Christine Schick

Die reiche Zukunft hat ein Double


Скачать книгу

       Das Buch

      Frankfurt 2040: Unbemannte Sanitätsdrohnen, die Hilfe vorgaukeln, Kommunikatoren, die ihre Besitzer fest im Griff haben, und ein omnipotenter Überwachungsstaat. Hacker Malik Cerny versucht, so wenig wie möglich mit den Machern seiner Gegenwart in Berührung zu kommen. Doch als er zusehen muss, wie ein junger Mann fast stirbt, läuft er gegen den Technikapparat Sturm – und landet in der Höhle des Löwen. Bei der Strafarbeit in der Edelkantine eines der größten IT-Unternehmen stößt er auf ein Zukunftsszenario, das selbst seine kühnsten Horrorvorstellungen übertrifft. Er setzt alles daran, damit es weiterhin ein Leben jenseits von gnadenloser Selbstkontrolle, Anpassung und Ausmusterung geben kann.

       Die Autorin

      Christine Schick hat während ihres Psychologiestudiums in Berlin kurz nach dem Mauerfall ihre ersten Schritte im kreativen Schreiben gemacht. Die Kreuzung beider Leidenschaften ergab ein Aufbaustudium der Medienwissenschaft und -praxis in Tübingen. Heute arbeitet sie als Redakteurin für eine Lokalzeitung und frönt auch privat weiter ihrer Schreiblust.

      Christine Schick

      Die reiche Zukunft hat ein Double

      Maliks Kampf gegen die schöne neue Überwachungswelt

      spiritbooks

      Das Werk, einschließlich aller seiner Teile, ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung ist ohne Zustimmung des Verlages und des Autors unzulässig. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen.

      © 2020 spiritbooks / 70771 Echterdingen

      Verlag: spiritbooks, www.spiritbooks.de

      Autor: Christine Schick

      Covergestaltung: eichfelder artworks, www.eichfelder.de

      Bildquellen: Adobe Stock/Kevin Carden (Datei-Nummer: 236214062), Istockphoto/gonin (Stock-Fotografie-ID: 985091648), Istockphoto/SeanPavone-Photo (Stock-Fotografie-ID: 186367581), www.adobe.stock.com, www.istockphoto.com

      Korrektorat: Carina Bein, Sonja Falk

      Druck und Vertrieb: tredition GmbH, Hamburg

      ISBN: 978-3-946435-72-3

      ISBN: 978-3-946435-73-0 (E-Book)

      1. Auflage

      Handlungen und Personen dieses Romans sind frei erfunden. Ähnlichkeiten mit realen Handlungen oder Personen sind rein zufällig.

      1

      Wer hat denn hier Leute ausgekippt, schoss es Malik durch den Kopf. Normalerweise war niemand in seiner Straße anzutreffen, wenn er am Abend von der Schicht im Freizeitpark kam. Deshalb wohnte er ja in dieser Gegend. Er sah, wie sein Nachbar in Richtung einer Gruppe Jugendlicher schimpfte. Malik glaubte sich zu erinnern, dass sie das Haus gegenüber für ihre Treffen nutzte. Sechs Leute standen draußen vor dem Eingang.

      „Verschwindet endlich. Wir wollen hier keine Elektro-Junkies!“, schrie der Alte herüber. „Miete zahlt ihr auch nicht.“ Sein Bademantel wirkte steif und fleckig, so als sei er seit Jahren nicht gewaschen worden.

      Die Reaktion der Jugendlichen war abzusehen, dachte Malik, und interessierte ihn wenig. Es lief darauf hinaus, dass sich zwei unzufriedene Lager ineinander verkeilten. Er wollte nach Hause, die Tür hinter sich zumachen. Lesen, schlafen.

      Der Kleinste in der Gruppe verdrehte wild die Augen, hatte Probleme, gerade zu stehen, hielt sich an seinem Kumpel fest. Ein dünnes, weißes Kabel hing ihm aus der Nase.

      „Machen Sie sich doch nichts vor, alter Mann. Sie gehören auch zu den Abgehängten.“ Er spuckte die Worte förmlich über die Straße. „Wollen Sie mal nippen am neuronalen Cocktail? Aber ich befürchte, die Daten zu Ihrer Geschichte fallen zu spärlich aus. Partnerin, Kinder, ein Haustier? Nein? Deshalb sind Sie auch so mies drauf, hab ich recht?“

      Der Alte machte eine resignierte Handbewegung, sah Malik genervt an, murmelte „Noch so ein Verrückter“, drehte sich um und verschwand in der Tür seiner Doppelhaushälfte. Malik wollte es ihm gleichtun und zog den Schlüssel aus der Tasche.

      Gelächter drang zu ihm herüber. „Schaut mal, ein Höhlenmensch, der ist so arm, dass er sich noch nicht mal einen Highcontroller für sein Schloss leisten kann“, meinte der schlaksige Blonde, der seinen Kumpel immer noch stützte. Der lachte jetzt irre. Plötzlich fing der Jugendliche an, zu zucken, und kniff die Augen zu, als sei es ein Akt der Konzentration, den heranrollenden epileptischen Anfall abzuwehren.

      „Scheiße, nicht schon wieder, Dragusch“, sagte der Blonde. Es klang genervt. „Du hast die Zeit wieder überschritten, das ist nicht in Ordnung und wir werden das nicht für dich ausbaden.“

      Malik schloss die Augen und schüttelte den Kopf. Als er sie wieder öffnete, löste sich die Gruppe von dem Jungen, der sich an einem rostigen Geländer festhielt, und ging die Straße in Richtung Unterdruckbahnstation hinunter.

      „Das ist nicht euer Ernst. Die Negativpunkte im Sozialscore holt ihr nie wieder auf, wenn ihr euren Kumpel jetzt einfach hängen lasst“, rief Malik laut.

      Keine Reaktion, die Karawane zog weiter. Der Jugendliche kauerte zuckend am Geländer, ließ los, rutschte die Stufen herunter, dann überschlug er sich.

      „Scheiße, scheiße, scheiße“, fluchte Malik und rannte los.

      Der Junge lag jetzt auf dem Gehweg gekrümmt und hielt den Takt. Sein Gesicht war blutverschmiert, vermutlich hatte er sich auf die Zunge oder Lippe gebissen. Malik kniete sich zu ihm herunter, hielt den Arm zur Seite und drehte das Gesicht etwas zu sich. Er holte tief Luft, griff das Kabel und zog es mit einem Ruck heraus. Der Miniaturchip war ebenfalls blutverschmiert. Die Zuckungen wurden stärker und Malik hatte einige Mühe, dem Jungen das dazugehörige Gerät aus der Tasche zu ziehen, schaffte es dann aber doch. Auf dem 3-D-Wachsglas-Display stand: Die unendliche Reise ohne mich. Level 15.

      Malik schnaubte und warf das Ding in den Vorgarten. Dann setzte er sich auf den Boden, legte den Kopf des Jungen so sanft wie möglich ab und suchte nach seinem Highcontroller. Dabei bemerkte er, wie feucht sich seine Hand anfühlte. Malik schaute nach. Sein Junkie hatte eine Platzwunde am Hinterkopf.

      Von Weitem sah er eine Frau auf die Straße einbiegen. Malik winkte. „Hey, können Sie die Rettung rufen?“, rief er ihr entgegen, woraufhin die Angesprochene sofort kehrtmachte. „Himmel, was für ein krimineller Tag“, fluchte er vor sich hin. Endlich fand er sein Gerät und wählte zittrig die Nummer. Sein Körper stellte ihm Weglauf-Hormone zur Verfügung. Komm, reiß dich zusammen, sagte er sich, der Typ braucht Hilfe.

      „Hey, du hast ja doch einen. Wieso denn dann der Schlüssel?“

      Malik zuckte zusammen. Die Augen des Jugendlichen blickten ihn nicht unfreundlich an. „Du blutest, hattest einen epileptischen Anfall, ich hole die Rettung“, er hielt inne. „Wär nicht schlecht, wenn du in eine Klinik kommst. Entzug“, sagte Malik. Er sprach total abgehackt. Es waren die Aufregung und die ungewohnte Situation, abends überhaupt noch groß reden zu müssen. Normalerweise war er einfach nur für sich.

      „Ich bin noch nie über einen Drohnenkontakt hinausgekommen, ich glaube nicht, dass sie mich nehmen“, sagte der Junge. Es klang verdammt resigniert.

      „Werden wir ja sehen“, murmelte Malik und gab der Rettungszentrale durch, dass ein Verletzter im Nordend einen Wagen und eine Behandlung in einem Krankenhaus benötigte.

      Der Jugendliche versuchte, hochzukommen, schob sich anderthalb Meter nach links, wo er sich an eine Steinmauer anlehnen konnte. Dann tastete er seine Taschen ab. Er sah Malik fragend an. „Wo ist mein Neurodreamer?“

      „Auf dem Kompost“, sagte Malik.

      „Kompost?“ Sein Gegenüber blinzelte, fuhr sich mit der Hand in den Nacken und stöhnte leise. „Könnte schlecht sein, wenn sie ihn finden. Kannst du ihn in der Kanalisation versenken?“

      Malik nickte, stand auf, ging die Treppen hoch und suchte auf dem Rasen nach dem Gerät. Unter einer alten Buche entdeckte er es, lief hinters Haus und schaute sich nach