Jochen Rinner

Hämmerle


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Sie ein wenig.“

      Er steht vor der Garderobe und entdeckt nichts, was einem Mann gehören könnte. Wo sind die Männer hier?, fragt er sich. Es ist sauber, anders als im Treppenhaus, in dem es streng riecht.

      Aus dem hinteren Zimmer kommt Frau Le, begrüßt ihn, freundlich und scheu, und bittet ihn in ihr Zimmer.

      In der Tür steht er vor den Reisstrohmatten und will instinktiv die Schuhe ausziehen. Sie hält ihn davon ab und bittet ihn, sich zu setzen.

      Frau Le erinnert ihn an ein Bild, das er in einer Zeitschrift gesehen hat: Frauen auf dem Reisfeld. Ein ebensolches gerade fallendes Gewand trägt sie, und auf dem Schrank entdeckt er den typischen flachen Hut, den die Menschen auf dem Bild alle aufhatten. Ob sie den, wenn sie Sehnsucht hat, aufsetzt? So sehr er mehr über dieses Schicksal wissen will, fragt er doch nicht nach.

      „Sie haben Frau Kämpf gefunden.“

      „Ja.“

      „Und sie lebte nicht mehr.“

      „Ja.“

      „Es war ihr normaler Arbeitsbeginn?“

      „Jeden Tag um diese Zeit, montags nicht. Die Frauen sehe ich meistens nicht. Sie schlafen in ihren Zimmern und am Sonntag lag der Lohn auf dem Tisch.“

      „Immer?“

      „Lohn, immer.“

      „Die Frauen, kennen Sie sie gut?“

      „Nicht so gut. Als Kitty neu war, haben wir paarmal zusammen gefrühstückt. Manchmal kamen sie auch aus ihren Zimmern ganz müde, gingen zum Klo und in die Küche zum Kühlschrank, da redeten wir auch. Vor vier Tagen waren sie beide angezogen, ein Koffer stand im Flur und sie sagten, ich soll mit ihnen essen, Mama von Kitty ist krank und sie fährt nach Hause. Sind zum Bahnhof gefahren. Rita war noch nicht zurück, als ich fertig war.“ Sie kämpft mit den Tränen. „War das letzte Mal.“

      „Rita hatte einen Riemen um den Hals. Sie haben schon Kommissar Scheffer berichtet, Sie hätten Frau Kämpf zweimal losgemacht. Erzählen sie mir, wie das war.“

      Alle Freundlichkeit weicht, sie sieht entsetzt aus, die Hände verkrampfen, die Knöchel treten weiß hervor. Sie müht sich, die Fassung wiederzugewinnen.

      „Ja“, sagt sie, „war auch um ihren Hals im Sommer, zweimal, sie rief mich gleich, als ich zur Tür hereinkam, sagt, wie ich Handschellen aufschließen muss. Diesen Riemen hat sie dann selbst abgemacht und weggeworfen. Sie weinte sehr, als ich den Kaffee auf den Tisch stellte und wir in der Küche saßen, sie weinte und weinte. Ich fragte Rita: Warum? - Warum machst du das? Sie steht auf, geht in ihr Zimmer, kommt gleich zurück und hatte die Hand voller Geld. Viel Geld. Sie zieht fünfzig heraus und gibt mir den Schein. Ich wollte dieses Geld nicht. Rita hat gesagt: Von diesem Monster war in deinem Umschlag am Sonntag auch Geld. Sie hat mich weggeschickt, habe nicht gearbeitet.“

      „Und das zweite Mal?“

      „Vier Wochen später, er fuhr gerade los, als ich kam.“

      „Haben Sie ihn gesehen?“

      „Nein, nur das Auto. Es war blau und laut.“

      „Haben Sie all die Sachen in den Schränken auch sauber gemacht?“

      „Ja, einmal in der Woche.“

      „Diesen Riemen auch?“

      „Der war nicht immer da, erst dreimal davor.“

      Die Fingerabdrücke hätte er fast vergessen und es tut ihm leid, sie auch noch damit zu belästigen. Er steckt die Folie ein und sagt, dass er wegen des Protokolls wiederkommen muss.

      Sie verabschieden sich und er steigt die vielen Stufen wieder hinunter. Von wegen Bio-Kiff, wieso sollte sie derart weinen nach einem für sie angeblich so schönen Erlebnis. Wie soll er Kessler nur drankriegen? Ihm fällt nichts ein, einfach gar nichts, und das bringt ihn fast um.

      Es steht ihm ins Gesicht geschrieben, als er nach Hause kommt. Lilly sieht es und kann ihre Sorge schlecht verbergen, sie kümmert sich um ihn, doch er sitzt am Küchentisch und sieht durch sie hindurch. Wie ist sie tatsächlich gestorben, wie nur?

      Lilly weicht nicht von seiner Seite, sucht seine Nähe.

      Er liegt starr da, den Blick an die Decke des dunklen Schlafzimmers gerichtet. Mit beiden Händen fasst er das Eisengestänge des Ehebettes, zieht sich ein Stück weiter aufs Kopfkissen und schläft schließlich ein.

      Am Morgen fühlt er sich zerschlagen, aber es geht. Sein Chef ruft an, als er noch unterwegs ist. Er soll zu ihm kommen. Das Autofahren strengt an, heute besonders, und er verliert wieder die Wettfahrt mit der Bahn nebenan auf ihren Gleisen.

      Hauptkommissar Scheffer sieht auch nicht sehr frisch aus, holt aber aus seinem neuen Mitarbeiter alles heraus, was er bisher gemacht hat. „Herr Hämmerle, Sie sind schon fast durch“, versucht er, ihn zu loben.

      „Wir stecken aber fest, wenn’s auch nur noch ein Schritt ist.“

      Sein Chef schweigt und ordnet die Vorhänge.

      Heute weiß Fritz Hämmerle, wenn Scheffer nachdenkt, tut er manchmal unnütze Dinge, sitzt am Schreibtisch und malt Strichmännchen, richtig lebendig und viel zu schade für den Papierkorb, oder zupft, wie eben, an Vorhängen, wo nichts zu zupfen ist.

      Er tritt vom Fenster weg und setzt sich zu ihm an den Tisch.

      „Der Pathologe wird uns nichts Neues bringen. Kessler und sein Casino sehen wir uns genauer an.“

      „Razzia?“

      „Nein, jetzt nicht, dafür haben wir zu wenig, und diesen Neigungen scheint nur er selbst nachgegangen zu sein, mit seinem Casino hat das nichts zu tun. Wir nehmen es uns trotzdem vor. Aber das macht Sven Papke.“ Er greift zum Telefon. „Kommst du kurz hoch? --- Dauert nicht lange.“

      Sven Papke ist klein, untersetzt, kurzes Haar, perfekt rasiert, nicht unbedingt schlank. Es ist jemand, den man leicht übersieht. Andersherum ist das Gegenteil der Fall: Den kleinen Augen, die ein wenig zusammengekniffen wirken, scheint nichts zu entgehen.

      „Wenn ich recht verstehe“, bemerkt er, nachdem er zugehört hat, „gibt es noch nichts zu lesen.“

      „Die Spurensicherung ist noch nicht fertig“, sagt Fritz Hämmerle. „Warum hat eigentlich Dr. Friedrich noch keinen Bericht geschrieben?“

      „Sven, du nimmst dir Kessler vor, Finanzen, alle seine Geschäfte. Aber er darf nichts davon mitbekommen.“

      Sie reden noch kurz und als Sven Papke wieder weg ist, sagt der Chef zu ihm: „Herr Hämmerle, Sie gehen nach unten. Warten Sie, wir gehen zusammen. Fragen Sie Maik Haberland und Dr. Friedrich, ob wir kommen können, sagen wir, in einer Viertelstunde.“

      Fritz Hämmerle überlegt auf dem Weg in sein Zimmer, in dem er in den zwei Tagen kaum war, ob er so was wie eine Telefonliste gesehen hat oder wie er sonst an die Nummern kommt, und ist noch am Suchen, als sein Chef schon in der Tür steht. Er solle wegen der Hausapparate zu Frau Micha gehen, sagt er und ruft gleich selbst an.

      Im Aufzug fragt er seinen Chef: „Was machen wir mit Hermann Wetterer?“

      „Er wollte wissen, wie sie gestorben ist. Das hat er Sie doch gefragt auf dem Weg von der Pathologie?“

      „Hat er.“

      „Dann sagen Sie es ihm, ausführlich. Er mochte sie, vielleicht sogar mehr als das, also wird er sie gut kennen, so lange, wie das schon ging. Wir sollten mehr über Rita Kämpf wissen, und mehr über Wetterer. Diese Kitty, rufen Sie sie an. Und Herr Hämmerle, vielleicht sind die beiden Damen nicht selbstbestimmt ihrem Job nachgegangen und Hermann Wetterer ist doch ihr Zuhälter. Kann auch sein, es gibt noch andere, die in dem Geschäft drinstecken und absahnen. Ihnen ist klar, wenn die beiden selbstständig waren, wie Sie mir sagten, dann gehören sie zu dem weitaus kleineren Teil der Prostituierten, bei denen das tatsächlich zutrifft.“ Sie sind im Untergeschoss angekommen, die Türen