Uhrzeit zu sagen, zur Messe zu laden oder den Tod eines Kölner Bürgers anzuzeigen.
„Ach könnten wir doch den Menschen unsere Töne geben, dass es in ihnen klinge und schwinge, auch wenn wir stumm sind.“
Da fiel einer kleinen Glocke in der Sternengasse der Brauer ein, der jeden Tag, wenn sie läutete, zu ihr hochblickte und sich an ihr erfreute. Sie hatte bemerkt, dass es ihm immer schwerer fiel, seinen Kopf zu erheben. Und sie hörte auch das Geschwätz der Leute.
„Wenn es in seinem Herz tut klingen, dann wird sein Bier ihm wohl gelingen.
Ach könnt erfreuen mein Geläut, die Sinne und das Herz der Leut.“
So summte sie vor sich hin. Der Wind umschmeichelte ihre rundliche Form. Er trug ihre Gedanken mit sich fort. Die anderen Glocken vernahmen es und stimmten in das Summen der kleinen Glocke mit ein. Über der Stadt war ein sanftes Sausen zu vernehmen. Aber kaum jemand bemerkte es.
Dem Brauer jedoch wurde es warm ums Herz. Er rannte in sein Sudhaus und rührte heftig die gärende Würze um. Noch mal und noch mal rührte er. Und es wogte und wabberte und brauste heftig. Dann ließ er alles stehen und liegen und legte sich erschöpft in sein Bett.
Wer jetzt gedacht hat, die Heinzelmännchen würden sein Werk vollenden, der hat sich getäuscht. – Beim Rühren drang das Summen der Glocken in das gärende junge Bier hinein, belebte es, und es gelang besser als je zuvor.
Der Brauer staunte nur. Denn beim Eingießen in den Krug oder die Kanne schäumte sein Bier immer heftiger – so wie an dem Tag, als er das erste Mal seinen Sud umrührte. Und jedes Mal, wenn das Bier kurz vor seiner Reife stand, ging er hin und rührte fröhlich vor sich hinsummend den Sud um.
Auf diese Weise gelangte ein neuer Klang in das Bier hinein, und der Schaum auf dem eingeschenkten Krug versetzte die Menschen in Freude. Denn mit dem Trinken eines jeden Bläschen gelangte auch ein kleiner frischer Klang in ihr Herz, und sie fühlten sich wohl.
Der Brauer war angesehen, wie zuvor.
Und die Glocken? Sie schauen seitdem um so neugieriger aus ihren Stühlen auf die Stadt und erfreuen sich an dem Frohsinn der Menschen, wenn die ein leckeres, süffiges, schäumendes Kölsch trinken.
24.01.
MONTREAL
How Can I Begin Anything New with all of Yesterday in Me?
Schnee bis zum Bauchnabel an beiden Seiten der Straßen. Er glitzert hier nicht, obwohl er zu Eis gepresst wurde. Dafür glitzert es im Parc du Portugal, wo Leonard wohnte.
Es war ein warmer Winter bislang, sagen die Montrealer. Ich friere mir den Arsch ab auf meinem Weg zu den Brasserien der Stadt. Zu Fuß gehe ich trotzdem. Zumindest von den Metrostationen aus. Das gehört sich so. In der Metro ist es zugig. In den Brasserien der Stadt ist es warm.
Einen Schluck Bier für jede Zeile von Leonard, die mich berührt. Das habe ich mir vorgenommen. Ich werde grandios scheitern. Aber auch dem hoffnungslosen Unterfangen liegt etwas Nobles zugrunde, wenn es mit Herzblut angegangen wird. Ich war schon immer gut darin, den Sieg aus meinen Niederlagen herauszukitzeln.
Wie erwartet trinke ich wenige, dafür aber viele hervorragende Biere. Gebraut in den kleinen Brauereien der Stadt, die beinahe in jedem Stadtteil zu finden sind. Da ist Leonard dann schnell Hintergrundmusik. Zumindest für den Moment. Er mag nicht zu den vielen Glücksmomenten passen, denen so jede Melancholik fehlt.
Besonders gefällt es mir in der Brasserie Harricana im italienisch-geprägten Stadtteil „Piccola Italia“. Ein Brauerei-Restaurant mit regionaler Küche, in dem ausschließlich Biere ausgeschenkt werden. Allesamt abgestimmt auf die Speisekarte. Die Bierkarte ist mit 23 Bieren lang, jedoch durch die Einteilung der Biere in verschiedene Kategorien übersichtlich. Erstaunlich, dass es bei solch einer Karte nur vier dauerhafte Biere gibt, die anderen werden nur ab und an oder aber einmalig gebraut.
Auch geblendet wird vor Ort. 70 Fässer stehen für die Reifung der Biere zur Verfügung. Das Essen ist hervorragend.
Ich trinke das zweitbeste Grodziskie meines Lebens in Montreal. Niemals hätte ich damit gerechnet.
Ich bin begeistert. Wie schön ist es bitte, dass es so viele Menschen in allen Ecken der Welt gibt, die gutem Bier wieder eine Bühne geben wollen?!
„Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne … “ Nicht von Leonard. Hätte er aber bestimmt im reiferen Alter geschrieben, wenn nicht jemand anderes bereits die Worte gefunden hätte. Ich suche noch nach Worten, als ich wieder durch Januarkälte und Schnee stapfe. Aber den Zauber spüre ich. Von ganz tief drinnen kommt er und glitzert – wie der Schnee im Parc du Portugal.
Hallelujah and goodbye yesterday in me.
25.01.
WHATSAPP TEXTE
Heute trinken wir uns die Welt schön
Situation: Samstag, 18 Uhr in Hamburg. Sünje ist zu Hause am Schreibtisch. Thomas sitzt in der S-Bahn-Linie 3. Die Bahn ist proppevoll.
Mit grölenden Fans eines Hamburger Fußballvereins. Ausgerechnet heute hat ihr Club seit Ewigkeiten mal wieder gewonnen und sich damit vor dem Abstieg gerettet. Außerdem an Bord: Jede Menge komischer Gestalten, die auf dem Weg zum Public Viewing des Eurovision Song Contests auf dem Spielbudenplatz sind. Thomas greift zum Handy.
S: Hallo?
T: Es gibt ja Studien, die aussagen, dass man sich andere Menschen schöntrinken kann.
S: Hö? Thomas? Was fährst du denn für einen Film?
T: Ich überlege halt gerade: Funktioniert das eigentlich auch mit der Welt?
S: Naja, mit begrenzter Haltbarkeit, nä? Ist halt wie beim Menschen schöntrinken. Am nächsten Morgen ist dann alles nur noch halb so rosig. Aber ist dir schon mal aufgefallen, dass der Effekt bei hellem Bier irgendwie stärker ausfällt als bei dunklem Bier?
T: Ich bin nicht ganz überzeugt. Mir wird die Welt eher egal, aber sie wird nicht schöner, wenn ich viel Bier trinke. Bei dir wird sie schön? Mit welchem Bier machst du das? Ich will auch!
S: Sag mal, was ist das da für ein Krach bei dir? Heftigste Hintergrundstör geräusche!
T: Frag nicht! Warte, ich pack fix die Kopfhörer aus. So, besser?
S: Ja, etwas besser. Also, meine Theo rie: Bei nem schön fruchtigen Sauerbier wird die Welt lockerflockig schön. Ich bin plötzlich voller Energie und Tatendrang. Nach nem Glas Stout bin ich eher bierselig, aber nicht ganz so euphorisch, was die Welt angeht.
T: Doch, stimmt, du hast recht! So ein fruchtiges, erfrischendes Sauerbier hebt mich in einen Status der positiven Gleichgültigkeit mit einem Touch Euphorie, während so ein dunkles Machtbier eher stoisch gelassen macht.
S: Ha, siehste! Im Grunde kann man so ja ganz gezielt die Welt schön trinken. Oder?
T: Mensch, du hast vollkommen recht! Sünje, ich bin gerade in Stellingen, kann ich gleich auf ein Russian Imperial Stout mit Berliner-Weisse-Schuss vorbeikommen?
S: Na klar, ich stelle schon mal ein Repertoire an Bieren parat und wir entscheiden zusammen, in welchen Maßen wir die Welt heute schöntrinken müssen.
T: Ich befürchte, das wird heftig!
26.01.
DER MENSCH ALS SAMMLER, JÄGER UND BIERTRINKER
Der Mensch ist Sammler, Jäger und Biertrinker. Junge Menschen sammeln Aufklebebildchen von Fußballern. Greise jagen Briefmarken. Mittelalte Menschen sammeln Biere. Genauer gesagt: Craft Beer, handwerklich hergestellte Biere aus guten Zutaten, inner- oder außerhalb des Reinheitsgebots, alte oder neue Stile und Interpretationen. Möglichst kreativ und ausgefallen sollte es sein. Was dem Jäger das Hirschgeweih an der Wand, ist dem Craft-Beer-Freund das Smartphone in der Hand. Mittels einer App namens Untappd zeigt er den mit ihm verbundenen Mitbiertrinkern, was er soeben Tolles und Einzigartiges verkostet hat und versieht dies mit einer persönlichen Bewertung. Für jedes neu bewertete