Franziska Steinhauer

Der Werwolf von Hannover - Fritz Haarmann


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kleines Messer war willig, und wo es nicht weiterkam, half das Hackebeilchen.

      Natürlich tat ich all das mit Grausen und Entsetzen.

      Es war eine widerliche Aufgabe, die Stunden dauern mochte, vielleicht Tage.

      Einfach eklig.

      Wenn ich mich zurückerinnere glaube ich, ich habe mich mehrfach in einen kleinen Eimer übergeben, weil es so schrecklich war.

      In den Eimer habe ich später auch das zerschnittene Gekröse geworfen. Schließlich sollte das ja durch den Abort …

      Die Arbeit war aber nicht nur abstoßend, sie strengte mich sehr an. Derartig, dass ich mich immer wieder hinlegen und ausruhen musste.

      Sobald es mir besser ging, machte ich weiter. Beeilen musste ich mich damit. Nicht auszudenken, wenn jemand gekommen wäre und ihn dort am Boden entdeckt hätte.

      Die Schnitte über die gesamte Körperlänge führte ich mit dem Messer aus – ich wusste ziemlich genau, wie sie zu setzen waren.

      Die Rippen – kein Problem.

      Die Arme drückte ich weit nach oben, löste sie aus den Schultergelenken.

      So wanderte Stück für Stück …

      Es ging gut, wenn ich erst mal alle Knochen herausgelöst hatte.

      Was blieb war nicht mehr als seine Hülle, die sich gut zerteilen ließ. In schmale Streifen und dann quer in winzige Quadrate.

      Die Größe der Stücke richtete sich nach ihrer Schwimmfähigkeit. Waren sie schwer genug, versanken sie sofort, das Leichte, das oben schwamm, durfte nur in geringer Menge in den Fluss gelangen. Das musste besser in den Eimer.

      Der Kopf. Wenn ihn jemand fand, konnte er erkennen, wem er zu Lebzeiten gehört hatte? Dem zuvorkommenden und willigen Freund meines Hübschen, dem fiele womöglich ein, wo man manchen Nachmittag und Abend in den letzten Wochen zubrachte. Dieses Risiko! Zu hoch!

      Erst die Haare – das erledigte sich nach Art der Indianer.

      Ich schabte alles Weiche ab, warf es ebenfalls in den Eimer.

      So verfuhr ich auch bei den Knochen.

      Die passten in eine Tasche aus Wachstuch.

      Den Eimer kippte ich, wie geplant, in den Abort. Damit niemand eine Blick auf seinen Inhalt werfen konnte, deckte ich einen Lappen drüber, als ich damit über den Hof ging.

      Die Knochen landeten in der Leine.

      Blieb noch immer der Schädel.

      Nach dem Lüften, Putzen und Aufräumen wickelte ich ihn in Zeitungspapier ein, stopfte das Päckchen in die Tasche, die mir schon zuvor gute Dienste geleistet hatte, und schob sie hinter den Ofen.

      Insgesamt war ich viel unterwegs an jenem Tag und nun rechtschaffen müde.

      Und das Zimmer gehörte wieder mir allein!

      Glück im Unglück: Die Polizei, die mein Zimmer später durchsuchte, fand nur einen Freund des vermissten Jungen in meinem Bett. Der war ja quicklebendig.

      Wegen der Unzucht gab es ein peinliches Verhör.

      Den Schädel hinter dem Ofen entdeckten die Beamten aber nicht.

      Hat eben keiner in die Tasche geguckt.

      Wie sollten sie auch wissen, dass sie den Hübschen nie mehr lebendig finden konnten!

      6. Kapitel

      1924 Presseclub im Restaurant »Falkennest«

      Eine Gruppe Zeitungsreporter traf wie üblich im »Falkennest« zusammen.

      Einem kleinen, sauberen Restaurant in der Nähe des Bahnhofs, dessen Wirtin einen soliden Eindruck machte und für jeden Gast ein freundliches Wort hatte.

      Schnell kam das Gespräch auf den Schädelfund in der Leine.

      »Heute haben sie wieder einen gefunden. An der Brückmühle! Wieder mit ein paar Halswirbeln dran.« Ahab, der ein Holzbein hatte, hieß im wahren Leben Franz Kraus.

      »Ja, das habe ich auch gehört! Und es soll sich um zwei Selbstmörder handeln. Bei der Zersetzung geht der Schädel schon mal verloren«, wusste ein anderer.

      »Ne! So ist das nicht. Es waren ja an beiden noch Halswirbel! Da hat sich nichts gelöst. Und meine Quelle bei der Polizei erzählte mir, die Wirbelsäule sei im Nacken scharf durchtrennt worden. Dekapitieren sich selbst! Komische Selbstmörder dieser Tage, was?«, lachte der Pirat rau und ließ das Gummiband seiner Augenklappe gegen die Schläfe schnalzen.

      »Ach Gustav, was bist du zynisch! So werden es wohl Unfallopfer sein.«

      »Was soll das denn für ein Unfall gewesen sein? Arbeiteten beide für Carl Gröpler und wurden beim Putzen des Richtblocks vom heruntersausenden Fallbeil überrascht?«, lachte der Pirat Gustav Kieslinger kehlig. »Montag der Erste, dann der, den man damit beauftragt hatte, die Schweinerei zu beseitigen!«

      »Also wirklich, das ist jetzt aber richtig geschmacklos!«, beschwerte sich Richard Schulz und der Pirat versuchte dem Kollegen in das Auge zu sehen, das nicht aus Glas war. Schwere Entscheidung.

      »Na, müssen ja keine Selbstmörder gewesen sein«, bemühte sich Alfred Schubert um ein Glätten der Wogen. »Mein Bekannter bei der Polizei meint, es könnten auch Typhusopfer sein. Oder freigespülte Leichenteile aus dem überschwemmten Friedhof.« Hans zog ein kleines Notizbuch aus der Tasche. »Hier, ich hab’s mir aufgeschrieben.«

      »Ich hab gehört, es könnte sich auch um einen Scherz der Studentenschaft in Göttingen handeln. Frisch aus dem Sektionssaal in die Leine. Aber das weiß natürlich auch niemand genau. Man zählt wohl gerade nach, ob noch alle da sind«, wusste Ahab. »Gerüchte sind in diesen Zeiten wohlfeil.«

      »Na, das wäre aber ein wirklich grober Scherz!«

      »Sicher. Aber man weiß doch, wie die Studenten so sind. Gaudeamus igitur!« Der Pirat zog wieder am Gummiband.

      »Kannst du das bitte mal lassen? Das macht mich ganz nervös.« Alfreds Stimme klang gereizt.

      »Das beschleunigt das Denken. Solltest du bei dir auch mal versuchen! Kannst ja probeweise einfach mit dem Finger gegen die Schläfe schnippen, dir geht das Band ja ab«, grinste Gustav hämisch.

      »Die Leute auf der Straße sind beunruhigt. Einige munkeln von Mord. Behaupten, in Hannover gäbe es Menschenfallen, in denen junge Leute gefangen werden. Weil so viele vermisst werden.«

      »Und nun haben alle Mordbuben in der Gegend sich darauf verständigt, ihre Opfer in die Leine zu werfen?« Richard zeigte dem Sprecher einen Vogel.

      »Ach, was für ein dummes Geschwätz. Hannover ist nun mal eine Stadt, die Kriminalität anzieht. Hier sammelt sich viel lichtscheues Gesindel. Sobald die Polizei zu nahe ran rückt, tauchen die Halunken ab und sind eben verschwunden.«

      »Gestern war ein Vater bei mir, der seinen Sohn sucht. Er war bei der Polizei, hat eine Vermisstenmeldung gemacht, aber er hat nicht den Eindruck, jemand kümmere sich ernsthaft darum.« Gustav sprach plötzlich leise. »Ist schon schlimm genug, wenn dir der Sohn abhandenkommt. Aber wenn du dann auch noch denken musst, dass das so gar niemanden interessiert, nicht einmal die, die man von Staats wegen fürs Suchen bezahlt, ist es besonders schlimm. Der Mann war so verzweifelt. Sein Junge hat vielleicht als Puppenjunge ›gearbeitet‹, das hat man ihm jedenfalls hinter dem ›Kröpke‹ erzählt. Nun ist er ratlos.«

      »Ist doch kein Wunder, dass sich so viele junge Männer von ihren Familien absetzen. In den Kriegsjahren waren alle anderweitig beschäftigt, erzieherisch wurde viel versäumt, und viele Eltern hatten auch einfach nicht mehr die Kraft, sich gegen jugendliches Ungestüm durchzusetzen. Die Knaben haben Oberwasser, trauen sich alles, sind leichtsinnig, viele auch arbeitsscheu, sie suchen Freiheit.«

      »Gestern habe ich einen getroffen, der erzählte mir, er wolle zur See fahren. Von Hannover aus?, habe ich