Christine Schick

Die reiche Zukunft hat ein Double


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und das Zeug nicht wieder auffindbar machen. Ihn selbst hatte es noch nie gereizt, sich mit einem Neurodreamer die eigene Gedankenwelt aufzumischen und mit dem Neokortex Karussell zu fahren. Nicht, weil es illegal war und unter Strafe stand, sondern weil er besonders dort für sich bleiben wollte und keinen Wert darauf legte, seine grauen Zellen zu beschleunigen und in einem Multimediacocktail zu ertränken.

      Als Malik wieder zurück am Haus war und auf seinen Junkie zusteuerte, nahm er das leise Surren der Drohnen wahr. Sein Blick verdüsterte sich. Er kam näher und registrierte die zwei unbemannten Sani-Flieger etwa einen halben Meter über dem Boden.

      „Dragusch Winter“, sagte der Junge.

      „Wie haben Sie sich die Verletzungen zugezogen?“, tönte eine Stimme aus der Drohne. Sie zog nach oben und aktivierte ihr Licht-Kommunikationssystem. Im hellgrauen Kegel kam Draguschs blutverschmiertes Gesicht gut zur Geltung.

      „Hören Sie, Dragusch hatte einen epileptischen Anfall und ist gestürzt. Er muss in eine Klinik“, schaltete sich Malik ein.

      Dragusch war auf seine Namensnennung hin zusammengezuckt, jetzt starrte er Malik an, was ihm unangenehm war. Es löste das Gefühl in ihm aus, als hätte er einen Kümmerervertrag unterschrieben. Er wollte ihn auch unterstützen, aber viel konnte er weiß Gott nicht für ihn tun.

      Die andere Drohne stieg auf Augenhöhe. „Wie ist Ihr Name?“

      Malik ignorierte die Frage. „Verbinden Sie mich mit dem nächstgelegenen Krankenhaus. Ich will mit jemand von der Notaufnahme sprechen.“

      „Wie ist Ihr Name?“

      Malik zog seinen Kommunikator und wählte erneut die Nummer der Rettung. Die Verbindung kam nicht zustande, dann verstand er. Die Drohnen verhinderten den Verbindungsaufbau seines Highcontrollers.

      „Herr Cerny, lassen Sie uns bitte zuerst die Anamnese machen, dann schauen wir weiter.“ Malik wunderte es nicht, dass die automatisierten Rettungsflieger ihn per Gesichtserkennung nun datentechnisch auf dem Schirm hatten. Aber es regte ihn maßlos auf, dass sie überhaupt Energie damit verschwendeten, statt zu helfen.

      „Darf ich Sie darauf aufmerksam machen, dass dieser Patient eine Platzwunde am Kopf hat, die stark blutet“, sagte Malik mit unterdrückter Wut. Er schloss die Augen, um den Impuls unter Kontrolle zu bekommen, nach dem Ding zu schlagen.

      „Herr Winter, sind Sie in der Lage, aufzustehen und zu gehen?“

      „Ich glaube nicht“, sagte Dragusch, „mir ist ziemlich schlecht.“ Seine Stimme war leiser geworden.

      Die Drohne flog nah an ihn heran, das laute Surren bedeutete, dass sie Videosequenzen in hochauflösenden Bildern machte.

      „Haben Sie sich mit elektrischen Impulsen neuronal stimuliert?“

      „Nein“, sagte Dragusch. Er wirkte jetzt müde und abwesend.

      „Haben Sie Familienangehörige oder Verwandte, die Sie hier abholen können?“

      „Verstehen Sie das unter einer Anamnese?“, schrie Malik. Genau genommen war das irrational. Er wusste, dass im Inneren der Plastikgehäuse und Elektronik nur Softwareprogramme saßen. Und damit keine teure medizinische Betreuung eingefordert werden konnte, hatten die terroristischen Drohnen seine Verbindung nach draußen lahmgelegt. Alles lief auf die Simulation heraus, sich zu kümmern, aber das Gegenteil war der Fall. Hochflexible, intelligente Abwimmeltechnik könnte man auch sagen. Malik kannte sich auf dem Gebiet aus. Er sah auf seinen Highcontroller. Immer noch keine Freigabe. Wenn er nach Hause rannte und es vor den Drohnen schaffte, die Tür zuzuknallen, hatte er vielleicht eine Chance. Aber er wollte Dragusch jetzt nicht allein lassen.

      Im nächsten Moment würgte der Jugendliche, drehte sich zur Seite und übergab sich. Die Drohne nahm Abstand.

      Malik ballte die Faust, mit zittriger Stimme sagte er: „Wenn Sie nicht sofort Hilfe holen, sehe ich mich gezwungen, die Sache zu übernehmen.“

      „Bitte beruhigen Sie sich. Wir sind verpflichtet, abzuwägen. Wenn Sie sich aufregen, verschlimmern Sie die Lage möglicherweise.“

      „Hey, Malik, lass mal, schon gut.“ Dragusch hustete, dann wischte er sich über den Mund.

      „Nichts ist gut“, sagte Malik, schaute ein letztes Mal auf sein Gerät, dann rief er: „Codebefehl 1002, abgesegnet von 0863, Autorisierung erteilt, keine Rückfrage nötig.“

      Die beiden Drohnen bewegten sich von ihnen weg, zogen langsam auseinander, verharrten in einem Abstand von etwa zehn Metern in der Luft. Plötzlich beschleunigten sie, flogen direkt aufeinander zu, kollidierten und fielen krachend zu Boden.

      Malik tippte sich durchs Menü, wartete, hörte, wie sein Blut in den Ohren pochte.

      „Malik, was gibt’s?“

      „Charlie, kannst du mir bitte von unserem Standort eine Verbindung zur der Kliniknotaufnahme machen, die am nächsten liegt?“

      „Alles in Ordnung bei dir?“

      „Ja, ich brauche Hilfe für einen Bekannten.“

      „Alles klar, ich geh übers Friendsnet. Pass auf dich auf.“

      „Danke.“

      „Hallo, Rettungsleitstelle 14.“

      „Das ist ein Notfall, ich habe hier jemand, der kurz vor einem zweiten epileptischen Anfall steht, sich beim Sturz schwer verletzt hat. Wir brauchen einen Wagen, sofort!“

      Als Malik das Gespräch beendet hatte, registrierte er, wie Dragusch ihn anstarrte. Immerhin, er hatte aufgehört, zu spucken, und im Moment zuckte er auch nicht.

      „Sie sind bestimmt gleich da“, meinte Malik.

      „Was bist du? Ein Geheimagent? Ein Außerirdischer?“, fragte Dragusch. Er schien sich noch nicht 100-prozentig sicher, wie unheimlich ihm die Sache war. „Ich bin nur dein fucking Nachbar“, sagte Malik.

      „Da sind die Sequenzen meines Neurodreamers ja Pipifax dagegen. Dich hätte ich mal in meine Synapsen einspielen sollen!“ Draguschs Lächeln erfasste seine Augen, dann lachte er leise.

      Malik fühlte sich geschmeichelt, auch er lächelte.

      Dann sah er den Krankenwagen kommen, gefolgt von einem Polizeiauto. Malik ahnte, was das bedeutete. Er war trotzdem froh, dass er die Drohnen vom Himmel geholt hatte.

      2

      „Ich wollte doch den Canyonritt, habe ich Ihnen gerade gesagt, Herr Gott noch mal“, tönte eine maulige Frauenstimme durch den Lautsprecher.

      Malik schaute auf einen der Bildschirme, dann nach vorne über die Glasscheibe in den Raum, in dem die Dame im Cyberanzug in der Elektro-Lore saß. Wie ein verärgertes Tier blickt sie mich an, dachte er. Leichthelm, Brille und sensorenbestückte, dicke Handschuhe ließen sie wegen ihrer zierlichen Statur wie ein zu groß geratenes Insekt wirken.

      Er gönnte ihr die alte, schwere Ausrüstung des Freizeitparks, hob die Hand und rief: „Bitte entschuldigen Sie, wird sofort korrigiert.“ Malik klickte aufs Cowboysymbol und der Wagen bewegte sich auf seiner Bahn langsam weiter in die Halle hinein.

      „Was hattest du für die charmante Besucherin vorgesehen?“, fragte Dario. Malik drehte sich zu seinem Bruder um und stand auf.

      Einen Waldbrandeinsatz in Spanien oder den 11. September als Feuerwehrfrau, hätte er fast gesagt, riss sich aber zusammen. Es war ihm durchaus bewusst, dass das eher sein Thema war. Er hoffte, dass sein Termin vor Gericht nicht zum Inferno wurde.

      „Aufgrund ihrer ausgesuchten Höflichkeit vielleicht eine Runde als Servicekraft in einem Schnellimbissrestaurant, sagen wir in Zentralasien um das Jahr 2000 herum“, meinte Malik.

      Dario lachte, ließ sich auf den Sitz vor den Monitoren fallen und schaltete sich durch die Stationen. „Wie war die Auslastung am Vormittag?“

      „Die Cyberreisen und Sportkämpfe waren gut besucht, interaktive Dokus und Gastronomie kannst