Klaus Paschenda

terrane Manifestationen


Скачать книгу

obrigkeitlichen Körperschaft die gesetzgebende Gewalt mit der vollziehenden vereinigt ist, gibt es keine Freiheit; denn es steht zu befürchten, daß derselbe Monarch oder derselbe Senat tyrannische Gesetze macht, um sie tyrannisch zu vollziehen.

      Es gibt ferner keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und vollziehenden getrennt ist. Ist sie mit der gesetzgebenden Gewalt verbunden, so wäre die Macht über Leben und Freiheit der Bürger willkürlich, weil der Richter Gesetzgeber wäre. Wäre sie mit der vollziehenden Gewalt verknüpft, so würde der Richter die Macht eines Unterdrückers haben.

      Alles wäre verloren, wenn derselbe Mensch oder die gleiche Körperschaft der Großen, des Adels oder des Volkes die drei Gewalten ausüben würden: die Macht, Gesetze zu geben, die öffentlichen Beschlüsse zu vollstrecken und die Verbrechen oder die Streitsachen der Einzelnen zu richten.17

      Leider setzten sich die Ansätze zu langsam auf der Erde durch. Die Freiheit des Einzelnen, eingeschränkt durch die notwendigen Grenzen eines Lebens in einer Gruppe, war nur gesichert, wenn eine unabhängige Instanz, die sogenannte richterliche Gewalt, darüber wachte. Gesetze und ihre Umsetzungen durften nicht zu unangemessenen Einschränkungen der Freiheit genutzt werden. Nur so war die individuelle Freiheit, die sie kannte, möglich. Leider gab es dennoch zu viele Freiheiten in der Gesellschaft.

      In den klassischen Naturwissenschaften gab es keine Freiheit. Naturgesetze tyrannisierten Energie und Materie. In der Quantengravitation18 war noch etwas anderes. Da gab es Ungeheuer wie Schrödingers Katze.19 Was Daphne überhaupt nicht verstand: Wie konnte es einen freien Willen geben, wo doch die Tyrannei der Naturgesetze allgegenwärtig war.

      Damit war sie wieder bei einem ihrer Lieblingsthemen. Was gab es für Typen von Gesetzen? In ihrem Büro hing dazu eine Grafik. Diese zeigte den Versuch, Gesetzestypen mit Komplexität in Beziehung zu bringen.

      Am Anfang standen die Naturgesetze wie zum Beispiel: Alle Äpfel fallen nach unten, gestern, heute, morgen und in jeder Zukunft, ja bis in alle Ewigkeit. Sie hatte schon gehört, dass diese Naturgesetze vielleicht doch nicht konstant seien, aber das war vom Alltagsleben weit entfernt. Die Gesetze der Evolution, auch Naturgesetze, hatte sie extra abgesetzt, da diese sich auf den lebenden Zustand von Materie bezogen. Die Entwicklung hatte zum Menschen geführt, womit die Gesetze der Erkennens und Denkens auftauchten. Obwohl diese letztlich aus den physikalischen Gesetzen heraus entstanden waren, gab es umgekehrt kein Gesetz, das besagte, was ein Tisch ist. Es war nur eine Übereinkunft: Es gibt kein Gesetz, das besagt, was ein Tisch ist oder was Wirklichkeit ist.

      Wurde eine Gruppe von Menschen betrachtet, konnte diese sich darauf verständigen, was ein Tisch sei, was unter Wirklichkeit zu verstehen sei. Mehr war nicht möglich. Für eine sinnvolle Kommunikation genügte das. Eine solche Verständigung war kein Gesetz sondern eine Übereinkunft. Erst wenn es um die Handlungen innerhalb der Gemeinschaft ging, tauchte der Begriff Gesetz auf.

      Neue Gesetzestypen wurden mit zunehmender Komplexität von Materie, Energie, Information beobachtbar. Zwar galten die vorab aufgetretenen Gesetze weiterhin, doch je enger oder komplexer die Gültigkeitsbereiche wurden, desto weniger hart waren die dazugehörigen Gesetze. Vom Menschen für Menschen gemachte Gesetze waren ziemlich weich.

      Eine denkbare Erweiterung dieses Schema hatte Daphne oft angedacht. Links oben bot sich an, allgemein von Intelligenzen zu sprechen. Vermutlich wären die Gesetze der Intelligenzen noch weicher als die der menschlichen Gesellschaften. Stände nach weiteren Schritten am Ende der Kette Gott, würde für diesen kein Gesetz mehr gelten. Nach klassischer Lehrmeinung war Gott allmächtig. Er wäre das Unendlich der vertikalen Achse.

      Daphne stand nachdenklich vor ihrer Grafik: ‚Mein Kopf ist zu klein. Ist das ein sinnvoller Ansatz? Und der Tisch? Wie existierte der Tisch? Da nutzt mir auch der eingezeichnete Pfeil nichts.‘

      Das Problem wollte sich nicht lösen lassen.

      ‚Wo ist hier das Unbekannte, die neue Theorie? Was wussten diese jungen Wilden, was der Rest der Physiker dieser Welt nicht wusste? Welche neuen Gesetze oder Lücken in alten Gesetzen waren gefunden worden?‘

      Im Grunde kam sie nicht weiter. Ihre Anfrage bei den hausinternen Experten zur Vorbereitung der Verhandlungen hatte seinerzeit keinerlei Hinweise ergeben. Wenn ihr nichts einfiel, blieb noch der Versuch von Beschattung und Spionage, was sie grundsätzlich ablehnte.

      ‚Aber einfach direkt fragen, was ein Tisch ist, war einen Versuch wert.‘

      17 Montesquieu, Charles de Secondat: Vom Geist der Gesetze, hrsg. von Forsthoff, Ernst: Tübingen, 1951, 1. Bd. S. 212-215 gekürzt

      18 Die sogenannte Quantengravitation ist eine physikalische Theorie, in der die allgemeine Relativitätstheorie mit der Quantenphysik verbunden wird. Damit wären alle Naturkräfte mit einer Theorie dargestellt. Bisher existiert sie nur in Ansätzen.

      19 Schrödingers Katze bezeichnet ein Gedankenexperiment, welches sich auf Elementarteilchen bezieht. Erst durch Nachmessen wird feststellbar, in welchem Zustand das Teilchen ist. Vorher kann es formal gleichzeitig mehrere Zustände haben. Übertragen auf die Katze könnte diese gleichzeitig tot und lebendig sein, solange niemand hinschaut.

      7 IOP

      Seit der Demonstration im Schwarzwald waren einige Monate ins Land gezogen. So gab es jetzt ein IOP. Um nach außen unauffällig zu bleiben, hatte die Gruppe dieses Institut gegründet. Firmiert wurde mit IOP, Division Laser. Bewusst hatten sie nirgendwo hinterlegt, wofür IOP stand. Intern war es IOP = Institute Of everything starting with P: Power, Photons, Physics, Psychology, Problems, Philosophy. Der Hinweis auf Laser war sinnvoll, da sich das Patent des Zero-Time-Transmitters in die Anwendung von Lasertechnik einordnen ließ. Nach außen schien das IOP damit unauffällig. Ein Briefkastenbüro in Toronto diente als primäre Anlaufstelle für den Geschäftskram. Für die Gruppe waren das die in einer Geschäftswelt notwendigen Adminstrivialiäten.

      Als eigentlichen Sitz des Instituts hatten sie das günstig erworbene, ehemalige Atomkraftwerk in Fessenheim gewählt. Die Reaktoren waren längst rückgebaut. In den peripheren Gebäuden, insbesondere in der großen Halle, die seinerzeit zur Entsorgung diente, war genügend Platz, um umfangreiche Technik unterzubringen. Besonders wichtig war ihnen die energetische Anbindung an das europäische Stromnetz. Dafür war ein ehemaliges Kraftwerk eine optimale Voraussetzung.

      Ebenfalls übernommen hatten sie den Wachdienst. Für den war es nichts Ungewöhnliches, Technik zu schützen, deren Funktion nicht bekannt war. Werkstätten, Roboterstützpunkte, solide Informationstechnik und ein paar hoch abgeschirmte Experimentalräume waren eingebaut worden. Meist agierten dort nur ferngesteuerte Robots.

      La Ferme selbst hatte kein Firmenschild erhalten. Dieses alte Gehöft sollte ihre Hauptarbeitsstätte und zugleich ihre Zuflucht bleiben. Dort spielte sich das Leben ab.

      Gerade brüllte Pierre mit einer Stimme, die jedem Brigade-General zur Ehre gereicht hätte: „Kommt mal alle zu mir.“

      Marie, Geniè, Maxim und Lodo tauchten aus verschiedenen-Zimmern auf. Wie alle anderen Arbeitsräume auch war Pierres Kommandozentrum an Wänden und Decke mit Screens gepflastert. In einer Ecke stapelten sich die Verpackungen von Geräten sowie weiterem Zubehör. Zur Steuerung der Robots nutzte Pierre gerne Handschuhe. Da hatte man was, zwar nicht direkt, aber doch fühlbar, an der Hand. Nur ein altbraunes Bücherregal aus dem vorletzten Jahrhundert verwies auf vergangene Zeiten.

      Pierre saß in seinem geliebten Eames Lounge Chair.20 Seine Besucher ließen sich auf dem ausladenden Unterteil des Bücherregals nieder.

      „Also“, begann Pierre, „wir haben vor Kurzem die alten Leitungen vom AKW Fessenheim restaurieren lassen und nach Voranmeldung dürfen wir das Netz der EDF21 belasten bis die Leitungen glühen. Technisch ausgedrückt können wir maximal 2 GW abrufen. Das entspricht der Versorgung von circa 35.000 Haushalten. Und jetzt schaut euch unseren MF_02 an, also die zweite Variante eines Manifestors. Derzeit fließen unter Berücksichtigung