Jochen Rinner

Hämmerle


Скачать книгу

In diesem letzten Gespräch war seine Absicht gewesen mehr über Rita Kämpf zu erfahren und er wusste bis heute nicht, ob ihm das wirklich gelungen war. Sven Papke hatte sich Hermann Wetterer vorgeknöpft und nichts gefunden, außer klamme Konten und normale Mieteinnahmen, von denen er lebte. Er war nicht Ritas Zuhälter geworden. Die Miete war fest, nach Mietspiegel, und er hatte wahrscheinlich bezahlt wie zuvor.

      Hämmerle fragte sich vielmehr, wieso das gemeinsame Leben mit seiner Frau zerbrochen war. Plötzlich hatte er viel Zeit für seine Rita, die gar nicht seine war. Hätte er diese Zeit auch für seine Frau gehabt? Sie hatten ihre Firma zusammen betrieben, und sonst? Hatte er nicht mehr gefunden, was er meinte zu brauchen. Was war alles geschehen, um die Gemeinsamkeiten zu zerreiben, sie zu zerbröseln und durch die Maschen fallen zu lassen?

      Warum interessierte ihn das eigentlich immer noch, nach sieben Jahren? Weil er mit seiner Lilly auf dem gleichen Weg war, schleichend, unerbittlich, hilflos? Er tat sich selbst leid. Vielleicht suchte er in den scheinbar immer gleichen Geschichten den Anker, der die hilflos umherflatternden Gedanken zusammenhielt. Ach, ist doch alles Mist!, schimpfte er, stand vehement und trotzig auf, sprang aus der Bahn und pflügte rasant und gnadenlos durch das Laub, die Hände in die Taschen gestemmt.

      Dort fühlte er den Beutel mit dem USB-Stick, versteckt am Kragen einer Trachtenjacke. Maik sieht doch sonst alles. War er mit halb verrottetem Laub verklebt und dieses ist beim Doktor abgefallen?

      Was bringt einen Menschen dazu, ihn so zu verstecken? Was ist da drauf? Er dachte an nichts anderes mehr, lief schneller. Sein Dienstlaptop war im Präsidium und sein privater stand unter dem winzigen Tisch im Schlafzimmer. Dahin zog er sich zurück, wenn er zu Hause einen Computer brauchte.

      Gerade ging flackernd die Straßenlaterne an, wie sie das immer tat. Lilly war noch nicht da und Daniel auch nicht.

      Mit Schuhen und Jacke eilte er schnurstracks hinauf, zwei Stufen auf einmal nehmend. Während der Computer quälend langsam hochfuhr, untersucht er den USB-Stecker dieses merkwürdigen Sticks: keine Korrosion, kein Dreck. Also was sollte ihn noch daran hindern, das Ding da jetzt anzuschließen? Er gab noch sein Passwort ein und dann ging es los. Er schob den Mauszeiger auf das Kästchen Weiter und wollte es schon anklicken, als er stutzte. Bei vielem, was er am PC getan hat, tauchten diese zwei Kästchen auf: Weiter und Abbrechen. Man drückte auf „Weiter“, weil man weiterwollte, deswegen saß man hier, das war die Routine. Aber auf einem Stick eine solche Abfrage? Wenn Bilder oder Videos drauf waren, öffnete sich das Fotoprogramm oder die Mediathek oder es kam eine Liste der Daten, die darauf waren. Aber so eine Abfrage? Was sollte das?

      Er zog ihn noch mal heraus und steckte ihn wieder hinein – das gleiche Ergebnis. Nein, er wollte nichts machen, auf gar keinen Fall, ja nichts kaputtmachen. Er wusste, dass er eigentlich keine Ahnung hatte von diesem elektronischen Zeug, er war manchmal verzweifelt hilflos. Sogar zu Hause hatte ihm Daniel mit seinen vierzehn Jahren mehr als einmal geholfen. Er beschloss, den Stick Maik zu bringen - hatte er ja sowieso vorgehabt.

      Schnell packte er alles wieder ein und sah zu, schnell wieder nach unten zu kommen, sonst würde er sich wegen der Schuhe wieder was anhören müssen.

      „Du kommst von oben“, empfing ihn Lilly und er stöhnte. „Das Licht ist eben im Schlafzimmer ausgegangen und du hantierst mit deinen Schnürsenkeln. Und wer macht am Ende den Dreck weg?“

      Sie schleuderte ihre Schuhe in die Ecke, griff sich demonstrativ den Staubsauger, ging wütend nach oben und saugte.

      „Ich mach’s schon.“ Er ging ihr hinterher, aber sie wollte nicht und er trollte sich mit eingezogenem Kopf in die Küche.

      Vielleicht käme sie an den Tisch, sie hatte bestimmt noch nicht gegessen. Er begann, laut klappernd den Tisch zu decken: Teller, Besteck. Wo ist eigentlich Daniel?, fragte er sich. Wenn er jetzt Urlaub hätte, könnte er sich ja mehr um ihn kümmern.

      Mit dem Wochenendausflug brauchte er jetzt gar nicht zu kommen. Kann sein, dass Daniel bei Oliver ist, dann wird Maik die Jungs ins Boot holen. Mal sehen, wie das läuft.

      „Du hast wieder nur deinen Käse aus dem Kühlschrank genommen!“, hielt sie ihm vor.

      Er sprang zum Kühlschrank und holte den Camembert.

      Sie aßen schweigend.

      „Mein Chef hat mich in Urlaub geschickt, sechs Wochen.“

      „Schön für dich. Dann hast du endlich Zeit, die Schuhe gleich zu wechseln.“

      „Was hältst denn du als dein eigener Chef von Urlaub?“

      „Tse!“ Es klang schnippisch, aber er merkte, wie es in Resignation umschlug. „Ich muss noch ins Büro.“

      „Kann ich dir helfen?“

      „Kümmere dich um die Küche und der Flur hat es auch nötig. Hast du denn überhaupt Zeit?“

      „Ja, bin schon fast im Urlaub.“

      Er musste wohl schon geschlafen haben und hatte nicht mitbekommen, wann sie schließlich ins Bett kam.

      Er wachte vor dem Wecker auf und stellte ihn aus. Sie lag ihm zugewandt neben ihm. Gern hätte er ihr die Strähne aus der Stirn gestrichen.

      Er ging leise hinaus ins Bad. Dieses ungeliebte Rasieren dauerte immer eine Weile. Er erweckte die Kaffeemaschine zum Leben und deckte für zwei. Er hörte sie auf der Treppe, sie ging zur Maschine und startete ihren Kaffee, nahm ihn und setzte sich. Sie war noch im Schlafanzug.

      „Warum eigentlich?“

      „Was meinst du? Den Urlaub?“

      „Ja.“ Sie schlürfte ihren Kaffee.

      „Die haben gemerkt, dass ich seit der Woche Praxisausbau keinen mehr genommen habe, das sind fast drei Jahre. Der Chef hat mich faktisch rausgeschmissen.“

      „Der Dietrich? Sechs Wochen?“

      „Ja, sechs Wochen.“

      „Habt ihr grad nichts zu tun?“

      „Sah zumindest gestern Mittag noch so aus, als ich beim Chef war.“

      „Wie hört sich das denn an?“

      „Es gibt noch einen Rest Arbeit wegen eines Unglücksfalls. Den darf ich noch abschließen.“

      „Von zu Hause aus?“

      „Ja, das geht.“

      „Du hast gesagt, zumindest gestern Mittag bei Dietrich hätte es so ausgesehen, und heute?“

      „Ist eine Recherche dazugekommen.“

      „Eine Recherche?“

      „Ich bin heute noch im Präsidium und dann ist Wochenende.“

      „Du und Wochenende?“

      „Sei doch nicht gleich wieder so sarkastisch. Außerdem bist du auch oft in deiner Praxis oder im Büro.“

      Sie schlürfte schneller.

      „Also, ich muss los“, sagte er und ging. Im Flur drehte er sich noch mal um. Sie stand wieder an der Kaffeemaschine. Er berührte sie. „Wir reden heute Abend weiter. Urlaub, Zwangsurlaub, das ist neu.“

      Er wollte sie küssen, sie hielt ihm ihre Wange hin. Er nahm das Angebot an – immerhin –, und lief los.

      Er hatte die Hand in der Jackentasche und ständig den Beutel mit dem Stick zwischen den Fingern und musste ein ums andere Mal mit dem Kopf schütteln.

      Er nahm den Haupteingang. Sonst blickte er nach oben, auf die seltsamen Gewächse, die er nicht beim Namen nennen konnte. Nicht mehr lange, dann würden sie über ihm zusammenwachsen. Heute eilte er hindurch und selbst die Dame am Tresen sah ihm verwundert nach.

      Er stand vor Maiks abgeschlossener Tür. Er ist doch sonst immer schon da.

      Kates Tür stand auf.

      „Guten Morgen …“