5 glorreiche Western 3/2020 - Helden, Halunken, Halsabschneider: Sammelband mit 5 Wildwestromanen
auf.
»In ein paar Minuten ist es Mittag. Und genau um zwölf Uhr stehen die Banditen vor unserem Erschießungskommando.«
Der Deckel der Taschenuhr klappte wieder zu, und dieses Geräusch klang ziemlich endgültig.
Sekundenlang stand Saltillo wie versteinert.
Sicher – Sarto Singal und seine Meute hatte den Tod verdient, doch der Haziendero konnte sich einfach nicht an die mexikanischen Gepflogenheiten gewöhnen.
»Darf ich mich jetzt verabschieden? Ich bleibe nun doch nicht länger. Die Witwe wartet, und es ist nicht mehr weit.«
Als der Colonel aus der Stadt ritt, glaubte Saltillo eine Salve zu vernehmen.
13
Kellertüren wurden zugeschlagen, rostige Angeln knirschten durchdringend.
Von den kahlen Wänden hallte der Marschtritt von Soldaten wider.
Feucht und kalt waren die Steinfliesen, vermodert das Stroh, auf dem Sarto Singal lag.
Seine Beine lagen in einem mittelalterlichen Holzblock gefangen, die Handgelenke trugen verrostete Stahlmanschetten, mit denen er an die Wand in seinem Rücken gekettet war.
Vor ihm auf dem Boden lag der Blechteller, auf dem sie ihm die letzte Mahlzeit gebracht hatten. Ein nur halb durchgebratenes Hühnchen mit versalzenem Reis, dazu einen Becher Wein.
Sarto Singals Henkersmahlzeit.
Er hatte sie hinuntergeschlungen, bevor die allgegenwärtigen Ratten ihm zuvorkamen. Sie saßen um ihn herum und knabberten an seinen Stiefeln, solange er die Zehen nicht bewegte. Seine Beine waren bereits taub.
Nur mit Grauen dachte er an die Verhandlung zurück. Und mit noch mehr Grauen an die Stunde davor, in der sie ihm mit einem Gewehrkolben das Nasenbein zertrümmert hatten.
Ihm war, als würde eine Eishand nach seinem Herzen greifen und es zusammenpressen. Sein Puls hämmerte in den angeschwollenen Schläfen.
Zum wiederholten Male zerrte er verbissen an den Ketten, doch die Verankerung in der Mauer hielt.
Das Gewölbe war niedrig. Ein Mann konnte kaum aufrecht darin stehen. Ein schmaler Lichtbalken fiel von oben herein. Eine winzige Lücke im Mauerwerk der Fundamente, auf der die Kasernen der Rurales standen.
Noch stahl sich ein dünner Sonnenfaden herunter in das Verlies, aber Sarto Singal wusste, dass es soweit war, wenn dieser Strahl erst nicht mehr in die Zelle fiel.
Dann stand die Sonne genau im Zenit.
Dann war es Zeit zum Sterben.
Er hörte seine Kumpane brüllen. Nur ihn hatten sie isoliert eingesperrt.
Sarto Singal hätte am liebsten mitgebrüllt, vielleicht schrie er sogar. Er wusste es nicht. Er beobachtete gebannt den Sonnenstrahl, der unerbittlich schmaler wurde und schließlich ganz verschwand.
Eine barsche Kommandostimme erklang draußen vor der Zellentür.
»Nein!«, schrillte Lopez. »Ich will nicht sterben! Lasst mich los! Ich will nicht!«
Und die anderen fielen ein. Dann polterten derbe Stiefel, Schmerzlaute und bittere Flüche mischten sich darunter.
Dann kamen sie zu seiner Tür. Abgesperrt war sie nicht, nur von außen verriegelt. Jetzt wurde der Holzbalken aus seiner Verankerung gehoben.
Die Ratten flüchteten quietschend in ihre Löcher, als vier Männer gebückt hereinkamen.
Für Mexikaner waren sie ziemlich stämmig.
»Fertig, Singal«, sagte der eine. »Du bist dran. Nun mach dir nicht noch in die Hosen wie dieser verdammte Lopez. Dieser Bastard hat mich doch glatt angepinkelt.«
»Dann komm mir nur nicht zu nahe«, knurrte Sarto Singal böse. »Sonst passiert dir was viel schlimmeres.«
Der Bandit lachte rau auf. Jetzt, wo es wirklich darauf ankam, war plötzlich seine Kälte zurückgekehrt. Irgendwann stirbt jeder, tröstete er sich. Besser es erwischt mich am Pfahl. Das geht wenigstens schnell.
Und er dachte an eines seiner Opfer, das er mit einem Bauchschuss allein der Mesa gelassen hatte. Wahrscheinlich hatten die Geier den Mann schon angeknabbert, noch ehe er richtig tot war.
Einer der Rurales öffnete den Block, hob die Beine heraus, als Singal allein dazu nicht mehr fähig war. Ein anderer schloss die Stahlfessel auf. Sie banden ihm die Hände im Rücken zusammen und benützten Stricke dazu.
Sarto Singal versuchte, auf eigenen Beinen zu stehen, doch er knickte immer wieder ein.
Zwei Männer packten ihn in die Mitte und schleiften ihn in den dunklen Flur entlang. An der einen Wand blakten ein paar Fackeln. Rußfahnen kräuselten zur Decke und räucherten sie ein.
Vor ihnen war eine steile Hühnertreppe. Von oben drang grelles Tageslicht herunter und versickerte im Halbdunkel des Ganges. Diese Treppe schleppten sie ihn hinauf.
Geblendet schloss der Bandit die Augen. Die grelle Sonne schmerzte auf seinem geschundenen, blutverschmierten Gesicht. Doch sie gab ihm auch einen kleinen Teil jener Kraft wieder, die einst in ihm gesteckt hatte, und die sie ihm systematisch aus den Rippen geprügelt hatten.
Sie zerrten ihn über einen Hof mit einem Brunnen in der Mitte.
In einer Ecke exerzierten ein paar Mann unter dem Kommando eines Unteroffiziers. Sie starrten neugierig herüber, als Sarto Singal quer über den Kasernenhof auf eine Nische in der Mauer zugeführt wurde.
Sie öffnete sich in einen weiteren, kleineren Hof. Hier wuchs etwas Gras unter einem dünn belaubten Baum.
An der einen Längsseite gab es vier frisch ausgehobene Gruben. Die Spaten steckten noch im aufgeworfenen Erdreich.
Die Rurales hatten sich nicht viel Mühe gegeben. Die Gräber waren nicht tief.
Dann blieb Singals Blick an vier verwitterten Pfosten hängen. Vielleicht hingen sonst die Frauen ihre Wäsche daran auf, aber jetzt waren Lopez und die beiden anderen Kumpane daran gebunden. Sie trugen schwarze Augenbinden.
Lopez zitterte wie Espenlaub. Er musste mit dem ganzen Körper an den Pfahl gebunden werden, damit er nicht in sich zusammensank. Er wimmerte jetzt nur noch.
Singal wurde zum vierten der Pfähle geführt. Kurz öffnete sich seine Fesselung, doch das ging so rasch, dass der Bandit gar nicht erst auf die Idee kam, die Chance zu einem Befreiungsversuch zu erkennen – wohin auch in dieser Mausefalle?
Ein Uniformierter kam mit einer Binde auf ihn zu.
»Lass das!«, fauchte Sarto Singal. »Ich möchte euch Bastarden in die Augen sehen, wenn ich abkratze. Und das ist mein letzter Wunsch, comprende?«
»Wie du willst«, meinte der Mann teilnahmslos und trat zurück.
Singal hielt sich jetzt von selbst aufrecht. Der Pfahl drückte hart gegen seinen Rücken, die Fesseln schnitten ins offene Fleisch. Rein aus Gewohnheit zerrte der Mädchenhändler wieder an seinen Stricken.
Und er stieß auf Widerstand!
Hinter ihm steckte ein Nagel im Pfahl! Er fühlte den Kopf. Wurde er sonst benutzt, die Wäscheleinen zu befestigen?
Ihm konnte das egal sein.
Sarto Singal fasste neue Hoffnung. Wider alle Vernunft begann er sofort, seine Fesseln am Stahl zu wetzen. Er musste die Zähne zusammenbeißen, um vor Schmerz nicht aufzubrüllen.
In dicken Tropfen trat ihm der Schweiß auf die Stirn, lief ihm in die Augen und brannte. Er spürte, wie sich eines der gedrehten Hanfseile lockerte. Die Mexikaner haben miserables Material verwendet, schoss es ihm durch den Kopf.
Und Sarto Singal machte weiter, auch wenn er keine echte Chance mehr