A. F. Morland

Auswahlband 11 Top-Krimis Herbst 2018 - Thriller Spannung auf 1378 Seiten


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er würde mindestens acht Stunden verlieren.

      Der Wagen des County Sheriffs klebte unverwandt hinter der Stoßstange des Ramcharger. Bis Xavier waren es jetzt nur noch fünfzehn Meilen.

      Er musste sie abschütteln, bevor sie ihn anhielten. Mit jeder Meile, die er näher an die nächste Stadt herankam, stiegen seine Chancen.

      Elf Meilen vor Xavier schienen sie alles abgecheckt zu haben.

      Die roten Dachlichter begannen jäh zu kreisen, und die Sirenen pumpten Schallwellen gegen die Rückfront des Dodge, gleichzeitig riss der Fahrer den Streifenwagen nach links und setzte zum Überholen an.

      Die Straße vor und hinter Roberto war leer. Das war gut. Denn für das, was er vorhatte, brauchte er Platz.

      Und schnell musste er sein, denn die Männer im Radio Car durften nicht zu früh dazu kommen, über Funk Alarm zu schlagen. Sonst hatte er in Minuten alle Streifenwagen der Staatspolizei auf dem Hals.

      Roberto fuhr noch weiter rechts ran. Der Streifenwagen erschien neben dem Dodge. Das heißt, er beschleunigte zunächst einmal. Der Wagen schien schwer auf Touren zu kommen, vermutlich hatte die Kiste lange Zeit keine Werkstatt mehr von innen gesehen.

      Roberto passte genau auf. Als die lange Motorhaube des anderen Wagens sich auf der Höhe der hinteren Radkästen befand, riss er das Lenkrad urplötzlich nach rechts herum. Gleichzeitig stieg er mit seinem ganzen Gewicht auf die Bremse.

      Die starre Hinterachse machte diese Tortur nicht mit. Während der Bug tief eintauchte und die Vorderräder die Spur noch hielten, verloren die Hinterräder den Kontakt mit dem von feinem Sand überwehten Asphalt.

      Das Heck schlingerte zur Straßenmitte. Und wie die Schwanzflosse eines Riesenwals schlug es gegen den Streifenwagen.

      Und zwar ziemlich genau dort, wo sich das rechte Vorderrad befand.

      Das Blech des Kotflügels riss. Es wölbte sich nach innen, wo es vom Reifenprofil erfasst, kreischend verbogen und zerfetzt wurde. Der Reifen platzte mit einem lauten Knall. Der Streifenwagen fiel ein paar Fuß zurück, aber seine Geschwindigkeit lag immer noch über fünfzig Meilen. Wegen der schwabbeligen Servolenkung hatte der Mann am Steuer kein Gefühl für die Vorderräder, von denen das eine über die Felge rumpelte und den Wagen unwiderstehlich nach rechts hinüberzog.

      Die Scheinwerfer verschwanden hinter der Heckklappe des Ramcharger und hinter der mächtigen, mit stählernen Bügeln versehenen Stoßstange.

      Roberto bat die Gesetzeshüter im Stillen um Verzeihung, als er seinen Fuß erneut mit voller Wucht auf die Bremse rammte.

      Der Fahrer, der noch wie ein Wilder am Lenkrad kurbelte, erkannte die Gefahr zu spät. Der Anprall warf den schweren Ramcharger ein Stück nach vorn. Es krachte laut, und Roberto spürte den Anprall in seinem Rücken. Sein Kopf wurde gegen die Nackenstütze geschleudert. Glas klirrte, die Lichtflut hinter ihm erlosch, auch die Sirenen erstarben mit einem heiseren Röhren, als ein Kurzschluss die Stromversorgung des Radio Car lahmlegte.

      Roberto ließ die Bremse los und senkte den Fuß erneut aufs Gas, nachdem er zurückgeschaltet hatte. Träge kam der Dodge wieder auf Touren.

      Robertos Augen hingen am Außenspiegel. Er sah, wie der Streifenwagen von der Straße schlitterte und mit der Schnauze in den Graben sackte.

      Er atmete auf und gestattete sich ein leichtes Lächeln. Erst ein raues Stöhnen erinnerte ihn an seinen Fahrgast.

      „Was war das?“, keuchte Petrie verwirrt. Er rieb seinen schmerzenden Nacken und starrte Roberto aus fieberglänzenden Augen an.

      „Nichts weiter“, sagte Roberto kurz angebunden. „Du hast es gleich geschafft.“ Er deutete nach vorn, wo sich die blassen Lichtpunkte über einer schlafenden Stadt gegen den mondhellen Himmel abzeichneten. Als Roberto die Scheinwerfer ausschaltete, verschmolz er mit seiner Umgebung. Wie ein Chamäleon.

      15

      Art Freed erkannte einen neutralen Wagen der Metropolitan Police von Los Angeles, und unwillkürlich wandte er das Gesicht ab, als er an dem Fahrzeug vorbeirollte. Die beiden Detektive parkten vor einer Snackbar und tranken Kaffee aus Plastikbechern.

      Der Sunset Strip zeigte sich in seiner ganzen Pracht, die sich erst nach Einbruch der Dunkelheit voll entfaltete. Freed suchte jemand, als er jetzt langsam an den Kinos und hell erleuchteten Eingängen der Restaurants entlangfuhr.

      Es dauerte einige Zeit, bis er sie erkannte. Ihr Anblick machte ihn betroffen. Bis ihm einfiel, dass er sie seit mindestens zwei Jahren nicht mehr gesehen hatte. Damals war sie eins von den Girls gewesen, die, mit einer Kamera und einem offenherzigen Kleidchen ausgestattet, die Bars und Restaurants abklapperte und Gäste aus der Provinz fotografierte. So etwas ist ein gutes Geschäft. Gut genug, um von einem der Revierfürsten der Mafia kontrolliert zu werden.

      Sie hieß Carolyn Olsen und gehörte zu der Riesenschar hübscher Girls, die es immer noch Jahr für Jahr in die Filmmetropole Hollywood zog.

      Carolyn war einmal mit dem Gesetz in Konflikt geraten. Ein Gast hatte sich von ihr fotografieren lassen, und er hatte ihr anschließend eine Menge Geld geboten, wenn sie bereit wäre, ihn auch in seinem Hotelapartment zu fotografieren.

      Carolyn, die glaubte, mit dem Mann fertig werden zu können, hatte die Einladung angenommen. Der Mann hatte mehr gewollt als abgelichtet zu werden, und sie hatte sich nicht allzu sehr geziert. Dafür hatte sie sich an seiner Brieftasche bedient.

      Art Fred hatte den Fall bearbeitet, weil der Gast aus einem anderen Bundesstaat stammte. Er hatte dafür gesorgt, dass die Anklage niedergeschlagen wurde, dafür hatte er in Carolyn einen neuen Spitzel gewonnen. Ein Girl, das von einem Mafioso gesteuert wurde und durch die Lokale am Strip zog. Das war ein Spitzel, wie ein Detektiv ihn sich nur wünschen konnte.

      Sie stand jetzt unter einem Baldachin vor einem schmalbrüstigen Haus und lächelte die Passanten mit grell geschminkten Lippen an. Einladend deutete sie auf die geöffnete Tür. Sie trug ein knappsitzendes Kostüm, das die Beine bis zum Ansatz sehen ließ. Ihre runden Brüste quollen aus dem stramm sitzenden Mieder.

      Hinter der Tür befand sich eine Oben-ohne-Bar. Die Neonschrift neben dem Eingang verhieß alle Freuden des Lebens.

      Art Freed lenkte den Wagen um die nächste Ecke. Eine freie Parklücke gab es hier nicht. Freed fluchte verhalten. Notgedrungen musste er bis zu einem Parkplatz weiterfahren. Er übergab das Plymouth einem Park Boy und bat ihn, den Wagen bereitzuhalten und ihn nicht zuparken zu lassen. Mit zwei Dollar Trinkgeld verlieh er seiner Bitte die nötige Überzeugungskraft.

      Er eilte zum Strip zurück und schob sich dann durch das Gewühl auf die ToplessBar zu. Er atmete auf, als er Carolyn sah, die immer noch unter dem Baldachin stand.

      Freed verlangsamte seinen Schritt. Carolyn hob den Kopf.

      „Werfen Sie einen Blick hinein, Sir! Schauen Sie den Girls zu! Kein Mindestverzehr, alle Drinks kosten dreifünfzig, einen Frankfurter gibt’s gratis. Worauf warten Sie noch? Die schönsten Girls werden Sie verwöhnen.“

      Freed war stehengeblieben wie jemand, der sich das Angebot überlegte. Er sah Carolyn an. Ihre Pupillen waren so weit geöffnet, dass von der Iris nur noch ein schmaler Rand zu sehen war. Kokain, vermutete Freed.

      „Hi, Carry“, sagte er.

      Das Girl, das gerade wieder von vorn beginnen wollte wie eine Schallplatte, zuckte zusammen. Das Lächeln in dem kalkweißen Gesicht geriet zur Grimasse.

      „Ich gehe jetzt rein, Carry, und wenn du hier abgelöst wirst, kommst du zu mir, okay?“

      „Okay, Art“, antwortete sie leise.

      Freed lächelte spröde, als er in das rötliche Dämmerlicht der Bar tauchte. Auf der langen Mahagonitheke tanzten vier nackte, ausgesprochen gutgewachsene Girls zu den harten Klängen eines Rock. Freed peilte eine Stelle am Ende der Bar an, wo es noch mehrere freie Hocker gab. Aus einer dunklen Nische trat ein fast nacktes Mädchen, in dessen blonden Haaren sich das rote Licht der verborgenen Lampen fing. Sie