Atemübung 1
Stelle dich bitte gerade und schulterbreit hin, beide Fußsohlen berühren den Boden. Die Knie sind leicht gebeugt. Lass die Schultern locker. Lege die Hände auf deinen Bauch. Wenn du möchtest, schließe die Augen.
Spüre wie der Einatem kühl und angenehm durch deine Nase fließt und immer tiefer geht in die Lungen und weiter bis in den Bauch. Dein Bauch wölbt sich nach vorne. Atme langsam wieder aus, lass die Luft wieder heraus. Spüre die Veränderung mit deinen Händen. Atme ein paar Mal ruhig und tief durch die Nase ein und aus. Lass den Atem bis in deinen Bauch strömen. Genieße die Ruhe, die dich dabei durchflutet.“
Nachdem alle Teilnehmer wieder sitzen, erläutert Maria, dass die Übung natürlich auch im Sitzen oder Liegen funktioniert. „Vielleicht möchtet ihr das heute Abend im Bett einmal ausprobieren. Es ist im Übrigen sehr wichtig, dass ihr in den nächsten Tagen immer mal wieder auf den Atem achtet und euch auch zwischendurch Zeit nehmt, ruhig und tief zu atmen. Das gilt auch für die anderen Entspannungstechniken, die wir in den nächsten Wochen ausprobieren werden. Ich weiß, jeder hat wenig Zeit und das tägliche Üben fällt nicht immer leicht. Wir können jedoch in Stresssituationen nur auf das zurückgreifen, was wir vorher trainiert haben. Nur wenn wir säen, können wir anschließend auch ernten.“
Die Kursleiterin hat auch noch einen „Plan B“ zu der Atemübung zu bieten: „Natürlich lässt sich die Übung variieren. Viele Menschen atmen die verbrauchte Luft nur unzureichend aus. Es bleibt immer ein mehr oder weniger großer Rest zurück. Wir werden uns gleich in einer zweiten Atemübung bewusst auf das Ausatmen konzentrieren und uns vorstellen, dass wir alles Belastende ausatmen. Wir probieren es diesmal im Sitzen. Dreht bitte die Stühle um, so dass ihr mit dem Gesicht zur Wand bzw. dem Fenster sitzt. Ihr wisst schon, es sollen sich alle unbeobachtet fühlen, ob mit offenen oder geschlossenen Augen. Los geht es …
Atemübung 2
Stelle die Füße parallel auf den Boden, halte den Rücken möglichst gerade, so dass der Atem frei fließen kann. Die Arme und Hände kannst du entspannt auf den Oberschenkeln ablegen. Lass die Anspannung so gut es geht los. Atme tief und langsam. Wenn du möchtest, schließe die Augen.
Fühle wie du über die Füße fest mit der Erde verbunden bist. Vielleicht möchtest du dir vorstellen, dass tiefe Wurzeln von deinen Füßen in die Erde reichen. Die Erde trägt dich. Du bist sicher und beschützt und kannst mehr und mehr entspannen. Atme langsam und tief ein und aus. Fühle, wie die frische Luft über deine Wurzeln in dich hineinströmt. Atmen ist Leben. Der Sauerstoff verteilt sich in deinem ganzen Körper und versorgt dich mit frischer Energie.
Atme langsam und genussvoll aus. Stelle dir vor, wie alles Belastende mit dem Ausatmen aus deinem Körper weicht. Auch der letzte Rest an Unruhe, Ärger, Stress geht mit deinem Atem. Wenn der nächste Atemimpuls kommt, atme wieder über deine Wurzeln die neue Energie ein, die sich in deinem Körper verteilt. Alles Belastende lässt du los und mit dem Ausatmen aus deinem Körper entweichen.
Atme wieder tief ein, spüre wie du mit frischem Sauerstoff versorgt wirst – von den Füßen, durch die Waden, die Oberschenkel, den unteren Rücken. Die frische Energie gelangt in deinen Bauch, den oberen Rücken, die Brust, in die Arme bis in die Finger. Die Luft strömt in deinen Hals und Nacken, in deinen Kopf, in dein Gesicht. Wo in deinem Körper hat sich noch Belastendes versteckt? Lass es mit dem nächsten Ausatmen einfach gehen. Lass die Lasten los. Spüre noch einen Moment nach. Kannst du Leichtigkeit spüren? Wie fühlt sich dein Gesicht an, deine Schultern, dein Rücken, dein Bauch?
- Kurze Pause -
Bewege langsam deine Hände und Füße, recke und strecke dich, balle die Hände zur Faust, lasse wieder los und öffne die Augen.
Die Stühle werden wieder umgedreht. Jeder hat nun Gelegenheit, etwas zur Übung zu sagen. Marens Sitznachbarin spricht vielen aus der Seele: „Wow, das war richtig toll. Ich wusste gar nicht, dass ich mir so etwas wie Wurzeln vorstellen kann. Aber es hat super geklappt. Ich glaube, wenn wir gelegen hätten, wäre ich eingenickt.“ „Ich fand es auch klasse“, meint eine andere Teilnehmerin. „Ich hatte einen ziemlich blöden Tag heute mit einem nervigen Kunden. Ich glaube, den konnte ich mir von der Schulter atmen.“
Insgesamt hat es allen gut getan – auch Maren. „Wie simpel Entspannung doch sein kann. Es muss gar nicht immer eine lange Übung sein“, sagt sie erleichtert bei dem Gedanken an ihr knappes Zeitbudget.
„Es gibt verschiedene Methoden und Übungen und die auch noch in unterschiedlichen Varianten“, nimmt die Kursleiterin den Faden auf. „Gerade der Atem erlaubt uns eine Vielzahl von kleinen, aber wirkungsvollen Übungen. Verbindet einfach einmal das Atmen mit Zählen und atmet bewusst zehnmal ein und aus. Das kann eine gute Einschlafhilfe sein. Der Einatem muss nicht über Wurzeln kommen. Eine Variante ist, über den Kopf einzuatmen und alles Belastende durch die Füße in die Erde fließen zu lassen. Ihr könnt euch auch vorstellen, dass sich beim Einatmen eine Farbe in eurem Körper ausbreitet. Das kann weiß sein, gold oder jede andere Farbe, die euch in den Sinn kommt. Experimentiert, seht es wie ein Spiel. Entspannung soll kein anstrengendes Zusatzprogramm sein, sondern Spaß machen.
Mit diesem motivierenden Schlusswort geht der erste „Entspannungsabend“ zu Ende.
Draußen vor der Tür nutzen Maren und ein paar andere Kursteilnehmer noch die Gelegenheit für einen kurzen Austausch. Der Einstieg ist geschafft, die Resonanz positiv.
Zufrieden fährt Maren nach Hause: „Eine richtig nette Runde, eine souveräne Kursleiterin und ich habe schon eine Menge für mich mitnehmen können.“
Am liebsten würde Maren sofort Sabine, ihre meditierende Freundin, anrufen. Aber nein, dafür ist es eindeutig zu spät. Das Fachsimpeln unter „Atemexperten“ muss warten. Außerdem ruft auch Marens Bett schon ziemlich laut nach ihr. Morgen heißt es wieder früh raus, und so atmet sich Maren in den Schlaf …
Der Morgen danach
Maren ist auch am nächsten Morgen noch ganz euphorisch und probiert noch im Bett liegend aus, ob das mit dem Atmen noch funktioniert. Sie muss heute unbedingt Sabine, ihre Freundin anrufen und ihr von dem gestrigen Kursabend erzählen und die Dankbarkeitsliste will sie auch auf jeden Fall erstellen. Beschwingt steht Maren auf. Den ersten Dämpfer des Tages verpasst ihr allerdings kurz darauf ihr Sohn. „Mama, ich kann mein Lieblingsshirt nicht finden.“ „Ist noch in der Wäsche.“ „Oh nee! Das darf doch wohl nicht wahr sein“, kommt die mürrische Antwort. Aus den Augenwinkeln kann Maren gerade noch sehen, wie sich Daniel an dem Wäschekorb zu schaffen macht und sein Shirt herausfischt – nicht ohne den anderen Inhalt auf dem Boden zu verstreuen. „Tief durchatmen“, denkt sich Maren. „Daniel, du willst das Shirt doch wohl nicht noch mal anziehen.“ „Klar, das geht noch.“ Stefan wirft Maren den berühmten Lassihndocheinfach-Blick zu. So können anscheinend nur Männer das Thema Sauberkeit sehen. Zum Glück ist noch genug Entspanntheit vom gestrigen Abend übrig und Maren beschließt, diesmal auf ihren Mann zu hören. Schließlich muss ihr Sohn ja mit dem Shirt herumlaufen und nicht sie. Gelassenheit hat ja auch etwas mit lassen zu tun.
„Na, Schatz, wie war es eigentlich gestern Abend bei deinem Kurs?“, fragt Stefan beim Frühstück. Maren freut sich über sein Interesse. Sie weiß, er hält das Ganze eher für „Psychoquatsch“. Als ganzer Kerl rennt und schlägt er sich den Stress aus dem Körper bei den wöchentlichen Tennisstunden mit seinem Freund Nils und kommt dabei eher außer Atem als bewusst auf den Atem zu achten. Maren legt los mit ihrem Bericht, merkt jedoch schnell, dass Stefan eher auf die Zeitung schielt als wirklich zuzuhören.
„Wann hat er eigentlich aufgehört, sich wirklich für mich zu interessieren?“, schießt es Maren kurz durch den Kopf. Dann wird ihre Aufmerksamkeit wieder von ihren Kindern beansprucht. Franzi beschimpft Daniel gerade als „asozial“, weil er das Shirt aus dem Wäschekorb angezogen hat. Daniel kontert mit „dumme Kuh“ und Maren beamt sich gedanklich zum gestrigen Abend zurück. Wie friedlich doch bei dem Kurs alles war.
Na gut, also auf ins Gefecht. Auf dem Weg mit dem Auto zur Arbeit wartet schon der morgendliche Stau auf Maren. Als sie gerade beginnen