A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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stellte sich in die dunkle Küche. Stumm starrte er aus dem Fenster.

      Drüben sah er das junge Pärchen geschäftig herumeilen. Überall standen Kisten.

      Freed konnte jedoch nicht die beiden größten Kisten sehen, die von den Möbelpackern unter der Treppe abgestellt worden waren.

      Aus diesen Kisten kletterten jetzt zwei Männer ...

      10

      Tony und Louise Giarusso folgten ganz klaren Anweisungen, als sie sich wie Leute aufführten, die ihr neues Heim bezogen. Zu diesen Anweisungen gehörte es, dass sie sich um zwei bestimmte Kisten nicht zu kümmern hatten und auch nicht darum, was die beiden Männer, die aus den Kisten kletterten, im Obergeschoß zu suchen hatten.

      Die Giarussos hatten bis vor zwei Monaten eine kleine Imbissstube in Inglewood, ganz in der Nähe der Rennbahn, betrieben. Das Lokal hatte am Anfang einen guten Gewinn abgeworfen, bis eines Abends eine Horde Rocker den Laden heimsuchte und die gesamte Einrichtung zertrümmerte. Der Versicherungsschutz reichte nicht aus, um den Schaden zu ersetzen. Da die Giarussos noch recht neu im Geschäft waren und die zerstörte Einrichtung noch nicht abbezahlt war, gab es keine Bank, die bereit gewesen wäre, den jungen Leuten mit einem Kredit unter die Arme zu greifen. Tony und Louise waren am Ende.

      Da musste es ihnen wie eine glückliche Fügung vorgekommen sein, als ein massiger Mann mit freundlichem Gehabe auftauchte und Hilfe anbot. Tony und Louise griffen zu, und seitdem hatten sie zwar Ruhe vor den Rockern, aber keine Ruhe vor den Kredithaien. Wenn sie einmal die Wucherzinsen nicht aufbringen konnten, wurden sie gestundet zu neuen Bedingungen. Der Schuldenberg wuchs und wuchs.

      Bis vor zwei Wochen ein anderer Mann auftauchte. Ein düsterer Kerl mit vernarbten Gesicht und schwarzem Haar mit tiefen Geheimratsecken. Dieser Mann, der sich Angelo nannte, wies den Giarussos einen Weg, wie sie ihre Schulden loswerden konnten. Sie brauchten nur in ein Haus am östlichen Wilshire Boulevard zu ziehen und sich um nichts und niemanden zu kümmern. Wenn alles vorbei sein würde, sollten sie sogar ein neues Lokal bekommen. Der Mann, der sich Angelo nannte, hatte es Tony gezeigt. Es handelte sich um eine schicke Pizzeria in einer guten Gegend. Die Vorverträge waren bei einem Notar geschlossen worden. Alles schien in Ordnung zu sein.

      Nichts war in Ordnung.

      Tony Giarusso wusste es, seit ein paar verschlossen wirkende Kerle die beiden Kisten in Inglewood auf den Möbelwagen gewuchtet hatten.

      Tony versuchte nicht hinzusehen, als die Deckel jetzt in die Höhe gestoßen wurden. Er half Louise, den Kühlschrank in eine andere Ecke zu schieben.

      Er hörte einen leisen Ruf, und seine Kopfhaut zog sich zusammen. Der Kerl meinte ihn.

      Tony hatte begriffen, dass er für jemand anderen, der in dieser hübschen Straße eigentlich nichts zu suchen hatte, die legale Deckung darstellen sollte.

      Er ging in die Diele. Das breite Fenster zur Straße stand offen. Die zwei Männer drückten sich in den Schatten unter der Treppe. Tony erkannte den Mann, der sich Angelo genannt hatte. Hinter Angelo stand ein dürrer Bursche mit hagerem Gesicht und steinharten Augen.

      „Wir gehen jetzt nach oben“, sagte Angelo. Angelo, das war niemand anderes als Angelo Agostini, der Todesengel, der Mann, der seit Ernesto Tardellis Tod das Liquidationskommando der südkalifornischen Mafia anführte. Der Schweigsame hinter ihm war Gene de Luca aus Chicago, ein Techniker des Todes.

      De Luca bückte sich und holte ein Präzisionsgewehr und ein olivfarbenes Gehäuse mit einem dunkelroten, großen, gewölbten Glas aus der Kiste. Tony Giarusso durchzuckte es wie ein Blitz. Er hatte so ein Ding schon mal gesehen, und zwar in seiner Ausbildungszeit bei der Navy.

      Der Hagere hielt ein Nachtsichtgerät in der Armbeuge.

      „Die Mansarden sind für deine Frau tabu“, sagte Agostini mit flacher, ausdrucksloser Stimme. Ohne Tony aus den Augen zu lassen, fischte er verschiedene Gegenstände aus seiner Kiste – ein kompakt gebautes Funkgerät, einen flachen, mit Kunstleder überzogenen Koffer, in dem vermutlich eine Bügel-MP steckte, mehrere Bündel, über deren Inhalt Tony sich lieber keine Gedanken machte. „Lasse die Fenster auf, Tony“, fuhr der Todesengel fort. „Alles soll ganz normal aussehen. Junge, du machst dein Glück.“

      „Aber ...“

      „Ich habe jetzt keine Zeit, um Gedanken auszutauschen, mein Junge.“

      Der Hagere glitt lautlos um den Treppenabsatz herum und verschwand wie ein Schatten im Obergeschoss. Angelo folgte ihm. Tony fiel erst jetzt auf, dass beide Handschuhe trugen.

      Er trat ans Fenster und sah über die Straße. Drüben lagen die hübschen Holzhäuser in gepflegten Vorgärten. Hinter einigen schimmerte Licht.

      Nicht in dem Haus, dass diesem hier genau gegenüberlag. In einer Scheibe spiegelte sich das Licht der Straßenlaterne, die ein Stück die Straße hinunter brannte. Tony glaubte einmal, eine schwache Bewegung hinter einem Fenster des Erdgeschosses zu erkennen, und rasch wandte er sich ab.

      Er wollte nichts wissen. Er durfte nichts wissen.

      11

      Angelo Agostini, der Todesengel, hatte die schwache Bewegung ebenfalls gesehen.

      Er presste das Gewehr des Mannes aus Chicago an seine Schulter und legte sein Auge an die Gummimanschette des Zielfernrohrs.

      Es war beinahe erschreckend. Die Spezialbeschichtung der Optik ließ die Scheiben der Mansarde und des Küchenfensters drüben beinahe verschwinden.

      Freed schien herüberzusehen, das strenge Gesicht wirkte leer wie ein unbeschriebenes Stück Papier. Agostinis Zeigefinger berührte den Abzug des Gewehrs.

      „Peng!“, machte der Mörder, und ließ die Waffe sinken. Er sah zu Gene de Luca hinüber, der sich nicht um Angelo kümmerte, sondern mit ruhigen, präzisen Bewegungen das Nachtsichtgerät gebrauchsfertig machte.

      Die Sicherheit dieses Mannes und die Verachtung, die er mit seiner Haltung dem Todesengel gegenüber sichtbar werden ließ, begann den Mörder zu irritieren.

      „He“, sagte er.

      De Luca ließ sich nicht stören. Er verschwand in der dunkelsten Ecke des Zimmers. Angelo konnte schwach den dunkelrot glotzenden Fleck erkennen, als de Luca das Nachtsichtgerät aufhob. Agostini wusste, dass der andere ihn jetzt durch die Optik des Geräts genauso erkennen konnte, als ob er im hellen Sonnenlicht säße.

      „Stell das Ding weg!“, befahl er scharf.

      De Luca rührte sich nicht.

      „Ich habe dir etwas gesagt! Vergiss nicht, wer hier die Befehle gibt!“

      „Ich werde sie befolgen ...“ drang die dumpfe Stimme des Chicagoers an Agostinis Ohr.

      „Na also!“

      „Wenn sie mit dem Job zu tun haben“, schränkte de Luca ein. „Und dann lasse ich mir von dir auch nur sagen, wen ich umlegen soll. Und nicht wie und wann ich es tun soll.“

      Gut, dass es so dunkel war, dachte Agostini, denn sonst hätte der andere sehen können, wie sein Gesicht blass vor Wut wurde. Oder konnte er es durch den Apparat da sehen? Agostini senkte die Lider halb über die Augen. Er stellte das Gewehr vorsichtig neben dem Fenster an die Wand.

      „Stell jetzt das Ding weg“, wiederholte er seinen Befehl. Immer noch spürte er, wie das gläserne Auge auf ihn gerichtet war.

      „Lassen wir die Kinderspiele“, schlug de Luca vor. „Du bist hier ein großer Mann, ich bin einer in Chi. Du hast keinen Grund, sauer auf mich zu sein. Ich bin hier, weil mich jemand dafür bezahlt.“

      „Sicher“, stimmte Agostini halbwegs versöhnt zu. Natürlich war jetzt nicht der geeignete Moment, sich in kleinlichen Eifersüchteleien zu verlieren. Doch die nächste Bemerkung des Chicagoers heizte seinen Zorn wieder an.

      „Bestimmt hätte dein Boss mich nicht anrollen lassen, wenn er dir mehr zutraute ...“ De Luca lachte