Ulrike Renk

Seidenstadt-Schweigen


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Ich werde mich gleich mal vorsichtig an das Schätzchen da unten herantasten. Vor morgen können wir die Bombe aber nicht entschärfen.«

      »Und was ist mit der Leiche?«, fragte Oliver Brackhausen.

      »Ob das wirklich eine Leiche ist, werden wir morgen sehen, früher nicht.« Schneider nickte Brackhausen zu. »Jetzt muss erst einmal ein Erdwall her.«

      »Ich versteh es nicht, Jürgen. Ich habe genau den Stiefel gesehen und die Umrisse eines Körpers. Muss da nicht die Staatsanwaltschaft informiert werden?«

      »Wenn dort jemand liegt, dann schon. Aber stell dir vor, es ist nur ein Kleiderbündel. Jemand von der SS, der sich am Ende des Krieges all seiner Sachen entledigt hat … und du machst jetzt die Welle.« Fischer lachte.

      »Dort liegt ein toter Mensch. Du wirst schon sehen, dass ich Recht habe.«

      »Warten wir es ab, Oliver, warten wir es ab.«

      4. Kapitel

      Siegfried Brüx stand im Flur vor dem großen Besprechungsraum.

      »Hast du etwas finden können?« Fischer blieb stehen, tastete nach seinen Zigaretten, nahm die Packung aber nicht aus der Tasche.

      »Jede Menge Fingerabdrücke auf dem Umschlag, nichts auf der Postkarte. Sie ist von einem Foto gemacht worden. Es gibt da so Dienste im Internet, da kann man seine Bilder hinschicken und diese werden auf Karton gedruckt. Keine wirklich gute Qualität. Jemand hat die Karte aber sorgfältig abgewischt und gesäubert, sie wurde sogar mit Bleiche eingesprüht. Das war ein Fachmann, der wusste, wie man DNA-Spuren vernichtet.«

      »Was?« Fischer schüttelte verblüfft den Kopf. »Bleiche?«

      »Ja. Bleiche, sie zerstört organische Spuren. Wir machen noch weitere Tests, aber ich kann dir nicht viel Hoffnung machen.«

      Fischer biss sich auf die Unterlippe.

      »Hast du denn etwas herausfinden können? Wer könnte dir so eine Karte schicken und warum?«, fragte Brüx.

      »Ich habe nicht den Schimmer einer Ahnung. Jemand, der die Geschichte von damals kennt. Solange nichts weiter passiert, sehe ich es als dummen Streich.« Jürgen nickte dem Kollegen zu und betrat das Besprechungszimmer. Obwohl er die Angelegenheit so abgetan hatte, blieb ein ungutes Gefühl zurück.

      »Ermter ist noch zwei Tage auf einer Tagung.« Fischer zog den Stuhl an den großen Resopaltisch im Besprechungsraum und blickte in die Runde. »Das ist aber nicht weiter schlimm, wir haben nichts Großartiges vorliegen.«

      »Bis auf die Bombe im Zoo«, sagte Sabine Thelen und lächelte.

      »Ja, damit haben wir aber nicht viel zu tun. Das Ordnungsamt weiß schon Bescheid. Die Grotenburgschule muss geschlossen bleiben, der Parkplatz wird abgesperrt und der Zoo wird morgen früh nicht öffnen. Eventuell müssen wir die Schutzpolizei unterstützen.«

      »Ist der Fundort gesichert?«, fragte Hauptkommissar Roland Kaiser.

      »Ja, die Schutzpolizei ist dort. Meldungen an die Presse und Welle Niederrhein sind raus, es werden noch Handzettel gedruckt. Das Ordnungsamt hat einen Sammelplatz für die Anwohner in der Gesamtschule am Kaiserplatz eingerichtet. Es wird einen Fahrdienst für die älteren Leute geben.« Fischer räusperte sich. »Eventuell müssen wir die Kollegen unterstützen. Wenn alles glatt geht, soll die Bombe morgen Nachmittag entschärft werden.«

      »Morgen schon?«, fragte Sabine Thelen.

      Fischer nickte. »Die Männer vom Kampfmittelräumdienst meinten, dass sie einen Roboter einsetzen können. Sie sagten, es sei unspektakulär. Der Zünder ist nicht großartig verrostet oder eingedrückt. Mag an dem sandigen Boden dort liegen.«

      »Und was ist mit der Leiche?« Oliver Brackhausen verschränkte die Arme vor der Brust. Ein wenig sah er so aus, als würde er schmollen. Fischer grinste.

      »Ob da tatsächlich eine Leiche im Bombenkrater liegt, klären wir morgen. Liegt sonst noch etwas an?«

      »Die übliche Einbruchsserie in den Landschaftsbaubetrieben in Traar. Jedes Jahr wieder. Keine brauchbaren Spuren.«

      »Die Spurensicherung war vor Ort?«

      »Ja.« Roland Kaiser zog eine Mappe heran und schlug sie auf. »Es sind endlos viele Spuren gefunden worden, aber nichts, was man eindeutig einem Täter zuordnen könnte. Die Betriebe werden gut besucht, und jeder Besucher hinterlässt DNA-Material und Fingerabdrücke. Relativ aussichtslos, dort etwas Relevantes zu finden. Hilft uns auch nicht, solange wir keine Fingerabdrücke der Täter in unserer Kartei haben. Wieder wurden große Geräte entwendet.«

      »Das geht schon ins vierte Jahr.« Ulla Klemenz seufzte. »Immer die gleichen Betriebe, die gleiche Ware. Schwere Geräte, sie müssen mit dem LKW kommen und das Diebesgut wegfahren.«

      »Diesmal ist auch die Elfrather Mühle betroffen. Die Täter haben das Schloss ausgebohrt und ein anderes eingesetzt. Das wurde zum Glück rechtzeitig erkannt.« Roland Kaiser schloss die Mappe. »Wir stehen mit der Polizei in Wesel und im Kreis Viersen in Kontakt. Auch da kam es zu Einbrüchen ähnlicher Art.«

      »Sonst noch etwas?« Wieder schaute Fischer in die Runde. Keiner reagierte. »Gut, dann machen wir Feierabend. Ich werde morgen schon früher hier sein und dann zum Zoo fahren.«

      »Darf ich mitkommen?« Oliver Brackhausen sah ihn erwartungsvoll an.

      »Klar. Halb sieben hier.« Fischer nickte Brackhausen zu.

      Eine halbe Stunde später saß Fischer in seinem Wagen auf dem Weg nach Hause. Er hatte überlegt, Unterlagen mitzunehmen und zu Hause durchzugehen, aber in dem Chaos, in dem sich seine Wohnung momentan befand, würde er nicht zum Arbeiten kommen.

      Morgen ist auch noch ein Tag, dachte er.

      Er parkte den Wagen auf der Rheinstraße, schloss die Haustür auf und stieg die Treppe nach oben. Vor der Wohnungstür blieb er einen Moment stehen. Fast zwei Jahre hatte er hier mehr gehaust als gelebt. Dabei hatte das kleine Appartement eigentlich nur eine Übergangslösung sein sollen. So lange, bis sein jüngster Sohn das Abitur geschafft hatte und seine Frau Susanne von Münster nach Krefeld ziehen konnte. Dazu war es nie gekommen. Sie hatten sich voneinander entfernt und sich schließlich getrennt.

      Der Gedanke daran tat Jürgen Fischer immer noch weh. Über 20 Jahre Ehe, zwei Söhne und ein gemeinsames Haus konnte er nicht so von einem Tag auf den anderen abschreiben. Aber jeder Versuch, die Beziehung wieder zu beleben, war gescheitert.

      In der Staatsanwältin Martina Becker hatte er eine neue Partnerin gefunden. Auch diese Beziehung war nicht einfach, doch Fischer glaubte, durch die gescheiterte Ehe einiges gelernt zu haben. Früher war er vollständig in seinem Beruf aufgegangen, hatte Familientermine verpasst, die Wünsche und Bedürfnisse seiner Frau an die zweite Stelle gedrängt.

      Martina war verwitwet. Nach dem Tod ihres Mannes hatte sie die Stelle in der Staatsanwaltschaft in Krefeld angetreten und wohnte in ihrem Haus in Moers.

      »Ich möchte nicht in der Stadt wohnen, in der ich arbeite. Die Gefahr, beim Einkaufen meine Klienten zu treffen, ist zu groß«, sagte sie am Anfang der Beziehung.

      Jürgen mochte nicht in das Haus ziehen, das sie mit ihrem verstorbenen Mann bewohnt hatte. Zu viele Dinge dort zeugten von der Beziehung, die die beiden geführt hatten. Er kam sich immer wie ein Eindringling vor.

      Nur kurz schaute er sich in der kleinen Wohnung um. Egal, wie oft er lüftete, es roch immer leicht muffig. Auf dem Tresen, der die Küchenzeile von dem Wohnzimmer abtrennte, standen zwei vollgepackte Kartons. Er lud sie in seinen Wagen, füllte einen weiteren Karton mit Geschirr. Eigentlich wollten sie die Sachen gemeinsam in Ruhe aussortieren, aber die Zeit war viel zu schnell vergangen und Ende der Woche musste Fischer die Wohnung geräumt haben.

      Wir haben noch genug Zeit, dachte Fischer und wusste, dass er sich damit belog.

      5. Kapitel

      Er fuhr die Moerser Straße