Haberland erwartet sie schon und setzt sich mit den beiden an den Tisch. Fritz Hämmerle schiebt ihm kommentarlos die Fingerabdrücke von Kessler und Frau Le zu.
Scheffer kommt gleich zur Sache: „Kessler sagt, er war von null Uhr dreißig bis gegen sechs bei ihr. Genau kann er sich nicht erinnern, sagt er. Sie haben Kaffee getrunken und auf Wunsch von Rita Würgespiele gemacht, sagt er.“ Er hält inne. „Wollen wir Dr. Friedrich gleich mit einbeziehen? Wir sind bei ihm angemeldet, also gehen wir.“
Dr. Friedrich hört sich alles an und sagt schließlich: „Der Riemen hat ein deutliches Mal hinterlassen. Andere Würgemale gibt es nicht. Also, Hämatome finden sich am Hals in der Breite des Riemens, weitere an den Hand- und Fußgelenken von den Handschellen und leichte an der Innenseite der Oberschenkel. Spermaspuren auf Brust, Bauch, Gesicht und im Magen. Die Hämatome an den Gelenken sind zum Teil offen, stellenweise leicht blutend, keine Drogen, Alkohol: null Komma zwei.“
„Was hat sie gegessen? Auf dem Tisch standen Kaffeetassen, Baguette und Aufstriche.“
„Kaffee hat sie in den zwei Stunden vor dem Todeszeitpunkt nicht getrunken, Baguette hat sie auch nicht gegessen, aber relativ viel Chips einige Stunden zuvor.“
„Die Tüte war im Abfall“, sagt Maik Haberland.
„Keine inneren Verletzungen, auch nicht vaginal oder anal. Dort war auch kein Sperma.“
„Kessler sagt, er hätte den Riemen auch dieses Mal wieder gelockert. Er hat gefrühstückt, bevor er ging, während sie nebenan festhing. Also bliebe nur eine panische Reaktion.“
„Sind Sie sich“, fragt der Chef Maik Haberland, „mit Ihrer Analyse des Frühstückstisches sicher?“
„Stimmt doch mit dem Ergebnis von Dr. Friedrich überein. Rita Kämpf hat während Kesslers Anwesenheit nichts gegessen und in den letzten Stunden nichts getrunken.“
Der Chef sagt: „Wir gehen noch mal alle Details durch, jeder für sich. Wann kommt Ihr Bericht?“, wendet er sich an Dr. Friedrich.
„Morgen.“
Sie stehen alle auf, Maik Haberland geht Richtung Spurensicherung, die Übrigen zum Aufzug.
Fritz Hämmerle kommt nicht damit klar, er sieht nicht nur ratlos aus, er ist fertig, und Scheffer merkt es. „Kopf hoch, Hämmerle, wir kriegen Kessler. Haben Sie eigentlich die Bilder?“
„Ja“, gibt er gepresst von sich, mittlerweile vor seiner Tür angekommen, unschlüssig, ob der Chef ihn da jetzt reingehen lässt.
„Schicken Sie sie mir rüber.“
„Ich hab die Zugänge noch nicht.“
„Ach ja, keine Telefonliste, keine Zugänge. Sie kommen schon noch an, Herr Hämmerle.“
Er geht mit zu ihm ins Zimmer, schreibt seine Zugänge auf und schiebt sie Fritz Hämmerle hin, der seinen PC hochfährt. „Das Programm ist ein anderes als an der Akademie.“
Es wird eine Einführungsstunde, an deren Ende nicht nur die Bilder verschickt sind, er fühlt sich auch ein bisschen mehr angekommen.
„Fahren Sie doch noch mal in die Hangstraße. Wenn Kessler schon nicht sagt, wann er weggefahren ist, kann sich vielleicht im Haus jemand genauer erinnern.“
„Laut genug ist es. Das Röhren seines Autos liegt mir noch vom Besuch bei Kessler in den Ohren.“
„Wie gesagt, gehen Sie zu Wetterer und konfrontieren Sie ihn. Haben wir schon die Verwandten von Rita Kämpf?“
„Noch nicht.“
„Die zuständige Abteilung ist über der Spurensicherung. Paul Gräz heißt der Kollege. Kann gut sein, die Eltern wissen nichts von der Arbeit ihrer Tochter.“
„Müssen wir ihnen das so genau erzählen?“
„Jetzt finden wir sie erst mal und dann sehen wir weiter.“
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Sie passierten die Schranke am Präsidium ins Innere des Karrees und fuhren hinab in die Tiefgarage auf einen der Parkplätze der Spurensicherung. Fritz Hämmerle sah sich im Auto um, fand aber nichts, was er vergessen haben könnte. Die CD war in der Jackentasche.
Maik nahm die Kamera und den Abdruck vom Baum.
Sie sahen sich kurz an und jeder ging seiner Wege, Maik verschwand im Gang und er im Aufzug. Im ersten Stock machte er einen Zwischenstopp, weil er noch schnell zu Paul Gräz wollte. Sie waren ja heute nicht all zu spät dran.
Paul Gräz kam ihm im Mantel entgegen, kehrte um und fuhr den PC in seinem Zimmer wieder hoch. Sie brachten die bundesweite Suche auf den Weg.
„Ich bekomme es gleich, wenn was reinkommt.“
„Wie immer also.“
„Ist es so schlimm? Na ja, wie fast immer.“
Paul Gräz hatte den Mantel erst gar nicht ausgezogen. Sie gingen, er zum Parkplatz, Fritz Hämmerle fuhr nach oben.
Auf dem Weg vom Aufzug in sein Büro kam eben sein Chef, Alexander Dietrich, aus Frau Michas Tür. „Herr Hämmerle, kommen Sie doch bitte zu mir.“ Doch das Bitte klang nicht wie eine Bitte. Mit einem Blick auf den Stapel Papier in seiner Hand fuhr er fort: „Sagen wir, in einer Viertelstunde.“
Er ließ sich im Büro auf seinen Stuhl fallen und versuchte, abwesend die Schnürsenkel seiner Bergschuhe zu lösen. Das ging nicht, irgendwie zogen sich die Knoten nur fester.
„Was mag Alex bloß haben?“, überlegte er laut. Nicht dass ihn das übermäßig beunruhigte. Er hatte ihn wirklich lange nicht mehr zu sich geholt, es lief alles über Frau Micha. Machte er sich wieder Sorgen um ihn? Dass er überhaupt noch hier war in der K30, überhaupt noch Polizist war, nachdem er nach seinen ersten Wochen hier schließlich in der Klapse gelandet war, verdankte er Alexander Dietrich. Aus der Psychiatrischen Klinik wieder zurück, hatte er ihn zu seinem persönlichen Assistenten gemacht und das war er heute noch. Die erste Zeit hatte er vorwiegend mit allem möglichen Papierkram zugebracht. Geht denn dieser verflixte Knoten endlich auf? Wo ist denn der Stick mit den Bildern? Der lag doch gestern noch hier auf dem Schreibtisch, fragte er sich - sein Blick blieb an der Uhr hängen, die dort stand. Ihr leises Ticken schien sich auf seinen Hals zu übertragen oder war das nur sein Puls? Die Hände fühlten sich vom feuchten Laub klebrig an. Hatte er sich wirklich seit dem Steinbruch noch nicht wieder die Hände gewaschen? Er verließ sein Büro Richtung Waschbecken und verbrauchte reichlich Papierhandtücher.
Der Gedanke, im Vorbeigehen kurz bei Frau Micha reinzuschauen, weckte einen Anflug von schlechtem Gewissen, es gab ja nichts Konkretes. Aber allein schon ihre Nähe hätte ihn wie schon am ersten Tag beruhigt.
Er riss sich zusammen und ging zu seinem Chef, der ihn umgehend – im wahrsten Sinne des Wortes, denn er kam um seinen Schreibtisch herum – nach Eschenweiler fragte. Sie setzten sich an den Tisch und er berichtete ihm.
Offenbar zweifelte er auch nicht an einem Unfalltod, so dass faktisch die Ermittlungen beendet waren und wechselte schnell das Thema.
„Herr Hämmerle, ich hatte Besuch von der Personalabteilung, sie hätten in den letzten drei Jahren ganze fünf Tage Urlaub genommen, jedenfalls den Urlaubsscheinen zufolge. Ist das so?“
„Könnte hinkommen.“
„Herr Hämmerle, Sie sind mein Assistent seit Ihrem Zusammenbruch damals und ich habe viel an Ihrem Privatleben Anteil genommen, manchmal mit dem Eindruck, mich zu sehr einzumischen. Muss ich mir wieder Sorgen machen?“
„Nein, ich glaube nicht.“
„Sie arbeiten seit drei Jahren faktisch durch. Keiner hat es gemerkt und ich muss mir vom Personalchef anhören, meine Leute zu überfordern.“
„Nein, mir geht es gut.“
„Scheffer hat mich letztens schon zum zweiten Mal gefragt, ob er Sie wiederhaben kann. Das