Christine Schick

Die reiche Zukunft hat ein Double


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nebenbei fallen zu lassen, dass der gerade mit einem S 100 sprach, dachte Malik. Er konnte ja nicht ahnen, dass das schneller in Erfüllung gehen würde, als ihm lieb war.

      „Bitte, geben Sie mir Ihren Highcontroller, damit wir ihn kurz überprüfen können“, sagte die Empfangsdame.

      „Ich habe zurzeit kein Gerät“, sagte Malik.

      „Was? Das ist ein Scherz, oder?“ Die Frau wirkte irritiert und genervt. „Jeder hat einen Highcontroller.“

      Malik zuckte mit den Schultern. „Brauche ich ihn denn zum Arbeiten?“

      „Sie müssen erreichbar sein“, meinte die Frau knapp.

      Und überwachbar, fügte Malik in Gedanken hinzu. Er hoffte trotzdem, dass sie nicht auf die Idee kam, ihn wegzuschicken. Auf keinen Fall wollte er die Geduld des Richters strapazieren, im Notfall anbieten, morgen mit einem geliehenen Kommunikator wiederzukommen.

      „Gib ihm halt eines der Firmengeräte“, sagte ein Mann, bei dem es sich wohl um Terry handelte und der nun lässig am Tresen lehnte.

      „Einem S 100?“

      „Du meine Güte, dann soll er dir oder den Kollegen das Ding abends eben wiedergeben, wenn er das Gelände verlässt“, meinte Terry.

      Darauf hatte Malik spekuliert und triumphierte innerlich, als er das Gerät ausgehändigt bekam, nachdem er auf gefühlt zehn Bildschirmen unterschrieben hatte. Aus den Voreinstellungen ließ sich einiges ableiten und er war gleichzeitig vor einem Zugriff der Firma auf seine privaten Daten geschützt.

      „Können Sie damit umgehen?“, fragte die Empfangsfrau.

      „Wenn ich Probleme habe, könnte ich ja die Kollegen fragen“, entgegnete Malik und dachte im selben Moment, dass er es nicht übertreiben sollte.

      „Das sind nicht Ihre Kollegen“, sagte sein Gegenüber streng. „Vergessen Sie nicht, weshalb Sie hier sind.“

      Terry rollte mit den Augen, winkte ihm und führte ihn in einen Raum, in dem drei Männer und eine Frau standen. Um den Arm der Dame wand sich ein Schlangen-Tattoo. Dadurch, dass sie wild gestikulierte, sah es so aus, als wolle sie das Tier auf ihr Gegenüber hetzen. Sie und ein leger gekleideter Mittfünfziger mit Basecap und Dreitagebart drehten sich zu ihm um. „Hier habt ihr den Letzten für heute“, sagte Terry und machte kehrt.

      „Tagchen, mein Name ist Bartholomäus Krüger, kurz Bart, das ist meine Kollegin Sindy Oven. Bitte stellen Sie sich doch kurz vor und sagen uns, welche Qualifikation Sie mitbringen“, sagte der Typ höflich.

      „Ich heiße Malik Cerny und habe gerade gelernt, dass ich ein S 100 bin.“

      „Tsss, bitte“, murmelte Sindy Oven und machte eine Geste in Richtung ihres Kollegen, die wohl bedeutete, dass der Malik haben konnte.

      Bartholomäus Krüger grinste. „Wie sieht es mit einer Ausbildung aus?“

      „Ich habe Soziologie studiert, aber ich dachte ich werde hier in der Kantine eingesetzt“, sagte Malik. Dass er auch Informatiker war, musste er ja nicht gleich jedem auf die Nase binden.

      Sindy Oven drehte sich überrascht zu ihm, doch Bart hob die Hand. „Selber schuld, wenn du so vorschnell reagierst.“

      „Als ob du nicht wüsstest, dass uns auch mal ein Höherqualifizierter guttun würde“, sagte die Schlangenfrau. „Seit du die Managerküche leitest, bist du genauso arrogant wie die. Eigentlich habe ich dieselbe Weisungsbefugnis wie du. Was, wenn ich einfach darauf bestehe, den Jungen zu bekommen?“

      Malik kam sich vor wie ein Sklave auf einem orientalischen Basar, bei dem der Studienabschluss von Muskeln und Zähnen als Kriterium abgelöst worden war. „Kann ich kurz auf die Toilette?“, fragte er.

      „Klar, gleich hier um die Ecke, zweite Tür rechts“, sagte Bart.

      Malik machte seinen Gang, schaute sich um und registrierte hinter der Tür einen Bereich, der im toten Winkel der Kameras lag. Er nahm seinen Highcontroller, öffnete die Klappe für den Akku, griff in seine Jacke und setzte ein Miniaturteil hinter den Herzverteiler. Mal sehen, was über den Tag abgerufen, weitergegeben und gespeichert wurde. Später würde er sein Analysetool wieder herausnehmen und zu Hause auswerten.

      Als er zurück in den Raum kam, waren alle außer Bart verschwunden. Malik nickte ihm freundlich zu. Er würde sich jetzt nicht mehr aufregen oder provozieren lassen, sondern in Ruhe seine kleine Studie betreiben. Dabei war es vor allem wichtig, nicht groß aufzufallen. Für einen S 100 sollte das aber kein Riesenproblem sein, sagte er sich. Als Erstes bekam er den Küchenbereich zu sehen, der riesig war. Es gab mehrere Anlieferungszonen, in denen frisches Obst und Gemüse, Fisch, Fleisch und Tofu in rauen Mengen eintrafen und von dort in begehbare Kühl- und Tiefkühlschränke wanderten. Dies war im Großen und Ganzen automatisiert, ebenso wie die Arbeitsinseln der Warmküche, auf denen gegart, gebraten und gedünstet wurde. „Um krebserregende Bestandteile zu minimieren. Das ist der Bereich, dem ich am meisten nachweine“, sagte Bart. „Es gibt aber ein paar wenige Ausnahmen, die zeig ich Ihnen gleich.“

      Malik hatte das Gefühl, in einer Hotelanlage zu sein. Jetzt öffnete sich ein riesiger Raum. An den Seiten in mehreren Reihen befanden sich modern und schlicht gehaltene Tische und Sitzgruppen. Die Mitte durchzog ein großes Buffet, immer wieder durchbrochen von schmalen Kochzeilen. „Das ist einer Ihrer Arbeitsplätze“, sagte Bart.

      Malik schaute seinen neuen Chef überrascht an. Vorsichtig merkte er an: „Ich bin aber kein Koch.“

      „Das ist ganz einfach. Sie müssen den Leuten, die etwas frisch zubereitet haben möchten, ein paar Dinge zusammenstellen. Die Zeiten sind völlig automatisiert. Eine Digitalanzeige leitet Sie an, egal, was Sie anstellen“, sagte der Mittfünfziger. „Es geht nur darum, Hygieneregeln einzuhalten, und ums Gefühl.“

      „Ums Gefühl?“ Malik war irritiert.

      „Ich weiß, das klingt jetzt seltsam, aber die Kantine ist aus meiner Sicht so was wie die letzte Bastion eines Miteinanders. Gemeinsames Essen. Genuss. Hier finden wichtige Gespräche, Treffen und ein Austausch statt, auch jenseits von Arbeit“, sagte Bart.

      Das erschien Malik doch etwas blauäugig zu sein, aber er sagte erst mal nichts. „Später zeig ich Ihnen auch noch das Businessrestaurant für besondere Anlässe und mach Sie mit Hedi, Hedwig Schwaderer, unserer guten Seele im Team, bekannt“, sagte sein Chef. „Aber jetzt müssen wir uns an die Arbeit machen. Wir bringen die Speisen nach vorne zum Buffet. Wenn Sie einen falschen Platz erwischen sollten, meldet sich der Advisor und spielt im Display ein, was Sie korrigieren müssen.“

      „Wieso machen Sie das nicht auch maschinell?“, fragte Malik.

      „Weil die Führungsleute Wert auf eine ruhige Atmosphäre legen, genauso wie auf die Möglichkeit, auch mal einen Mitarbeiter außerhalb ihrer Abteilung zu sprechen. Wenn Sie mich persönlich fragen, ist es die alte Angst vor der Übernahme der Maschinen“, meinte Bart, „hat mir meinen Arbeitsplatz erhalten.“

      Das Einsortieren war wirklich unkompliziert, allerdings spürte Malik, obwohl die Behälter nicht sonderlich schwer waren, nach zwei Stunden durchaus seine Muskeln. Trotzdem hätte er nichts dagegen einzuwenden gehabt, die Tätigkeit bis Arbeitsende fortzusetzen, statt in den Bedien- und Kochmodus zu wechseln.

      Small Talk war ihm zuwider, und hinzu kam seine seltsame Rolle als essenanreichender, luxuriöser Maschinenersatz. Was für eine Farce, wenn er bedachte, wie er hierhergekommen war. Auch er hatte auf einer Behandlung durch ein menschliches Gegenüber bestanden und war dafür verknackt worden.

      „Seien Sie locker, reden Sie mit den Leuten, wenn die entsprechende Signale aussenden“, meinte sein Chef.

      Malik seufzte.

      „Schon gut, war nur so eine Idee. Wenn Fragen auftauchen, ich bin direkt hier in der nächsten Foodzone, winken Sie einfach, wenn was ist, ja?“, sagte Bart mit einem Lächeln.

      Malik nahm in seiner Kochnische Aufstellung. Er war froh, zunächst nicht angesprochen zu werden, und