Anna Ruhe

Duftapotheke Bundle. Bände 1-3


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nicht um Ihren Sohn? Er sieht ja ganz verängstigt aus. Und Sie stehen hier einfach nur rum!«

      Da drehte Benno auf dem Absatz um und rannte auf mich zu. Er schlang seine zitternden Ärmchen um mich und vergrub sein Gesicht in meinem Pulli. Fassungslos ging ich rückwärts, bis ich die Eingangstür im Rücken spürte.

      Ich bekam keine Luft. Die leeren Gesichter unserer Eltern fühlten sich schrecklich an. Es war, als wäre ihnen alle Erinnerung einfach verloren gegangen und auf Nimmerwiedersehen verschwunden.

      Und ich musste dringend herausfinden, warum!

      Ich griff nur noch hinter mich zur Türklinke und öffnete sie. Mit der einen Hand hielt ich Benno fest an mich gedrückt, mit der anderen schob ich die Tür wieder zu. So schnell wir konnten, rannten wir weiter, bis wir vor Mats’ Haustür standen.

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      18. Kapitel

      Bei Mats war die Welt noch so, wie wir sie kannten. Als hätte es das Vergessen um uns herum nicht bis hierhergeschafft. Leon und seine Mutter saßen in der Küche an einem Esstisch und sprachen ernst miteinander. An den Sorgenfalten in ihren Gesichtern sah ich, dass sie sich entweder gerade gestritten hatten oder ihnen etwas Ähnliches passiert sein musste wie uns. Wenn auch mit dem Unterschied, dass sie sich gegenseitig noch erkannten.

      Diesmal fragte Mats mich nicht, warum ich gekommen war. In seinem Gesicht lag eine stumme Ahnung. Er strich Benno über den Kopf und schob uns zusammen mit einer Tüte Süßkram an den Küchentisch. Die geöffnete Tüte stellte er direkt vor Benno und mir ab.

      »Nervennahrung!«, sagte er nur.

      Mit einem dankbaren Nicken setzte ich mich auf einen Stuhl neben Mats’ Mutter und hob Benno auf meinen Schoß. Ich stellte uns kurz vor und erfuhr im Gegenzug, dass Mats’Mutter Susan hieß. Sie hatte die gleichen dunklen Augen wie ihr jüngerer Sohn: weich, warm und geduldig. Ohne viele Worte holte Susan eine Wolldecke, die sie mir um die Schultern legte. Wir wickelten uns in die flauschige Decke wie zwei Rollmöpse. Das tat gut. Erst jetzt merkte ich, dass Benno und ich beide vor Aufregung zitterten.

      »Schaut mich mal an«, sagte Susan und holte aus ihrer weißen Brusttasche einen silbernen Stift. Es war aber kein Kugelschreiber. Dort, wo normalerweise eine Mine zum Schreiben war, befand sich eine Lampe. Mit der leuchtete sie erst Benno in die Augen, danach mir. Sie nickte kurz, als wäre sie erleichtert, und steckte den silbernen Leuchtstift zurück in ihre Brusttasche.

      »Was ist denn passiert?«, fragte Mats und ich hörte an seiner Stimme, dass er sich diese Frage ungeduldig aufbewahrt hatte.

      »Unsere Eltern …«, ich schluckte und machte eine Pause, um nicht in Tränen auszubrechen, »sie … ich glaube, sie haben ihr Gedächtnis verloren.«

      »Papa erkennt uns nicht mehr«, fügte Benno ganz leise hinzu.

      Susan schlug sich ihre Hand vor den Mund. »Um Himmels willen! Das ist wirklich das Schlimmste, was ich heute höre. Und ich habe heute schon eine Menge schlimme Dinge gehört.« Sie stand auf, nahm zwei Tassen aus dem Schrank und goss aus einer Kanne dampfenden Tee für uns hinein.

      »Glaubt ihr mir jetzt endlich?« Mats sah wütend zwischen seiner Mutter und Leon hin und her. »Das ist doch fast so wie bei Papa damals!«

      Ich starrte Mats an. Das war es also, was Leon vor ein paar Tagen mit »Familienproblemen« gemeint hatte?

      »Oh Mann!« Leon stöhnte nur. »Das ist nicht wie damals! Hör endlich auf mit deinen durchgeknallten Verschwörungstheorien und komm mal in der Wirklichkeit an. Unser toller Vater …« Leon schluckte. Dabei sah er aus, als wollten die Worte schneller aus seinem Mund heraus, als er sie aussprechen konnte. Er schloss die Lippen und sah zu seiner Mutter. »Na, du weißt schon.«

      »Hört sofort auf zu streiten, Jungs!« Susan hatte ihre Arme in die Seiten gestemmt. »Wir haben gerade wirklich andere Probleme.«

      Dabei fiel mir auf, dass sie einen weißen Arbeitsanzug anhatte, einen, wie Krankenschwestern ihn immer trugen. Das erklärte auch die Lampe, mit der sie uns gerade untersucht hatte.

      Sie bemerkte meinen Blick und lächelte. »Bei uns im Krankenhaus hatte ich heute ein paar ähnliche Fälle. Die Ärzte wissen noch nicht, was los ist.« Sie rieb sich die Stirn. »Ich muss leider wieder zurück. Wir haben nicht genug Ärzte und Schwestern für alle. Im Krankenhaus ist der Teufel los. Ich wollte hier nur kurz nachsehen, ob es meinen zwei Großen gut geht.« Sie stand auf und sah mich und Benno prüfend an. »Hmm. Ich nehme euch vielleicht gleich mit. Im Krankenhaus kann ich euch besser beobachten.«

      Ich schüttelte heftig den Kopf. »Das ist nicht nötig. Mir ist bloß ein bisschen kalt«, sagte ich. »Der Tee hilft schon. Und die Decke auch. Danke noch mal.«

      »Dann wenigstens Benno«, beharrte sie.

      Benno schüttelte genauso heftig seinen Kopf und schlang seine Arme fest wie eine Klammer um mich.

      Susan lächelte wieder. »Also gut, dann bleibt ihr hier zusammen. Aber ruft mich sofort an, wenn es euch schlechter gehen sollte. In Ordnung? Ihr standet ziemlich unter Schock.« Bevor sie ging, schob sie uns auf die Couch im Wohnzimmer und drapierte eine Limoflasche, eine Tafel Schokolade und eine zweite kuschelige Decke vor mich und Benno. Sie machte alles, was bis gestern auch unsere Ma gemacht hätte, wenn sie sich um uns sorgte oder uns wieder gesund pflegte. Also mal von Schokolade und Limo abgesehen. Wir bekamen dann Kräutertee und Obstschnitze.

      Als Susan die Tür hinter sich zufallen ließ, griff ich nach meinem Glas Limo und sah zu Mats und Leon, die sich vor uns in die Sessel gesetzt hatten.

      »Was meintest du vorhin damit, dass das genau wie bei eurem Papa ist?«, platzte es sofort aus mir heraus.

      Schluss jetzt mit den Geheimnissen, beschloss ich. Es war Zeit, dass Mats mir endlich die Wahrheit erzählte!

      Der suchte aber offensichtlich noch die Worte für eine Erklärung. »Ist schon etwas her«, fing er langsam an.

      Leon stöhnte wieder. »Unser Vater ist der Grund, warum Mats sich so brennend für die Villa Evie interessiert. Da hast du’s.«

      »Was?« Ich setzte mich kerzengerade auf. »Aber … wieso?«

      Mats sah betreten auf seine Füße hinunter. »Unser Vater hat uns vor vier Jahren verlassen. Ja, ich weiß, so was kommt vor, passiert auch in anderen Familien.« Er warf Leon einen Blick zu, aber der verschränkte nur die Arme vor der Brust und ließ seinen Bruder erzählen.

      Ich sah zwischen den Brüdern hin und her. »Aber was hat die Villa Evie damit zu tun?«

      »Na ja, unser Vater hat Hanne regelmäßig geholfen, wenn es etwas in der Villa zu reparieren gab. Er konnte so was ganz gut. Als es mal durchs Dach geregnet hat, hat er auf dem Dachboden die undichten Stellen ausgebessert und alles wieder abgedichtet. Danach, ich kann mich noch ganz genau daran erinnern, hat es bei ihm angefangen.«

      Leon schüttelte den Kopf. »Alles Quark«, murmelte er vor sich hin.

      Benno kroch wieder auf meinen Schoß. »Was hat angefangen?«

      Mats holte einmal tief Luft. »Er wurde komisch. Sehr komisch. Total abweisend und manchmal richtig fies, obwohl er sonst nie so war. Und dann ist er verschwunden, einfach so. Er hat uns ohne Vorwarnung verlassen. Wir haben nie wieder etwas von ihm gehört.«

      Jetzt hielt Leon es nicht mehr aus. »Es gibt ein Wort für solche Leute. Fängt mit ›A‹ an und hört mit ›loch‹ wieder auf. Glaub mir, mit der Villa Evie hat das absolut nichts zu tun. Du suchst doch nur einen Grund, damit es nicht seine Schuld war.«

      Mats funkelte Leon an. »Und warum hat Hanne seitdem niemanden mehr freiwillig in die Villa Evie reingelassen? Sogar du musst doch zugeben, dass das seltsam ist.«

      Leon blies die Backen auf und stand mit Schwung aus dem Sessel auf. »Ich kann mir das nicht mehr anhören, echt. Das geht seit Jahren so! Ich bin oben, wenn ihr mich braucht.« Mit schnellen