Klaus Paschenda

terrane Manifestationen


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wie Ihnen meine Kollegin erklärt hat, haben wir auf dem Gebiet der Verschränkung innerhalb der Quantenelektrodynamik einige praktische Erfolge erzielt. Das möchten wir demonstrieren. Hier rechts steht einen Lichtwellensender, dessen Ausgangssignal, rotes Licht, wir mit Daten beaufschlagen werden. Da Sie Daten weder hören noch sehen können, nehmen wir einen einfachen Song, der nur bescheiden instrumentiert ist. Damit hört auch das ungeübte Ohr, worauf es ankommt. Sie werden den Titel nicht kennen, vermutlich wissen Sie nicht einmal, was eine Schallplatte ist. Alles historisch. Das Licht, bepackt mit dem Song, leiten wir hier in die Glasfaser. Insgesamt wird das Signal durch die fünf Trommeln dort drüben geleitet. Das sind 20 km Glasfaser. Im Vakuum legt das Licht in einer Sekunde knapp 300.000 Kilometer zurück, in einer Glasfaser wie hier nur etwa ein Drittel davon. Folglich braucht das Licht für die zwanzig Kilometer Glasfaser 0,2 Millisekunden, im Vakuum wäre die Zeit um den Faktor drei kleiner.

      Sie werden im ersten Versuch gleichzeitig das gesendete und das am Ende der Glasfaser empfangene Signal hören. Für die Techniker unter Ihnen, der Zähler hier zeigt die Zeitdifferenz zwischen beiden Signalen an. Wie sagten Sie, show.“

      Das Lied ‚Those were the days‘ erklang deutlich wahrnehmbar in doppelter Ausführung.

      Mehr oder weniger gelangweilt hörten die Eingeladenen zu, technisch war das nichts Neues. Wenn ein Signal übertragen wird, braucht es seine Zeit vom Sender zum Empfänger. Wusste doch jedes Kind. Und der Inhalt des Songs? Dafür war jetzt keine Zeit.

      Nur Sukal schossen für kurzen Moment Fragen durch den Kopf. Wie mag es sein, wenn ich einmal alt bin, meine alte Schule sehe, vor dem Haus meiner ersten Freundin stehe, meine damaligen Kneipen abgerissen sind, ich meine Freunde in der Welt verloren habe? Aus welcher Welt stammt dieses Lied?

      Er blieb sachlich. „Ok, soweit das, was Ihre Techniker können und verstehen, die klassische Nachrichtenübertragung. Jetzt zu meiner Linken. In Box eins speisen wir das Audiosignal ein.“

      Er steckte kurz ein Kabel um.

      „Von Box eins geht es wieder durch die Glasfaser zu Box zwei. Er verband den Ausgang der letzten Glasfasertrommel mit Box zwei. Und wir hören? Sind sie bereit?“

      Nicht einmal ein Klack, nur ein reines, einzelnes akustisches Erlebnis. Eine Differenz zwischen gesendetem und empfangenen Signal war nicht hörbar. Die Anzeige des Differenzzählers schwankte mit plus minus einem Digit16 um Null. Selbst dem Geschäftler war bekannt, dass die letzte Stelle einer digitalen Anzeige so schwanken durfte und dieses keine technische oder physikalische Aussage hatte, sondern konstruktionsbedingt war.

      Der Song endete, man schaute sich an, eine gewisse Melancholie hing im Raum. Sollten sie das Lied jetzt wahrgenommen haben?

      Sukal entfernte alle Verbindungen zur Glasfaser:

      „Eigentlich brauchen wir die Glasfaser nicht.“

      Er startet den Song neu. Irgendwie gefiel Sukal das Stück. Wie wir mal altern, dachte er. Was werden wir verlieren?

      Der Effekt wiederholte sich. Zwischen der Wiedergabe des Senders und der Wiedergabe des Empfängers war kein Unterschied zu hören. Eine lupenreine Datenübertragung, ohne Kabel. Das gesendete Signal gelangte ohne Verzögerung zum Empfänger. Die Begriffe Sender und Empfänger hatten sie durch die neue Bezeichnung Zero-Time-Transmitter ersetzt. Der fremde Physiker begann zu klatschen.

      „Ok, perfekte Show. Das ist der Deal. Big Business is coming, wow. These ARE the days!“ Der Geschäftler war begeistert.

      Geneviève holte tief Luft:

      „Durch Ihre Anwesenheit und diese Zustimmung haben Sie unter anderem Folgendes akzeptiert: Gegen eine wöchentliche Zahlung von Zehn Millionen Euro, zum Teil in Crypto, erhalten Sie das exklusive Recht der Nutzung dieser Technologie für die nächsten drei Jahre. Der Zeitraum startet mit der Anmeldung des Patentes durch uns. Zugleich beginnen Sie mit der regelmäßigen Zahlung. Wir garantieren, dass der Nachbau nicht schwieriger ist als der eines handelsüblichen Robots. Nach Ablauf der Dreijahresfrist erlischt das internationale Patent und die Technik wird offen gelegt. Damit wird sie für jedermann verfügbar. Sollten Sie mit einer Zahlung in Verzug geraten, werden wir innerhalb von vierundzwanzig Stunden jede gebaute Kopie außer Betrieb setzen und alles der Allgemeinheit zur Verfügung stellen. Dies ist aufgrund des von uns implementierten Verschränkungsprinzips jederzeit möglich. Zugleich beachten Sie unbedingt, dass diese Technik nie zu militärischen oder vergleichbaren Zwecken genutzt wird. Sollten wir das in den ersten drei Jahren oder auch später feststellen, werden wir die Technik ebenfalls außer Betrieb setzen. Wir verpflichten uns, Ihnen die Konstruktionsunterlagen innerhalb von vierzehn Tagen zur Verfügung zu stellen. Rechtsstreitigkeiten werden vor den entsprechenden internationalen Gerichtshöfen geklärt. Unabhängig von deren Ausgang bleiben Sie in der Zahlungsverpflichtung. Den Rest werden Ihnen unsere Anwälte mitteilen.“

      „Sie erpressen uns, aber Sie ersäufen uns nicht. Wir unterschreiben den Vorvertrag, aber lassen Sie mich, ich muss noch die Nachricht absetzen.“

      Lodo nickte. Nach weniger als sechzig Sekunden nickte Lodo ein zweites Mal. Die vereinbarte Anzahlung war eingetroffen. Der Vorvertrag ging in doppelter Ausfertigung herum, noch klassisch in Papierform.

      Die Welt wird eine andere werden - durch die Gruppe La Ferme.

      16 Als Digit bezeichnet man einen Ziffernschritt um 1 oder -1.

      6 Gesetze

      Daphne Konstantineopulos war in ihre Kanzlei zurückgekehrt, die genau genommen ein Institut für gegenwärtige und zukünftige Rechtsfragen war. Diese jungen Wilden aus dem Elsass, sie war zwar auch nicht älter, musste man genauer ins Visier nehmen. Die schienen mehr zu wissen und zu können. Das, was vorgeführt worden war, stellte vermutlich nur die Spitze eines Eisberges dar.

      Und dann die Sache mit dem Tisch. Sie hatte notiert:

      Der Tisch existiert - unbestritten, Rechtslage einfacher Realismus. Wie der Tisch existiert - sehr umstritten, Rechtslage völlig unklar !?

      Sie hatte die angegebene Quelle gelesen. Das Büchlein von Russell stellte sich leider eher als eine interessante Sammlung von Fragen heraus. Die Zeichenkombination ‚!?‘ blieb. Es war ihre Art zu notieren, dass ein absolutes To-Do vorlag. Wissenslücken ertrug sie nicht. Das war die Basis für ihren beruflichen Erfolg.

      Irgendwie hörte es sich nach Auflösung der klassischen Physik an. Eine Masse kann man anschauen, wiegen, vermessen, zerlegen oder was auch immer, aber im Grunde nicht erkennen. Was steckte dahinter? Physik war prinzipiell simpel. Es gab Gesetze, die konnten nicht gebrochen werden und danach richtete sich die Wirklichkeit. Besser formuliert, die Wirklichkeit wurde durch die vom Menschen formulierten Gesetze beschrieben. Und wenn dann ein Gesetz in irgendeinem Experiment oder einer Beobachtung die Wirklichkeit nicht korrekt darstellte, also gebrochen wurde, begann großes und langes Lamentieren, Forschen und Diskutieren mit dem Ergebnis, dass das alte Gesetz abgeschafft und ein neues eingeführt wurde.

      Das war eine echt alternative Form zur Juristerei. Man stelle sich das einmal im täglichen Leben vor: Die Gesetze werden an die Wirklichkeit angepasst! Beispielsweise, es bricht jemand ein. Da das ein Gesetzesbruch ist, wird in Folge das Gesetz geändert. In Zukunft sind Einbrüche erlaubt. Was wer auch immer macht, wird Gesetz. In Ansätzen hat es das in der Geschichte der Menschheit bereits gegeben: Vom Wilden Westen bis zur Diktatur. Die letzte, umfassende, erschreckende Umsetzung dieses Verfahrens hatte vor einigen Jahren stattgefunden. In vielen Staaten war der Einbruch von Überwachungsdiensten in Datenverbindungen und Datenbestände legalisiert worden, wie es nett hieß. Und das nur, um den klassischen, gesetzlichen Staat zu retten. ‚Welche Ironie?‘ ging es ihr durch den Kopf.

      ‚Ich bin das Gesetz‘ war der Leitspruch eines jeden Diktators. Aber, und dieses aber gab zu denken. Auch ein Diktator hatte für seine Untertanen ein gesellschaftliches Gesetzeswesen zu erzwingen. Nur so konnte er regieren. Sie erinnerte sich an Montesquieu:

      Die politische Freiheit des Bürgers ist jene Ruhe des Gemüts, die aus dem Vertrauen erwächst, das ein jeder zu seiner Sicherheit hat. Damit man diese Freiheit hat, muß die Regierung so eingerichtet sein, daß ein