Скачать книгу

Alterungsprozesses, der zellulären Alterung, werden wir uns in den weiteren Kapiteln intensiv beschäftigen. Licht ins Dunkel dieser komplexen Kaskade habe ich (Dominik) gebracht, indem ich die drei Zellkompetenzen definierte, die sich im Zuge des Alterns verändern und zu Funktionsverlusten führen. Natürlich zeige ich auch, welche Möglichkeiten sich abzeichnen, diese Degeneration aufzuhalten.

      Von der Sinnhaftigkeit der »Alterskrankheit«

      Vorneweg müssen wir in diesem Kapitel allerdings noch eines abschließend diskutieren: Würde es denn nun Sinn machen, Altern als Krankheit zu definieren? Und wenn ja – ab welchem Grad der Degeneration gilt man dann als »alterskrank«?

      Konsequent weitergedacht, müsste man einen gewissermaßen »idealen« Gesundheitszustand als Messlatte anlegen, um einen Beginn der Alterskrankheit definieren zu können – das Lebensalter nämlich, in dem der »Zustand des vollständigen körperlichen, geistigen und sozialen Wohlbefindens und in Abwesenheit von Krankheiten« (WHO-Definition von »Gesundheit«) am häufigsten anzutreffen ist. Der gesundheitliche Peak, die optimale gesundheitliche Fitness haben wir (oder vielmehr, hatten wir), halten Sie sich fest, im Alter von 25 Jahren. Wenn wir nun viele, viele Biomarker (also Zellfunktionen, Genexpressionsmuster, Enzyme, Hormone etc.) für diesen Idealzustand zusammentragen würden, gewissermaßen ein Biomarker-Set der optimalen Gesundheit, dann könnte man eine ganz individuelle Schwelle festlegen, ab welcher man die Abweichung von diesem Top-Zustand als »Krankheit« bezeichnen sollte. Mithilfe von biometrischen Chips, die unter die Haut gepflanzt werden, wäre das in absehbarer Zeit ein Leichtes.

      Was heißt das für die Altersforschung, für die Altersprophylaxe und für die Alterstherapie? Das könnte bedeuten, dass bereits dann, wenn noch keine sekundäre Alterung eingesetzt hätte, also noch keine altersbedingten Krankheiten aufgetreten sind, eine Krankheit diagnostiziert und ihr auch gegengesteuert werden könnte. Also noch bevor die primären Alterungsprozesse den Gesamt-Gesundheitszustand eines Menschen gefährlich haben abstürzen lassen. Das wiederum würde bedeuten, dass eine medizinische Behandlung schon viel früher einsetzen sollte und müsste, als es bislang der Fall ist. Die Forschung wäre noch sehr viel stärker angehalten, ein systematisches Verständnis der Alterungsprozesse zu ermöglichen. Die Gesundheitsindustrie würde in ganz neuen Dimensionen den Kampf für eine gesunde und produktive Langlebigkeit angehen, die Technologien für eine medizinische Behandlung des Alterns würden förmlich explodieren. Und, was besonders wichtig ist: Die Bevölkerung müsste verstehen lernen, dass das Altern kein Prozess sein muss, dem man hilflos ausgeliefert ist. Vielmehr würde ein neues Bewusstsein dafür entstehen, dass wir der »Krankheit Altern«, ob primär oder sekundär, aktiv entgegentreten können.

      Was für eine Perspektive! Was braucht es dazu, um sie Wirklichkeit werden zu lassen? Zunächst natürlich mehr und mehr Kenntnisse über den systematischen Alterungsprozess. Bevor wir also die brandneuen Erkenntnisse über die drei Zellkompetenzen und ihre elementare Rolle beim primären Alterungsprozess entwickeln, braucht es einen kleinen – zugegeben rudimentären – Überblick über die wichtigsten der über 300 Theorien dazu. Keine Sorge, es wird unterhaltsam!

      Eine tödliche Krankheit?

      »Alter ist eine der tödlichsten Krankheiten auf unserem Planeten.«

      DAVID SINCLAIR

      Diese nicht wirklich gemütliche Feststellung stammt von einem Professor an der Harvard Medical School, der also der Meinung ist, dass Alter eine Krankheit sei. Folglich müsste diese Krankheit – je mehr wir über die Mechanismen der Alterungsprozesse wissen – auch zunehmend heilbar bzw. zu lindern sei.

      Dies lässt hoffen, dass irgendwann viele der gruseligen Begleiterscheinungen des Alterns etwas weniger gruselig sein mögen. Doch die nackten Tatsachen zum körperlichen Verfall bleiben bis dahin leider so fies, wie sie sind: Wir finden leider, leider fürchterlich viele Prozesse der Selbstzerstörung in unserem Körper. Entsprechend viele wissenschaftliche Theorien, Hypothesen und Teilerklärungen kursieren also zu dem unerbittlichen Degenerationsprozess, dem wir, dem unser Körper ausgesetzt ist. Und das Zusammenspiel der vernichtenden Kaskaden – wenn es auch bis heute noch so gar nicht im Detail geklärt ist – zwingt jeden von uns früher oder später in den Totentanz. Das einzig Sichere im Leben ist und bleibt nun mal der Tod.

      Deshalb müssen Sie jetzt beim Weiterlesen ganz stark sein. Wir führen Ihnen die wichtigsten Erkenntnisse und die daraus abgeleiteten Theorien des Alterns vor – und Sie werden am Ende des Kapitels unendlich froh sein: Darüber, dass Sie leben dürfen. Hier und jetzt. Noch.

      Von den Evolutionstheorien

      Fangen wir mit den Theorien an, die fast etwas Versöhnliches haben, weil sie unsere Sterblichkeit in den ganz, ganz großen Zusammenhang der Weltentwicklung stellt.

      Begonnen hat die Evolution ja freundlicherweise mit der Unsterblichkeit. Die schlichteren Einzeller wie das Pantoffeltierchen haben zumindest die theoretische Chance, Milliarden Jahre zu erleben. Auch Bakterien, Hefen, Amöben, Polypen gehören zu diesen Privilegierten. Sie bezahlen natürlich dafür. Denn sie kennen weder Sex noch geschlechtliche Fortpflanzung. Sie vermehren sich sterbenslangweilig durch schlichte Zellteilung. Da ihr genetisches Material damit brav immer weiter und weiter gegeben wird, wenn es nicht tödlich mutiert oder der Einzeller vom Feind gefressen wird – leben diese Organismen also gewissermaßen ewig. Wir Menschen sind zu 90 Prozent immer noch genauso unterwegs. Rund 90 Prozent der Gesamtheit unserer Körperbestandteile werden binnen sieben Lebensjahren komplett ersetzt. Wir leisten uns also regelmäßige, aufwendige Totalüberholungen. Wie ein Oldtimer, der endlos auf den Straßen herumrollen kann, wenn regelmäßig und penibel alle Teile, die kaputtgehen können, ausgetauscht werden.

      Wir verfügen sogar über großartige Reparaturmechanismen unserer Steuerungseinheiten, unseres Genmaterials nämlich. Im Durchschnitt werden jeden Tag rund 55.000 Einzelstrangbrüche der DNA, 12.000 Bausteinverluste der Erbsubstanz und sogar zehn Doppelstrangbrüche repariert. Eine geniale Leistung, geradezu auf Unsterblichkeit hin getrimmt! Wieso wir dann trotz dieses enormen Aufwandes der Natur für unseren körperlichen Erhalt allerspätestens nach 120 Jahren abtreten müssen, das versucht die Evolutionstheorie zu erklären. Und wir denken insgeheim: Der Tod, was für eine Verschwendung, oder? Erst einmal: Geschlechtliche Fortpflanzung ermöglicht einen immer wieder neuen Mix an Genen und auch deren spontane Mutationen. Damit erzeugt die Evolution über Jahrtausende hinweg ein Riesenangebot an immer wieder neu programmierten Lebewesen – und diejenigen aus der Vielheit, die sich den wandelnden Umweltbedingungen am besten anpassen können, die überleben. Die anderen sterben früher oder später. Flexible Wandlung der Arten ist also nur möglich, wenn der Motor dafür die geschlechtliche Fortpflanzung und der Treibstoff spontane Mutationen im Genmaterial sind. Alte Systeme müssen irgendwann ausgemustert werden. Das bedeutet im kühlen Klartext der Evolution: Der Tod überholter Systeme macht absolut Sinn. Also auch unserer.

      Evolutionstheorie – die Erste

      Doch auch schon CHARLES DARWIN rätselte, wieso es dann einen komplexen, multifaktoriellen Alterungsprozess geben müsse, zum Teil über Jahrzehnte hinweg. Der hochkomplexe Vorgang des Alterns – welchen biologischen Sinn sollte der haben? Außerdem gibt es Arten, die altern nur minimal: Ein Schwamm, den Forscher in der Antarktis entdeckt haben, lebt seit 10.000 Jahren. Der Felsenbarsch wird 250 Jahre alt – ohne gebrechlich zu werden. Der afrikanische Nacktmull übertrifft in seiner Lebenserwartung sämtliche seiner Verwandten – nämlich Nagetiere wie Hamster und Mäuse – um das bis zu Dreizehnfache (während andere kleine Nager nur rund zwei Jahre leben, bringt er es auf bis zu 26 Jahre). Was hat sich die Evolution denn bitteschön dabei gedacht?

      Offenbar gar nicht so viel. Wer einmal auf Safari in Afrika war, hat sicher das brutale System von Fressen und Gefressenwerden blutig in Erinnerung. Ich (Nina) werde nie vergessen, wie sich in Botswana ein Leopard an eine Familie von niedlichen Warzenschweinen heranpirschte. Den weiteren Verlauf des Gemetzels habe ich dann nicht mehr anschauen wollen. Wer nicht morgens um halb fünf auf Tour gehen will, um dann stundenlang in der Savanne auf eine Wildtierbegegnung zu warten (oft auch vergeblich),