In der Türkei waren Menschen schon vor den Büchern verbrannt worden: Im Sommer 1993 forderte in Sivas ein Mob die Scharia und setzte ein Hotel in Brand, in dem Schriftsteller und Intellektuelle tagten. So ermordeten sie dreiunddreißig Menschen.
Laut Bericht des türkischen Verlegerverbands wurden 2016 dreißig Verlage geschlossen mit der Begründung, sie stellten eine Bedrohung für die nationale Sicherheit dar, Hunderttausende Bücher wurden konfisziert. Tausende Menschen wurden verhaftet, weil sie angeblich Bücher besaßen, die Mitglieder von Terrororganisationen geschrieben hatten. Unter den in den Anklageschriften genannten »Organisationsmitgliedern« befanden sich auch Camus, Althusser und Spinoza.
Als Autoren und einzig mit Stift und Buch kämpfen wir gegen eine Geisteshaltung, die Büchern, Stiften und Schriftstellern gegenüber feindlich gesinnt ist.
Um die Entlassung von Wissenschaftlern zu rechtfertigen, die einen Friedensappell unterzeichnet hatten, sagte der Vizerektor einer Universität: »Den Fortbestand der Türkei sichert das ungebildete, unwissende Volk.«
Sogar Universitäten werden von Personen geleitet, die auf Unwissen und Dummheit setzen.
In einem Land, dessen Staatspräsident verkündet: »Manche Bücher sind effektiver als Bomben«, verwundert das nicht.
Verwunderlich allerdings war, dass das Schweigen, von dem in meinem verbotenen Text die Rede ist, auch anhielt, als der Text verboten wurde.
Wieder einmal ist es also Zeit, sich an die Einsamkeit zu gewöhnen.
Wieder ist es Zeit, den Rucksack zu schultern.
Um für Freiheit in meinem Land zu kämpfen, wo Bücher verbrannt werden, gehe ich jetzt in das Land, in dem früher einmal Bücher verbrannt wurden.
Um Hoffnung für die Zukunft zu rekrutieren.
Als der Lufthansa-Flug von 16:55 Uhr aus Barcelona am 1. September zur Landung in Berlin ansetzte, betrachtete ich die Stadt mit anderen Augen. Dort würde ich nun eine Zeitlang leben.
Vorerst war es eine Zwangsehe, ungewiss, wie lange sie halten würde. Doch wenn wir uns mit der Zeit besser kennenlernten, würden wir uns vielleicht aneinander gewöhnen, uns gar lieben lernen.
Ich dachte an Exilierte, über die ich Dokumentarfilme gedreht hatte:
Zum Beispiel Nâzım Hikmet. Als dem großen türkischen Dichter klar wurde, dass ihm nach dreizehn Jahren Gefängnis in der Türkei erneut Inhaftierung drohte, war er nach Moskau geflüchtet, dort starb er dreizehn Jahre später, ohne seine geliebte Heimat wiedergesehen zu haben, dort liegt er begraben.
Zum Beispiel Yılmaz Güney. Der große Filmemacher der Türkei war nach sieben Jahren Haft nach Paris geflüchtet, dort starb er drei Jahre später, ohne seine geliebte Heimat wiedergesehen zu haben, dort ist er begraben.
Zum Beispiel Ahmet Kaya. Der große Sänger der Türkei war wegen Morddrohungen nach Paris emigriert, dort starb er anderthalb Jahre später, ohne seine geliebte Heimat wiedergesehen zu haben, dort ist er begraben.
Im türkischen Wörterbuch steht ein kummervoller Satz für jene, die in die Fremde gehen:
»Das Schicksal hält auch bereit, fortzugehen und nicht heimzukehren, heimzukehren und sich nicht wiederzusehen.«
Würde es so kommen?
In einem meiner beiden Koffer steckten die Notizen zu meinem neuen Buch, seit Monaten reisten sie mit mir von Land zu Land; leicht vergilbt von den Strapazen dieses Abenteuers warteten sie darauf, ins Reine geschrieben und sesshaft zu werden.
Genau wie ich.
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