Anna Ruhe

Duftapotheke Bundle. Bände 1-3


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      Da hatte mein kleiner Bruder recht. Machte Mats uns etwa die ganze Zeit etwas vor?

      »Wieso erzählst du uns das erst jetzt?« Den ärgerlichen Ton in meiner Stimme konnte ich nicht mehr unterdrücken.

      Mats schaute wieder auf seine Füße. »Weiß nicht, ich hab … Ich hatte Angst, ihr reagiert genau wie Leon und denkt, ich bin bescheuert.«

      Weil ich nicht wusste, was ich davon halten sollte, goss ich mir erst mal Limo nach und überlegte, was wohl mit Mats’ Vater passiert sein konnte. »Klingt ja auch verrückt«, stimmte ich dann zu. »Zumindest für alle, die nicht wissen, was unter der Villa Evie ist.«

      Mats’ Kopf schnellte nach oben und Erleichterung breitete sich auf seinem Gesicht aus. »Dann glaubst du mir?«

      »Klar«, sagte ich. »Dein Vater und jetzt unsere Eltern und die anderen Leute in der Stadt … Alle haben sich von jetzt auf gleich total verändert. Das kann ja kein Zufall sein.«

      Mir fiel auf einmal wieder ein, was ich auf dem Dachboden gesehen hatte. »Hey, erinnert ihr euch noch an diesen alten Heißluftballon? Auf den Stoffbahnen ist mir ein Fleck aufgefallen …«

      »Stimmt!«, rief Benno aufgeregt dazwischen. »Und ein leeres Fläschchen war da auch!«

      »Genau. Das könnte ein ausgelaufener Flakon aus der Duftapotheke gewesen sein«, vermutete ich. »Vielleicht hat dein Vater etwas davon eingeatmet, als er das Dach repariert hat?«

      Mats’ ganzer Körper spannte sich an. Ich konnte in seinem Gesicht lesen, wie sehr er herausfinden wollte, was damals passiert war. »Können wir noch mal hingehen?«

      Ich nickte, leerte meine Limo und plötzlich schlich sich mir ein neuer und ungewohnter Gedanke in den Kopf.

      Mit ernstem Blick sah ich Benno an. »Hör zu: Wenn wir beide jetzt zurück ins Haus gehen, müssen wir auf Ma und Pa aufpassen, damit ihnen nichts passiert. Hinter dem Ganzen steckt ganz sicher die Duftapotheke, wir müssen nur herausfinden, was genau passiert ist und wie wir es rückgängig machen können. Und das heißt, solange sind ausnahmsweise wir für die zwei verantwortlich. Heute spielen wir Eltern und Ma und Pa sind die Kinder, okay?«

      Bennos ängstlicher Blick verwandelte sich in so etwas wie Trotz. Und ich spürte, wie ihn unser gemeinsamer Plan endlich aus seiner Starre löste. »Okay!«

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      19. Kapitel

      Als ich aufstand und mich aus der Wolldecke befreite, hielt Benno mich am Ärmel fest und sah zu mir hoch. Er kniff seine Lippen so stark aufeinander, dass sie ganz weiß wurden.

      »Was ist denn?« Ich legte ihm meinen Arm um die Schultern. Trotzdem guckte mich Benno, ohne einen Ton zu sagen, finster an. Ich kannte meinen Bruder gut und merkte, dass er mir unbedingt etwas sagen wollte, sich wahrscheinlich vor Mats nur nicht traute. Also kniete ich mich hin und drückte meine Backe fest an seine. So machten wir das immer, wenn wir uns ein Geheimnis erzählten, das unsere Eltern nicht hören durften.

      »Ich bin dadran schuld.« Benno hauchte seine Worte so leise, dass ich sie kaum verstand.

      »Was? Nein!« Ich schob ihn vor mich, damit ich ihn besser sehen konnte. »So ein Quatsch! Das darfst du nicht mal denken!«

      Aber Benno drückte sich mit Tränen in den Augen wieder fest an mein Ohr. »Doch! Ich hab den komischen Duft verloren. Und bestimmt macht der das alles. Vielleicht ist er ausgelaufen und macht alle verrückt.«

      Ich strich ihm über die Backe.»Du hast recht. Wahrscheinlich ist der verloren gegangene Duft wirklich daran schuld. Aber doch nicht du! Hast du das verstanden?«

      Benno kniff wieder seine Lippen aufeinander und nickte unsicher.

      Ich griff mir seine Hand und gemeinsam gingen Mats, Benno und ich nach draußen. Zuallerst schaute ich mich nach Willem um und atmete auf, als ich ihn nirgends entdeckte. Im selben Moment sah ich aber die schwarze Limousine, die schon mal vor ein paar Tagen vor unserem Haus gehalten hatte.

      Auch jetzt saß wieder ein Chauffeur mit weißen Handschuhen hinter dem Steuer. Im Gehen schaute ich mich nach der Dame um, die sich das letzte Mal so lustig verkleidet hatte. Sie trug heute wieder diese komplizierte Hochsteckfrisur unter einem Hütchen und ein genauso altmodisches Kleid. Und sie stieg gerade mit knallenden Absätzen die Stufen zur Villa Evie hoch. Vor unserer Haustür blieb sie stehen.

      Ich lief schneller. »Kann ich Ihnen irgendwie helfen?«, rief ich ihr zu. Ich beeilte mich so, dass ich im Nullkommanichts direkt hinter ihr stehen blieb. »Wen suchen Sie denn?«

      Die Frau stand mit dem Rücken zu mir und drückte auf die Klingel. Kurz wunderte ich mich. Hatte sie beim letzten Mal nicht braune Haare gehabt? Jetzt wirkten sie fast grau. Vielleicht eine Perücke? Wahrscheinlich täuschte ich mich nur, weil mich ihre Klamotten das letzte Mal so abgelenkt hatten.

      In Zeitlupe drehte sich die Frau zu mir um und ihr schweres, nach Erde riechendes Parfüm stieg mir wieder in die Nase. Sie verzog keine Miene und ich merkte, wie ihr Blick mich plötzlich einschüchterte.

      Ihre Augen … das gab’s doch gar nicht! Die Frau hatte keine Augenfarbe. Ihre Augen wirkten irgendwie fahl, nicht wirklich grau, sondern eher … farblos.

      »Nun ja«, näselte sie mir endlich eine Antwort auf meine Frage entgegen. »Willem hat mir berichtet, dass eine neue Familie die Villa Evie bezogen hat, und ich wollte sie nur einmal sehen.«

      Das klang eigenartig und ganz anders, als unsere vielen neugierigen Nachbarn, die uns auch ständig besuchen wollten. Normalerweise waren alle am Haus interessiert, nicht an uns. Bei der alten Dame klang es sogar so, als wären wir Tiere in einem Zoo, die man sich einfach angucken kommen konnte, wenn man Lust dazu hatte.

      Ich streckte meinen Rücken durch und holte einmal tief Luft. »Wieso denn? Kennen wir uns?«

      »Nein, Kindchen, wir kennen uns nicht.« Sie legte den Kopf schief und machte einen Schritt auf mich zu. Dabei klackte ihr vergoldeter Gehstock hart auf dem Boden auf. Ich zuckte zusammen und ging gleichzeitig einen Schritt rückwärts. »Ich bin die Baronin von Schönblom. Und mit wem habe ich die Ehre?«

      Eine Baronin? Das wurde ja immer verrückter!

      »Luzie«, antwortete ich und war sehr froh, als Mats und Benno sich zu mir stellten. »Luzie Alvenstein.«

      Da öffnete Ma die Haustür. »Ja? Bitte?«, fragte sie die Fremde.

      »Frau Alvenstein! Einen wunderbaren guten Tag wünsche ich. Ich bin Baronin von Schönblom und eine alte Freundin der früheren Besitzer. Ich liebe dieses Haus, und da ich mich zufällig in der Nähe befand, wollte ich einmal vorbeischauen, wie sich hier alles so entwickelt hat seit meinem letzten Besuch.« Sie machte so viele Schritte auf Ma zu, bis die zur Seite ging und die Frau in unsere Villa ließ.

      »Heute ist es leider ungünstig!« Ma klang genervt.

      Normalerweise ließ sie sich nicht so leicht überrumpeln. Aber die Baronin kümmerte sich nicht darum, ob ihr Besuch Ma gerade passte oder nicht. Wie eine Hausherrin blickte sie sich in der Diele um und sog die Luft durch die Nase ein. »Ahh! Diese Düfte!« Wieder klackte ihr Gehstock auf die Dielen und selbst Ma zuckte dabei zusammen.

      »Ich muss sagen, ich bin erleichtert zu sehen, dass Sie den Originalzustand der Villa erhalten haben. Ich hatte ernsthaft Sorge, die neuen Besitzer könnten hier modernisieren wollen. Aber so wunderbare historische Häuser wie dieses muss man doch bewahren, nicht wahr?« Sie drehte sich zur Eingangstür zurück. »Nun denn, wenn es heute nicht gut passt, dann vielleicht ein anderes Mal. Die Villa weckt so viele schöne Erinnerungen!« Sie raffte ihren Rock und nickte Ma zu.

      Im Vorbeigehen funkelte mich die Baronin mit ihren farblosen Augen an. Ich schluckte, weil ihr Blick mir unangenehm war und sie sich gleichzeitig zu mir vorbeugte.

      »Ich rate dir, dich besser von Dingen fernzuhalten, die dich nichts angehen. Ihr werdet nur eine kurze