Claudia Rossbacher

Steirerland


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Da Sandra erst am Freitag im Hotel eingecheckt hatte, waren ihre Meldedaten dort gewiss noch nicht eingelangt. Handy- oder Laptop-Ortungen waren bei ausgeschalteten Geräten ebenfalls auszuschließen, spann sie ihre kriminalistischen Überlegungen aus alter Gewohnheit weiter. Derlei Fahndungsmaßnahmen wären zudem völlig unangemessen gewesen. Obwohl man bei Sascha Bergmann nie so genau wusste.

      Sandra registrierte drei versäumte Anrufe und eine neue Nachricht von Bergmann auf ihrer Mobilbox, die ihr nicht viel mehr verriet als die Notiz. Nach so langer Zeit wieder seine Nummer zu wählen, fühlte sich seltsam an. Ihr Puls beschleunigte sich, bis er abhob. »Hast du nach mir fahnden lassen? Oder wieder mal Andrea missbraucht, um mich zu finden?«, fragte sie, kaum, dass er sich auf seinem Handy gemeldet hatte.

      »Missbrauch würde ich das nun nicht gerade nennen. Schließlich hat deine liebe Freundin freiwillig mitgemacht.«

      Dass Bergmann sie bei der erstbesten Gelegenheit mit einem seiner Macho-Sprüche provozieren wollte, war zu befürchten gewesen. Sein dreckiges Grinsen hatte Sandra deutlich vor Augen. Den Gefallen, sich darüber zu ärgern, machte sie ihm allerdings nicht mehr. Zu ihrem eigenen Wohl würde sie künftig nicht alles persönlich nehmen. Auch das zählte zu den guten Vorsätzen, die sie gefasst hatte. »Was gibt es denn so Wichtiges, dass du mich unbedingt heute schon sprechen musst?«, bemühte sie sich, gelassen zu bleiben.

      »Ich hätte dich bestimmt nicht gestört, wenn ich nicht wüsste, dass du ganz in der Nähe bist«, schlug Bergmann auf einmal deutlich sanftere Töne an. »Und dass du uns ab morgen ohnehin wieder Gesellschaft leistest.«

      Gleich würde ihm ein Heiligenschein wachsen, dachte Sandra. »Soso … Ganz in der Nähe wovon eigentlich?«, wollte sie wissen.

      »Vom Leichenfundort. Was denn sonst?« Bergmann blies hörbar Luft aus. Oder war das eben Zigarettenqualm gewesen? Sandra hoffte inständig, dass er in ihrer Abwesenheit nicht wieder mit dem Rauchen angefangen hatte.

      »Ein Mord?«, fragte sie nach, um sicherzugehen, dass Selbsttötung, Unfall oder ein natürlicher Tod ausgeschlossen werden konnten.

      »No na ned. Ich bin es, Sandra. Chefinspektor Sascha Bergmann, LKA Steiermark, Abteilung Leib und Leben. Erinnerst du dich noch an mich?« Da waren sie wieder, die gewohnt sarkastischen Töne.

      Bergmann, wie er leibt und lebt, dachte Sandra und musste schmunzeln. »Ich erinnere mich sehr gut an dich, Sascha. Leider. Eine Gehirnwäsche zahlt die Krankenkassa nämlich nicht. Nur Psychotherapie.«

      »Und wo ist da der Unterschied?«, ätzte Bergmann.

      Sandra atmete durch, ehe sie auf den Mordfall zu sprechen kam. »Wo wurde die Leiche denn gefunden?«

      »Bezirk Südoststeiermark. In der Nähe von Straden. Schon wieder …«

      »Wieso schon wieder?« Sandra hatte keine Ahnung, wer in ihrer Abwesenheit gewaltsam zu Tode gekommen war. Oder wo. Während ihrer Auszeit hatte sie sich ganz bewusst von allen Nachrichten ferngehalten. Vom LKA und von den Kollegen sowieso.

      »Du hast davon gar nichts mitbekommen?« Bergmann klang enttäuscht. »Also doch Gehirnwäsche …«

      »Nein, ich habe nichts mitbekommen. Aber du wirst es mir bestimmt gleich erzählen. Ob ich es nun will oder nicht.« Sandra überflog die Rechnung, die ihr die Rezeptionistin wortlos zugeschoben hatte, und unterschrieb den Kreditkartenbeleg.

      »Du willst also nicht. Auch gut …«

      »Jetzt red schon endlich, Sascha.« Bergmann konnte einem wirklich den allerletzten Nerv rauben.

      »Also doch … Möglicherweise haben wir es mit einem Serientäter zu tun«, verkündete er.

      »Was du nicht sagst … So viel konnte ich mir aus deinen Worten schon zusammenreimen.«

      »Es geht dir doch eh wieder gut. Gell ja, Sandra?«

      Schon wieder diese scheinheiligen Töne, stellte Sandra irritiert fest. »Ja. Aber wenn du mich schon fragst: Vor deinem Anruf ging es mir bedeutend besser.«

      »Aber du warst es doch, die mich angerufen hat«, korrigierte Bergmann sie mit diesem provokanten Grinsen in der Stimme.

      »Nur, weil du es unbedingt wolltest«, entgegnete Sandra forscher als beabsichtigt und steckte die Hotelrechnung ein. Um sich zu verabschieden, nickte sie der Angestellten zu. Die grüßte lächelnd zurück und wünschte ihr eine gute Heimreise. Von wegen … Sandra seufzte.

      Während sie den schwarzen Rollkoffer neben sich her durch die Lobby schob, gab Bergmann ihr die Wegbeschreibung zu jenem Waldstück in Hof bei Straden durch, in dem eine Spaziergängerin an diesem Morgen eine unbekannte männliche Leiche aufgefunden hatte. In etwa 25 Minuten würde der Chefinspektor dort eintreffen, schätzte er. Tatortgruppe und Gerichtsmedizinerin waren ebenfalls auf dem Weg zum Einsatzort. Sandra konnte es in einer knappen Viertelstunde schaffen, wenn sie wollte. Immerhin überließ ihr Bergmann dann doch noch die Entscheidung, ob sie sofort oder erst morgen in die Mordermittlungen einstieg. Aber wo sie schon einmal in der Nähe war, könne sie doch genauso gut den kurzen Umweg zum Leichenfundort nehmen und anschließend über Mureck, Sankt Veit am Vogau und Leibnitz nach Hause fahren, ließ er nicht locker.

      »Woher kennst du denn Sankt Veit am Vogau?«, wunderte sich Sandra über die ungewöhnliche Ortskenntnis des Wiener Chefinspektors, der sich noch nicht einmal in Graz auskannte, obwohl er seit über drei Jahren in der steirischen Landeshauptstadt lebte.

      »Ich habe mir die Strecke extra angeschaut, um dich ja nicht zu überfordern«, erwiderte er nahezu sanftmütig.

      »Du kannst die Glacéhandschuhe wieder ausziehen, Sascha. Sie passen dir nicht.«

      »Ich dachte, ich versuche es mal mit Einfühlungsvermögen«, kehrte er zum üblichen süffisanten Tonfall zurück.

      Sandra lachte hell auf. »Vergiss es. Das kauft dir ohnehin niemand ab. Ich am allerwenigsten.« Schmunzelnd stellte sie ihren Koffer hinter dem Leihwagen ab und öffnete die Heckklappe. »Ich bin schon unterwegs. Bis dann«, beendete sie das Gespräch.

      Ob sie jetzt gleich oder erst in ein paar Stunden ihren Dienst wieder aufnahm, machte wirklich keinen großen Unterschied. Außerdem wollte sie endlich wissen, was es mit diesen mutmaßlichen Serienmorden auf sich hatte.

      3.

      Die weißen Folientunnel auf dem Gemüseacker zu ihrer Linken ließen Sandra die Streifenwagen, die dahinter auf dem Feldweg parkten, zu spät erkennen, um noch rechtzeitig vor der Kreuzung abbremsen und abbiegen zu können. Den Gedanken, zurückzusetzen oder den Toyota zu wenden und zur Abzweigung zurückzufahren, verwarf sie gleich wieder. Stattdessen stellte sie den Kleinwagen hinter einer Funkstreife am Bankett ab. Der Forstweg, der von dort in ein Waldstück führte, war durch das Einsatzfahrzeug ohnehin schon blockiert. Wen störte es also, wenn sie auch noch dahinter parkte?

      Bevor Sandra den Sicherheitsgurt öffnen konnte, stand ein Uniformierter neben dem Wagen und deutete ihr, dass sie hier nicht stehen bleiben durfte. Sie hielt ihren Dienstausweis gegen die Scheibe. Nur gut, dass sie ihn – im Gegensatz zu ihrer Dienstwaffe, den Handschellen und anderen kriminalpolizeilichen Ausrüstungsgegenständen – auch privat stets bei sich trug. Augenblicklich wich der Polizist zurück und kam neben seiner hageren Kollegin zu stehen, die inzwischen ebenfalls die Funkstreife verlassen hatte.

      Sandra stieg aus dem Leihwagen aus und stellte sich offiziell vor. »Abteilungsinspektorin Sandra Mohr, LKA Steiermark.«

      Die beiden Uniformierten von der Polizeiinspektion Halbenrain nannten ihrerseits Namen und Dienstränge.

      »Die Kollegen aus Graz sollten etwa in einer Viertelstunde hier eintreffen. Wo ist die Leiche?«, kam Sandra direkt zur Sache.

      »Hier drin.« Der Polizist deutete in den Wald.

      »Kommt wer mit zur Fundstelle oder finde ich sie allein?«, fragte Sandra.

      »Ich komm schon mit«, bot sich der Kollege an.

      »Vom Feldweg, wo die anderen Einsatzwagen stehen,