Zelts, lief zur Leine, rief, suchte unter jedem Busch. Kein Theo.
Was ist nun zu tun, überlegte er, soll ich die Polizei verständigen? Seine Eltern antelegrafieren? Doch was, wenn Theo nur für die letzten zwei Tage seine Ruhe haben wollte?
Noch einmal kehrte er an den Baum zurück, an dem sie die Räder abgestellt hatten.
Der Platz, an dem das zweite gestanden hatte, war völlig nass vom Regen.
»Dann bist du wohl aufgebrochen, kaum, dass ich eingenickt war, hast nur so getan, als schliefest du schon fest.«
Und wenig später: »Ich Vollidiot. Warum habe ich mir nichts dabei gedacht? Das Zelt war so aufgeräumt. Ich dachte, er ordnet schon alles für den Heimweg. Nein! Er hatte, was er brauchen würde, in den Tornister und die große Tasche gesteckt. Mensch, Theo! Wie um Himmels willen erkläre ich deinen Eltern, dass ich dich ›verloren‹ habe? Warum bringst du mich in eine derartige Situation?«
Ludwig setzte sich auf einen Stein, barg das Gesicht in beiden Händen. Konnte nicht fassen, dass der Freund wirklich so egoistisch gehandelt hatte.
»Vielleicht kenne ich dich doch nicht mehr so gut, wie ich angenommen habe. Du magst dich in den letzten Jahren verändert haben und hast es bis jetzt vor mir verborgen.«
Eine winzige Hoffnung blieb. Noch zwei Tage bis zur Heimfahrt. Am Ende würde Theo am Bahnsteig auf ihn warten, als sei nichts geschehen!
»Verdammt, Theo!«, fluchte Ludwig. »Was soll ich denn jetzt tun?«
14. Kapitel
1924 im Mai Julius und Margarethe
»Julius! So kann das doch nicht weitergehen!«
Der Angesprochene wandte den Kopf zur Seite, als könne er so dem Schwall fordernder Worte einfach ausweichen.
Es misslang.
Seine Frau baute sich direkt vor ihm auf, fing seine Augen ein, klebte die ihren darauf fest und meinte kühl: »Nun glaubst du tatsächlich noch immer, du könntest mal eben abtauchen, was?« Der drohende Unterton war unüberhörbar. »Ich kann es einfach nicht fassen! In all den Ehejahren hast du nicht kapiert, dass dieser Trick bei mir nicht funktioniert.«
»Also«, seufzte der Gatte geschlagen, »was kann so nicht weitergehen?«
»Dieser Krach! Hörst du das denn nicht?«
»Nun, schon. Aber es ist nicht zu ändern. Geht ja so, seit er eingezogen ist. Und beschwert haben wir uns, sogar mehrfach. Der hat immer irgendeine Erklärung. Mal muss er Schuhe besohlen, mal Möbel zusammenbauen.«
»Wenn man sich nicht gutstellen müsste mit dem Kerl! Wenn ich mich zu deutlich beschwere, verkauft er uns kein Fleisch mehr!«, lamentierte die Ehefrau.
»Dann wirst du wohl den Lärm ertragen müssen, Margarethe«, stellte Julius lakonisch fest. »Aufregen ist sinnlos. Er interessiert sich nicht für die Nachbarn. War schon in der Celler Straße so. Da haben sie sich auch beschwert – und genützt hat es nichts.«
Die stattliche Frau baute sich gefährlich vor dem im Vergleich zu ihr zarten und kleinen Mann auf, die Augen zu Sehschlitzen verengt, funkelte sie ihn böse an.
»Was hast du denn mit denen von der Celler Straße zu schaffen? Hä?«
Julius wurde bleich. Begann zu zittern. »Gar nichts!«, beteuerte er schließlich. »Gar nichts!«
»Und woher weißt du das dann?«
»Ist doch nur, weil der Linderer auch …«
»Aha?«, schnarrte sie entrüstet.
»Klatsch und Tratsch eben. Jeder weiß was zu erzählen. Manch einer auch über den Haarmann. Und seinen sauberen Freund.«
»Wenn du weiter Fleisch auf deinem Teller haben willst, pass besser auf, mit wem du da am Quatschen dran bist. Der Haarmann arbeitet für das Polizeipräsidium!« Dabei setzte sie ein Miene auf, die zwischen Hochnäsigkeit und Schlauheit angesiedelt sein sollte – am Ende aber nur dümmlich wirkte.
»Ach? Dann ist das alles nicht wahr, was die Leute so sagen?« Der Gatte machte eine kurze Denkpause. »Nee!«, murrte er dann. »Kann ja nicht alles erfunden sein! Dass der ständig Jungvolk bei sich zu wohnen hat, wissen wir ja auch! Junge gut aussehende Männer! Manchmal gleich mehrere.«
»Jaha! Ich habe ihn gefragt. Das sind entsprungene Fürsorgezöglinge. Die nimmt er für eine Nacht oder zwei bei sich auf, bevor die wieder zurückgeschickt werden. Sollen die Jungs vielleicht im Gefängnis wohnen, bei den Dieben und Mördern? Den Huren und Räubern? Nee, das wär doch nichts Gutes für so jungsche Männer. Kommen sie nur auf komische Gedanken. So ist das nämlich!«
»Na, wenn du schon so privat mit dem Haarmann bist, hättest du ihm ja auch gleich sagen können, dass dieses ewige Geklopfe dich stört! Dass er das unterlassen soll! Besonders nachts!«
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