für ihre Bedenken nur ein Schulterzucken übrig; sie wusste längst, dass sie von ihrem Dackel mehr Verständnis erwarten durfte.

      Sie ließ den Arm vom Sofa sinken und streckte ihre Finger nach Charlie aus. Für gewöhnlich schlief er auf der rosafarbenen Fußmatte mit dem Aufdruck Welcome home. Grunzte er vollgefressen und zufrieden vor sich hin, klang das ganz anders als Lasses penetrantes Schnarchen.

      »Charlie?«

      Sie wedelte mit der Hand, doch bekam sie weder sein Fell zu fassen, noch leckte er über ihre Fingerspitzen.

      »Charlie, mein Liebster.«

      Kein Grunzen, nichts.

      Claudia hob ihre Beine vom Sofa und rückte den Tisch beiseite, raffte das Nachthemd hoch und sank auf die Knie. Die Fußmatte fühlte sich kalt an, von Charlie keine Spur. Sie stemmte sich hoch und versuchte dabei, das unangenehme Knarzen ihrer Lendenwirbel zu ignorieren. Schlüpfte in die Latschen, knipste das Licht an und rief erneut nach dem Hund. Manchmal rollte er sich am Ofen zusammen und blieb dort so lange liegen, bis sein Fell förmlich zu glühen anfing. Auch wenn die Kacheln noch lauwarm waren, hatte Charlie heute offenbar andere Pläne gehabt.

      Da glaubte Claudia ein Bellen zu hören, gedämpft wie aus weiter Ferne, und während sie in träger Anspannung horchte, zupfte sie an ihrer schlaffen Kinnhaut.

      Alles blieb still, womöglich hatte sie sich getäuscht.

      Sie schob die Wolldecke beiseite, die als Türvorhang diente, und schlurfte in die Diele. Im Alter quälte Charlie eine Unruhe, die ihn des Nachts durchs Haus trieb. Früher hatte er an der Tür kratzen müssen, bis Claudia ihm geöffnet hatte. Rein, raus, rein, raus – das Spiel war ihr gehörig auf den Senkel gegangen. Erst nach langem Zureden hatte sich ihr feiner Gatte erbarmt, die Tür auszuhängen und stattdessen die Wolldecke anzubringen. Claudia schaute sich um, wurde nicht fündig und schlurfte weiter in die Küche.

      »Charlie, du alter Kläffer.« Ihr Tonfall nun gereizt. »Komm bei Fuß. Sofort.«

      Sie nahm aus dem Hängeschrank ein mit Futter gefülltes Döschen und schüttelte es kräftig.

      »Leckerlis«, rief Claudia. »Deine liebste Sorte, Apfel und Rind.«

      Der Köter tauchte nicht auf.

      Sie inspizierte das Esszimmer, danach die Speisekammer, und immer wenn sie sich bückte und ihre Lendenwirbel spürte, verfluchte sie den Hund. Wurde er auf seine alten Tage genauso eigensinnig wie ihr faules Stück von Ehemann? Sie schüttelte den Kopf und gleichzeitig das Döschen.

      Binnen weniger Minuten hatte Claudia alle Räume mit Ausnahme der Schlafstube durchsucht. Nach der Wende hatte sie selbst zwischenzeitlich noch einmal darin geschlafen; Ohropax und ein neues Bett von Möbel Höffner hatten die Hoffnung auf eine ungestörte Nachtruhe wiederbelebt, doch waren die Wunder des Westens eben keine echten Wunder. Erneut hatte sie vor Lasses Schnarchen kapituliert, diesmal endgültig. Sie öffnete die Tür und sagte:

      »Charlie, komm her.«

      »Du brauchst nicht zu flüstern«, bemerkte Lasse. »Dein Krach hat selbst die Wanzen verschreckt.« Ein Seufzen folgte, darauf das Quietschen des Bettes. »Was is ’n los?«

      »Haste Charlie gesehn?«

      »Der hat vorhin an der Haustür gekratzt.«

      »Und?«

      »Ich hab ihn rausgeworfen.«

      »Und wann haste ihn reingeholt?«

      »Der meldet sich schon, wenn er fertig ist.«

      »Sag bloß, du bist wieder eingeschlafen.«

      »’tschuldige.«

      »Muss man hier alles selber machen?«, schimpfte Claudia und schlug die Tür zu. Noch während sie zur Vordertür schlurfte, belegte sie Lasse und Charlie mit allerlei Flüchen; am liebsten hätte sie ihrem Mann ebenso den Hintern versohlt, wie sie es gleich bei