David Lopez

Aus der Deckung


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gerade erst wieder an, verstehst du, und wenngleich er zuerst auf mich einredet, beharrt er nicht länger darauf, als er merkt, dass ich ihn nicht mehr beachte und mein Springseil nehme. Es hat geklingelt.

      Virgil ist zwanzig, er ist mit Muskeln bepackt und ein super Boxer. Ich glaube, Monsieur Pierrot dürfte inzwischen klargeworden sein, dass er gegebenenfalls auf ihn setzen muss. Mit seinem Eifer stellt er uns alle hier in den Schatten. Man muss nur sehen, wie er trainiert. Außerdem lebt er gesund. Klar, in der Hinsicht bin ich ’ne fette Pleite. Und im Ring ist es auch nicht so weit her mit mir. Virgil ist ein Pressure-Fighter. Er hat nichts von einem Ästheten. Er klebt am liebsten an seinem Gegner, geht in dessen Deckung hinein und bearbeitet seinen Oberkörper. Dieser Boxertyp sagt mir in den ersten Runden am meisten zu, denn mit meinem Jab kann ich ihn auf Distanz halten. Nur hat der Kerl drei Lungen, und selbst wenn ich ihn zwei Runden in Schach halten kann, in der dritten bin ich oft überfordert, weil er immer noch da ist, Druck macht und mir den Weg im Ring abschneidet, weil er an mir klebt, es zermürbt einen, unterminiert einen, und die Schläge gegen den Körper hauen einen um. Wenn wir gegeneinander boxen, trage ich meinen Spitznamen zu Recht.

      Ich springe noch zwei Runden mit dem Seil, dann gehe ich an den Sandsack. Seit Virgils Vorschlag habe ich kein Wort mehr gesprochen. Die schwarzen Boxhandschuhe mit dem Aufdruck Champ liegen bereit. Sie gehören nicht mir, aber ich habe sie seit langem für mich in Beschlag genommen. Sie sind ganz weich, deshalb spüre ich die Schläge gut. Ich habe dann das Gefühl, meine Fäuste im Ziel zu versenken.

      Die Klingel kündigt die nächste Runde an. Als Erstes gebe ich dem Sandsack einen Stoß, sodass er in alle Richtungen schwingt. Das ist, als hätte man einen Gegner vor sich, der ständig den Platz wechselt, man sucht das richtige Timing, um in dem Moment zuzuschlagen, wenn der Sack auf einen zukommt. Als würde man einen Angreifer blocken, während er seinen Angriff vorbereitet. Jab, Jab, Jab, ich bleibe auf Distanz, ich umkreise ihn, die Hände hoch, weil Monsieur Pierrot mir zusieht. Jab, Jab, durchtauchen und bumm, die Rechte. Es knallt, als Leder auf Leder trifft. Als ich mir vorstelle, dass mir der Sack ein paar Geraden schickt, weiche ich mit dem Kopf aus und kontere, bumm, auf seine Schulter, bumm, auf den Bizeps. Ich schicke ein paar schnelle Schläge hinterher, vier Treffer, und hopp, weg bin ich. Nach einem Treffer muss man sich bewegen, man darf nicht zum reglosen Ziel werden. Am Sandsack lässt die Aufmerksamkeit schnell nach. Wie beim Schattenboxen muss man sich bemühen, einen Gegner vor Augen zu haben, sonst drischt man auf ihn ein wie ein Hornochse. Als ich anfing, verbot mir Monsieur Pierrot fast zwei Monate lang, gegen den Sack zu boxen. Es verleitet zu Fehlern, sagte er, weil man dazu neigt, nur reinzuhauen, und dann Schluss, aus. Und da ich mir einen starken Gegner vorstellen soll, fällt mir prompt einer ein. Kerbachi natürlich. Kerbachi, der mich vor vierzehn Tagen k.o. geschlagen hat. Er ist nicht der Erste, der mich besiegt hat, aber er ist der Erste, der mir haushoch überlegen war. Wie Flashs steigen Bilder aus dem Kampf in meiner Erinnerung auf. Ich schlage kraftvoller zu. Ich möchte, dass er für diese dritte Runde bezahlt, bei der ich zu Boden gegangen bin. Ich erinnere mich an diese Gerade mit der Linken, die ich mir viermal hintereinander einfing, viermal ohne Reaktion, als hätte ich Geschmack daran gefunden. Ich sehe den Aufwärtshaken, den er landete, als ich, die Fäuste schützend vor dem Kopf, in den Seilen hing, überzeugt, ich wäre wie eine Schildkröte, die den Kopf einzieht, hinter einem undurchdringlichen Panzer geschützt. Der Schlag warf meinen Kopf so brutal in die Höhe, dass der Ringrichter es für geboten hielt, mich stehend anzuzählen, ein Los, das Boxern vorbehalten ist, die in Not geraten sind und denen man einen kurzen Aufschub gönnt, bevor man sie ans Messer liefert. Mir fallen die letzten Sekunden des Kampfs ein, in denen ich alles tat, um einen Schlagabtausch zu vermeiden, meinen Gegner umschlang, ihn am Arm hielt oder auch meinen Zahnschutz ausspuckte, zwei Mal, was mir eine Verwarnung einbrachte. Und dann verschwimmt Kerbachis Gesicht, seine Silhouette zieht sich zusammen, wird schmaler, sein Haar wächst, das Gesicht bekommt feine Züge, und der ganze Körper nimmt eine Haltung an, die ich gut zu kennen glaube, mit dem Gewicht auf dem linken Bein, das rechte, leicht angewinkelt, auf den Zehenspitzen. Wanda hat Kerbachis Stelle eingenommen. Ich begrüße sie mit einer strammen Geraden, sodass ihre Nase anfängt zu bluten. Sie sieht noch nicht aus, als sei sie gebrochen, aber das kommt noch. Jetzt, da ich Wanda sehe, gibt es keinen Sandsack mehr, nur dieses Gesicht mit dem zwiespältigen Lächeln, dieses zarte, verführerisch geschnittene Gesicht, nur diesen Mund, in den ich gerne meinen Schwanz gesteckt hätte, den zermalme ich jetzt. Nimm das in deine hübsche Fresse, Wanda, ich will alles plattmachen, was aus diesem Sack herausragt, der dein Gesicht ist. Mit meinen Haken falte ich deine Ohren zusammen, ich hämmere auf sie ein, bis sie sich in deine Gehörgänge zurückziehen und darin verschwinden. Ohren nützen dir sowieso nichts, du hörst ja nicht. Mich hörst du nicht. Eigentlich bist du aalglatt, deshalb werde ich dich so behandeln, dass du deinem Bild gleichst. Jetzt ist deine Nase dran, die ich mit meinen Geraden einschlage wie einen Nagel, bumm, bumm, bumm, sie ist widerständig wie ein Reißnagel, der in einem Ziegel statt in Gips steckt, aber ein guter Hammer schafft das, und dieser Hammer ist meine Rechte, die zwei, drei Mal zuschlägt, die diesen Zipfel schließlich in dir versenkt, der übrigens sehr hübsch war. Es macht nicht richtig Spaß, aber ich habe auch keinerlei Skrupel. Irgendwie siehst du dir schon ähnlicher. Auch wenn es noch einen Rest zu tun gibt. Dieses vorspringende runde Bäckchen, auf das ich dich nicht küssen durfte, aber ich liebe diesen kleinen Hügel, der sich wölbt, wenn du lächelst. Ich werde diese Gesichtspartie plattmachen. Ein Bäckchen kann platzen. Ich gebe deinem Gesicht sein wahres Aussehen. Ich habe eine Art Wachskugel vor Augen, aus der nichts herausragt, nur ein von meinen Katapultschlägen blutiger Haarschopf. So bist du wirklich schön, mit deinen eingezogenen Ohren, deinen in den Lidern verschwundenen Augenbrauenbögen, deinen plattgemachten Bäckchen, deiner eingeschlagenen Nase. So sehe ich dich mit Wohlwollen. Ich habe das Trugbild ausgelöscht. Denn du bist viel zu schön, Wanda. Dir ist nur noch dieser Mund geblieben mit alle seinen Zähnen, manche sind schon ausgefallen, aber es sind noch ein paar übrig. Ich gehe über zu Aufwärtshaken, damit deine Zähne durch die Luft fliegen wie Reis bei einer Hochzeit. Sie klackern, wenn sie auf dem Boden aufprallen. Die Backenzähne sind nicht leicht zu knacken. Mir tun die Hände weh von den vielen Schlägen, aber das muss sein, Wanda, sonst kann ich dich nicht berühren. Ich habe nur das.

      Es klingelt. Ich beende diese Runde mit einer Serie schwerer Schläge, in die ich alle Kraft hineinlege, die ich habe, mit total offener Deckung, ohne mich im Geringsten um die Technik zu kümmern. Ich schlage zu wie ein Tauber, im wörtlichen Sinn sogar, ich achte nicht auf die Rundenuhr, und nach einigen Sekunden hört man nur noch mich auf den Sandsack einschlagen, bis es in meiner linken Faust knackt. Ich höre auf zu schlagen, der Schmerz hat mich in die Realität zurückgeholt. Was ist passiert?, brüllt Monsieur Pierrot. Ich glaube, ich hab mir das Handgelenk kaputt geschlagen, sage ich. Ich ziehe den Handschuh aus, und Monsieur Pierrot nimmt meine Hand. So vorsichtig er dabei auch ist, es schmerzt. Ich verziehe das Gesicht, kaum dass er beginnt, mein Handgelenk zu drehen. Obwohl ich mich gehörig zusammenreiße, kann ich den Schmerz nicht verbergen. Ab in die Dusche, sagt er. Aber M’sieur Pierrot, ich …, ab in die Dusche!, und ich gehe mit gesenktem Kopf in die Umkleide zurück.

      Die Klingel ertönt. Sucré ist in der Umkleide, er trinkt Wasser. Unsere Blicke begegnen sich, er zuckt mit den Schultern. Und dann runzelt er die Augenbrauen mehr als üblich, sieht mich noch einmal an. Ich lasse den Kopf hängen.

      Geduscht und angezogen kehre ich in die Trainingshalle zurück, wo die anderen jetzt im Ring sind. Ich hau ab, Leute. Mach’s gut, Jonas, und leg Eis drauf, wenn du zu Hause bist, sagt Virgil, der nicht ahnen kann, wie sehr ich es hasse, wenn man mir mit Eis kommt. Monsieur Pierrot steht am Ring. Er ist konzentriert, beobachtet seine Boxer. Ich gehe trotzdem zu ihm, obwohl ich weiß, dass er mich anschnauzen wird, weil ich ihn ablenke, doch das ist das kleinere Übel, verglichen mit dem, was mich erwarten würde, wenn ich ohne Gruß verschwände. Er dreht sich zu mir und betrachtet mich mit einem Blick, der mir wie Mitleid vorkommt. Pass auf dich auf, Jonas. Dann streicht er mir mit der Hand durchs Nackenhaar. Das hat er erst zwei Mal getan: bei meinem ersten Kampf in der Juniorenklasse, als mich die Punktrichter um den Sieg gebracht hatten, und damals, als ich in der ersten Runde k.o. gegangen war. Ich begegne dem Blick von Sucré, der gerade eine Runde mit Farid zu Ende geboxt hat und für den jetzt Virgil in den Ring steigt. Okay, Sucré, wir sehen uns bei Ixe. Hau ab, sagt er. Und ich gehe.

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